Die rot-grüne Minderheitenregierung in Schweden bezeichnet sich selbst als „erste feministische Regierung der Welt“. Wird sie diesem Titel gerecht? Von VALENTINE AUER
Ein bunter Haufen feiert gemeinsam auf den grünen Wiesen Schwedens: Es tummeln sich Bärtige in Hochzeitskleidern, andere haben sich Bärte ins Gesicht gemalt. Gemeinsam strecken sie den Mittelfinger in die Höhe und singen: „Goodbye now, fucking rightwing alliance.“ So sah das Musikvideo des queer-feministischen Kollektivs „Manlig Identitets Konst“ aus, mit dem vor den Wahlen zum Schwedischen Reichstag 2014 dazu aufgerufen wurde, gegen die damalige rechte Regierung Reinfeldt zu kämpfen und dieses Mal anders zu wählen.
Der Wunsch ging in Erfüllung. Seit Oktober 2014 regiert eine sozialdemokratisch-grüne Minderheitenregierung. Zwölf der 24 Kabinettsmitglieder sind Frauen. Die schwedische Regierung bezeichnet sich als „erste feministische Regierung der Welt“. Doch sind nun wirklich alle Träume wahr geworden?
Symbolischer Feminismus. Die feministische Arbeit der Regierung zeichnet sich zunächst vor allem durch symbolische Gesten und Absichtsbekundungen aus. Nicht nur die Selbstbezeichnung aller Kabinettsmitglieder als feministisch fällt darunter, sondern auch das viral gewordene Bild mit Vizeministerpräsidentin Isabella Lövin, die – umgeben von ihren Kolleginnen – ein neues Klimagesetz unterzeichnet.
Das Foto war eine Reaktion auf die US-amerikanische Macho-Regierung unter Donald Trump, konkret auf das Bild, das Trump im Oval Office umgeben von weißen Männern zeigt. Er unterzeichnet darauf ein Finanzierungsverbot ausländischer Organisationen, die Abtreibungen unterstützen. Männer, die über die Körper von Frauen entscheiden – ein aus der Geschichte bestens bekanntes Motiv. Die schwedische Regierung will es anders machen.
Laut Clara Berglund, Leiterin der unabhängigen Dachorganisation „Schwedische Frauenlobby“, ist auch ein Feminismus der symbolischen Gesten und Worte durchaus von Bedeutung. Gerade jetzt: „In einer Zeit, in der Frauenrechte weltweit infrage gestellt werden, ist es wichtig, dass eine Regierung sich selbst als feministisch bezeichnet“, sagt Berglund im an.schläge-Interview.
Feminismus der Taten. Aber die schwedische Regierungsarbeit beschränke sich auch keineswegs auf medienwirksame Inszenierungen: „In mancher Hinsicht haben wir eine wahrhaft feministische Regierung“, ist sich Clara Berglund sicher. Tatsächlich finden sich im Regierungsübereinkommen Strategien für mehr Geschlechtergleichheit, konkret formuliert im Rahmen von sechs Zielen:
Eine gleichberechtigte Aufteilung von Macht und Einfluss etwa durch Gender Mainstreaming, die sich in mehr Möglichkeiten für aktive Staatsbürger*innen und der Einbindung in Entscheidungsprozesse niederschlagen soll. Ökonomische Gleichberechtigung, also gleicher Zugang zu fair bezahlter Arbeit. Gleichberechtigung und gleiche Chancen im Bildungsbereich. Gleichzeitig aber auch eine faire Verteilung von unbezahlter Arbeit und Care-Arbeit. Und umgekehrt gleiche Bedingungen, um Pflege und andere Gesundheitsangebote in Anspruch nehmen zu können. Und natürlich das Recht auf physische Integrität, ein Vorantreiben des Kampfes gegen Gewalt an Frauen.
Erste erfolgreiche Umsetzungen dieser Ziele gibt es bereits: Gemeinsam mit Dänemark, Finnland, Belgien, den Niederlanden und Luxemburg versucht Schweden 600 Millionen Dollar Spendengelder aufzubringen, um den von Trump verursachten Fehlbetrag für NGOs, die Abtreibungen unterstützen, zu ersetzen. Das Geschlechterverhältnis im Parlament ist ausgeglichen. Die Finanzierung von Frauenhäusern wurde mit mehr als vierzig Millionen Euro für die Periode 2015–2019 stark erhöht. Die Vereinbarung von Beruf und Familie wird zunehmend erleichtert, unter anderem durch die Verlängerung der Elternkarenz für Väter von zwei auf drei Monate.
Nicht überall Spitzenreiter. Und dennoch: „Die Regierung sollte noch viel mehr tun, um der Selbstbezeichnung einer feministischen Regierung gerecht zu werden“, sagt Berglund. So zeigen offizielle Statistiken, dass bestimmte Schritte in Richtung Gleichberechtigung nur langsam vorangehen. 2016 waren – wie auch schon 2014 – nur fünf Prozent der Vorstandsvorsitzenden in börsennotierten Unternehmen weiblich. Bereits bestehende Pläne, Frauenquoten in diesem Bereich einzuführen, verwarf die Regierung erst kürzlich aufgrund der fehlenden Unterstützung der konservativ-rechten Opposition, deren Stimmen zur Umsetzung notwendig wären.
