Mit ihrem Buch „Muslim Girls” stellt SINEB EL MASRAR dem klischeehaften Opfer-Diskurs über deutsche Muslimas ein differenziertes Bild von deren Lebensrealität entgegen. Im Interview mit SYLVIA KÖCHL und VINA YUN spricht sie über die Legitimität der aktuellen Integrationsdebatte und den Klassenkampf im „deutsch-deutschen” Feminismus.
Unterdrückt, zwangsverheiratet und gegen ihren Willen verhüllt – mit solchen und anderen hartnäckigen Stereotypen von Muslimas, die die derzeitige deutschsprachige Debatte über „Integration” beherrschen, räumt Sineb El Masrar in „Muslim Girls” gründlich auf. Ihre Kritik verbindet die Berliner Journalistin, die auch das Frauenmagazin „Gazelle” herausgibt und Teilnehmerin der „Deutschen Islam Konferenz” ist, mit Hard-Facts der jüngeren politischen Geschichte, Medienanalyse und persönlichen Erfahrungen. Was junge muslimische Frauen behindere, ihr Leben ebenso selbstbewusst und selbstbestimmt zu gestalten wie „deutsch-deutsche” Girls, sei eben nicht „das Kopftuch” oder „die Tradition”, sondern die diskriminierenden Ausgangsbedingungen, mit denen insbesondere Muslimas der Zweiten und Dritten Generation noch immer konfrontiert sind.
an.schläge: Was war für dich der Anlass, dieses Buch zu schreiben?
Sineb El Masrar: Wie bei meinem Frauenmagazin „Gazelle” gingen dem jahrelange Beobachtungen darüber voran, dass die mediale Darstellung von MigrantInnen – und im Besonderen von Frauen – nicht die tatsächliche Lebensrealität wiedergibt. Bei „Muslim Girls” habe ich jene Frauen in den Fokus genommen, die auch in den Leitmedien tagtäglich für Schlagzeilen und hohe Auflagen sorgen dürfen. Wer Frauen begegnet, die Aische oder Fatma heißen, der hat meistens schon eine Meinung über sie. Nämlich, dass sie kein freies Leben leben können. Damit muss endlich Schluss sein.
Dein Buch erscheint wohl nicht zufällig zu einem Zeitpunkt, als die deutschsprachige „Integrationsdebatte“ eine Renaissance erfährt. Willst du es als Gegengewicht zu den Positionen von Thilo Sarazzin, Alice Schwarzer & Co. verstanden wissen?
Mein Buch zeigt vor allem, wie nötig es nach wie vor ist, die Realitäten, in denen MuslimInnen leben, darzustellen. MuslimInnen – gläubig oder nicht – müssen mehr denn je ihren selbstverständlichen Platz in dieser Gesellschaft einfordern. Diese Debatte und auch die Bücher von Sarazzin und Schwarzer zeigen, wie wenig Ahnung die nicht-muslimische Bevölkerung – besonders das Bildungsbürgertum – von unseren Werten, Wünschen und Bedürfnissen hat. Wie sehr wir mit diesem Land schon verbunden sind und es eigentlich schätzen, wissen noch zu wenige. Und die Debatte zeigt vor allem auch, wie sich das Bildungsbürgertum seiner Ressourcen beraubt und bedroht fühlt. Und das ist erschreckend.
Du betonst, dass es nicht das Muslim Girl gibt, sondern beschreibst viele unterschiedliche Typen von Muslim Girls. Gibt es in diesem heterogenen Entwurf auch das feministische Muslim Girl?
Na klar! Und sie sind womöglich oftmals viel feministischer als es einigen von ihnen bewusst sein dürfte. Wer mein Buch liest, wird feststellen, wie die Mädchen und jungen Frauen Schritt für Schritt nicht nur ihre persönlichen Freiheiten erlangen, sondern auch, wie sie dabei ihre Elterngeneration und die Jungen- und Männergenerationen durch ihr neues Selbstbewusstsein langfristig verändern. Nur die Frauen selbst können verkrustete und patriarchalische Traditionen aufbrechen. Leider gibt es unter ihnen – jung wie alt – noch zu viele, die diese nicht nur weiterleben, sondern sogar entschieden einfordern.
Wie stehst du zu Äußerungen konservativer „deutsch-deutscher“ Feministinnen à la Alice Schwarzer oder auch Feministinnen mit Migrationshintergrund wie Necla Kelek, die „die muslimische Frau“ vom Kopftuch und von der Burka „befreien“ wollen?
Ich kann, ehrlich gesagt, keine aufrichtigen Bemühungen seitens der beiden Damen feststellen. Und da geht es Millionen Frauen so, die in irgendeiner Form der islamischen Kultur oder dem Glauben angehören, und selbst Frauen, die nicht mal gläubig sind. Denn die Probleme der Frauen liegen woanders. Das Kopftuch behindert weder beim eigenständigen Denken und Lernen noch beim Handeln. Statt zu befreien, stigmatisieren Feministinnen wie Schwarzer oder Kelek ausschließlich. All diese Frauen, die sie „befreien” wollen, können sehr gut für sich selbst sprechen. Vielleicht sollten sie einfach mal ihre Lauscherchen für sie aufsperren. Vorausgesetzt, es interessiert sie überhaupt, was sie zu sagen haben.
Wie attraktiv sind der „deutsch-deutsche“ Feminismus und die Frauenbewegung für Muslim Girls?