Schweden ist im OECD-Vergleich mit 74 Prozent Spitzenreiter bei der Beschäftigungsquote von Frauen. Dennoch geht die Sache mit dem gleichberechtigten Zugang zum Arbeitsmarkt nur sehr schleppend voran. Dementsprechend ist die Einkommensschere nach wie vor beträchtlich. 2016 verdienten Frauen nur 87 Prozent (bereinigter Wert) dessen, was Männer verdienten. 2014 war dieser Wert nur geringfügig niedriger (86 Prozent). Der Grund dafür: Frauen sind auch in Schweden häufi ger in Berufen mit geringerem Einkommen tätig, so die Analyse des schwedischen Statistikinstituts. Berücksichtigt man die Tatsache, dass Frauen öfters in Teilzeit beschäftigt sind, länger in Elternkarenz gehen sowie ihr Erwerbsleben wegen anderer Fürsorgetätigkeiten unterbrechen, verdienen Frauen sogar nur 81 Prozent vom Gehalt der Männer.
Strittige Sexarbeit. In puncto Sexarbeit geht die derzeitige Regierung den Weg weiter, der in Schweden bereits 1999 eingeschlagen wurde: Mit dem schwedischen „Sex Purchase Act“ werden die Käufer kriminalisiert. Berglund unterstützt dieses Vorgehen: „Die Regierung hat die klare Zielsetzung, diese Strategie zu erweitern und international zu bewerben. Wir wissen aus Erfahrung, dass es der beste Weg ist, Prostitution zu bekämpfen, wenn die Käufer kriminalisiert werden.“ Eine Einschätzung, die feministisch sehr umstritten ist. Laut einer Studie ist der Erfolg dieser Politik keineswegs bewiesen. Ob Sexarbeit tatsächlich zurückgegangen ist, sei unklar, heißt es dort. Klar ist jedoch, dass die Stigmatisierung von Sexarbeiter*innen zugenommen hat. Hinzu kommt, dass diese den Behörden aufgrund der unklaren legalen Situation weniger vertrauen und dementsprechend seltener Unterstützungen in Anspruch nehmen. Durch die Abnahme von Käufern auf der Straße würden Sexarbeiter*innen zudem öfters größere Risiken auf sich nehmen und gleichzeitig niedrigere Preise akzeptieren.
Integrationspolitik. Doch wenn es darum geht, Feminismus mit weiteren Diskriminierungskategorien zusammenzudenken, fehlen Maßnahmen vonseiten der Regierung. Obwohl 23 Prozent der schwedischen Bevölkerung eine Migrationsgeschichte haben und Schweden deshalb durchaus als Einwanderungsland gelten kann, finden sich in den Strategien zur Gleichberechtigung keine Ziele, die dezidiert für migrantische Frauen entwickelt wurden. Dabei kritisierte der Menschenrechtsbeirat der Vereinten Nationen die Situation von Migrantinnen in Schweden bereits vor einem Jahr. So sind Migrantinnen häufiger vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen und auch in Bereichen des öffentlichen Lebens unterrepräsentiert, erklärt nicht nur der UN-Menschenrechtsbeirat, sondern auch Clara Berglund: „Wir haben Schwedens Integrationspolitik geprüft und festgestellt, dass männliche Migranten bessere Unterstützung erhalten, um am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, als Migrantinnen.“
Hinzu kommt eine Verschärfung bei der Familienzusammenführung: So gilt der Familienzuzug nur noch für direkte Familienmitglieder, das Mindestalter bei Ehepartner*innen wurde auf 21 Jahre angehoben. Subsidiären Schutzberechtigten wurde jedes Recht auf Familienzusammenführung gestrichen. „Durch die restriktive Asyl-Agenda können die Frauen, Schwestern und Töchter der meist männlichen Flüchtlinge nicht mehr nach Schweden kommen. Das bedeutet, dass weibliche Flüchtlinge öfters in Konfliktregionen und Flüchtlingscamps bleiben müssen“, kritisiert auch Berglund.
Kritik gibt es diesbezüglich nicht nur an der Innen-, sondern auch an der Außenpolitik: „Absolut inkompatibel“ mit einer feministischen Außenpolitik seien zum Beispiel schwedische Waff enexporte in Länder, die Frauenrechte grob verletzen, heißt es in einem aktuellen Bericht der NGO „CONCORD Sweden“.
Abfeiern. Ein tatsächliches Umdenken in der Gesellschaft braucht Zeit, und bis die Auswirkungen der gesetzten Strategien und Maßnahmen sichtbar werden, dauert es auch eine Weile. Klar ist jedoch auch, dass eine feministische Regierung unbedingt auch unpopuläre Reformen wie einen eff ektiven Flüchtlingsschutz insbesondere für Frauen umsetzen muss, um ihrem Namen gerecht zu werden. Erst wenn feministische Politik tatsächlich in allen Bereichen mitgedacht wird, kann Schweden gemeinsam mit dem Kollektiv „Manlig Identitets Konst“ auf der grünen Wiese feiern.
Valentine Auer ist freie Journalistin und fokussiert sich in ihrem Schreiben auf das Auseinandernehmen von Geschlechtern, Körpern und Begehrensstrukturen sowie auf die Auseinandersetzung mit aktuellen und vergangenen Migrations- und Fluchterzählungen.