Wenn es um gleichberechtigte Teilhabe auf dem Berufsmarkt oder Bildung geht sowie um gesetzliche Rechte für Frauen – dann wird man sich hier gerne einreihen. Doch vieles, was hierzulande Frauen erst mühsam durchsetzen mussten, stand ihnen gesetzlich schon in ihren Herkunftsländern oder gar nach dem islamischen Recht zu, wie Erb- und Sorgerecht, Lohnarbeit etc., wenn auch noch nicht für die heutige Zeit optimiert. Doch dies ändert sich auch in den Herkunftsländern und wirkt sich auch auf hier lebende Muslimas aus. Statt sich mit anderen Feministinnen zusammentun zu können, müssen sich Migrantinnen zuerst gegen Stigmatisierungen durchsetzen. Und zwar im Alltag. Im Bildungs- und Berufsleben. Also hinken wir wegen einseitiger Debatten eher dem gemeinsamen Kampf hinterher. Man könnte sagen, dass es aufgrund dieser unsäglichen Ehrenmord-, Zwangsheirat- und Genitalverstümmlungs-Debatte einen Klassenkampf im deutschen Feminismus gibt. Die einen müssen sich zunächst Grundrechte sichern und verteidigen, die anderen wollen weiter hinaus.
Allerorts ist von „Integration“ die Rede – auch du sprichst von den erfolgreich integrierten Muslim Girls, die allerdings nur verzerrt wahrgenommen würden. Lässt sich der viel strapazierte und vor allem von rechts besetzte Begriff „Integration“ tatsächlich noch mit neuer Bedeutung füllen?
Vor allem wäre es mal gut zu wissen, was Integration denn für diese Herrschaften bedeutet. Die Mehrheit und nicht die Minderheit der hier lebenden EinwandererInnen und ihre Nachkommen lebt nämlich wie die deutsch-deutsche Ur-Bevölkerung. Und trotzdem reicht das anscheinend nicht aus. Da muss man sich mal fragen, ob diese Debatte überhaupt legitim ist und was eigentlich das wirkliche Problem dieser Akteure ist. Ich denke, das wäre viel interessanter und würde uns einige neue Erkenntnisse bringen, wenngleich auch einige erschreckende. Aber dann wüsste man endlich, woran man ist in diesem Land, statt hier weiter Zeit in unsinnigen Debatten zu verlieren.
Mit „Muslim Girls“ bedienst du dich einer Sprache, die sich stark an Pop- und Alltagsdiskursen anlehnt. Interessanterweise sprichst du aber nie von „Rassismus“ gegen Muslimas. Warum?
MuslimInnen und besonders Frauen, die mit dieser Religion in Zusammenhang gebracht werden, begegnet in ihrem Leben sehr oft Rassismus. Die Mehrheit hat gelernt, die Wut darüber in Produktivität und Kreativität umzuwandeln. Das möchte ich in erster Linie im Buch transportieren. Wer das Buch aufmerksam liest, wird feststellen, wie viel Rassismus im Leben dieser Frauen stattfindet. Ich wollte aber auch unterhalten, weil man damit die meisten Menschen eher erreicht als mit erhobenem Zeigefinger. Das schafft auch eher Eingeständnisse bei einigen Menschen. Nichtsdestotrotz kommt man natürlich im allgemeinen Diskurs nicht umhin, die Missstände, die durch sehr gezielten Rassismus stattfinden, auch anzusprechen.
Vor kurzem wurde das 20-jährige Jubiläum der „Wiedervereinigung“ Deutschlands gefeiert. Welche Bedeutung hat deiner Meinung nach die „deutsche Einheit“ aus der Perspektive deutscher Muslimas?
Sie zeigt vor allem, dass auch 20 Jahre nach dem Mauerfall noch einige Gräben innerhalb der deutschen Bevölkerung existieren. Da wundert es manchmal nicht, dass man mit Menschen anderer Herkunft noch größere Schwierigkeiten hat, wenn schon innerhalb der deutsch-deutschen Bevölkerung solche Ressentiments vorherrschen. Da sollten sich mal einige in diesem Land Gedanken darüber machen, warum das wohl so ist.
Du hast das „multikulturelle Frauenmagazin“ namens „Gazelle“ gegründet, u.a. um die vorwiegend negativen Repräsentationen von Muslimas in den deutschen Medien zurechtzurücken. Wie wird „Gazelle“ angenommen?
Bei „Gazelle” geht es vor allem darum, die deutsche Normalität abzubilden. Die Menschen in diesem Land sind nicht ausschließlich Ur-Deutsche. Medien, die für und von Nachkommen von EinwandererInnen gemacht werden, sind keine verträumten Multikulti- oder Nischenhefte. Sie sind die Zukunft auf dem Medienmarkt, auch wenn das hierzulande so mancher Marketing- und Verlagsfachmann noch nicht begriffen hat. Die künftigen MedienkonsumentInnen werden jene sein, die sich mehr Vielfalt bei AutorInnen und Themen erwarten als das, was jetzt geboten wird. Mit abgrenzenden und hetzerischen Kampagnen und Artikeln verscheucht man stattdessen zukünftige LeserInnen und AbonnentInnen.
Sineb El Masrar: Muslim Girls. Wer wir sind, wie wir leben.
Eichborn 2010, 15,40 Euro
„Gazelle – Das multikulturelle Frauenmagazin” im Web: www.gazelle-magazin.de