Die queere Partykultur in Wien verändert sich — insbesondere seit der Pandemie. Was bedeutet es für die Community, wenn etablierte Räume verlorengehen? Von VERENA KETTNER.
Als ich vor einigen Monaten auf der Website meines Lieblingsclubs herumscrollte, war meine Aufregung groß: Auf dem Programm stand ein queerer Rave – Neuland für den Veranstaltungsort. Gar keine Frage, ich musste die Party-Crew zusammentrommeln. So vielversprechend das Event auch klang, so enttäuschend war dann allerdings die Erfahrung vor Ort. Es gab eine Drag Show, ein mit Lichterketten gekennzeichnetes Awareness-Team und eine Crowd, die sämtliche queere Codes draufhatte: viel nackte Haut, ein bisschen kinky Rave-Style mit cuten Accessoires. Cool und soft gleichzeitig. Es gab überdurchschnittlich viele Mullets, rosa Herzen-Sonnenbrillen und Choker, die wir schon in den 90ern um den Hals trugen. Der Style der Partygäste war allerdings auch schon das Queerste, das dieser Rave zu bieten hatte. Weder die Auswahl von DJs und Musik hatte irgendwas mit queerer Partykultur zu tun noch die Atmosphäre oder das Publikum. Es feierten dort dieselben Druffies wie jedes Wochenende, nur eben besser gestylt.
DER VERLUST QUEERER ORTE. Meine Erfahrung deckt sich mit den Ergebnissen des aktuellen Forschungsprojekts „QUEERDEM“ von Soziologin Laura Wiesböck. Ein Teil dieser Untersuchung von queerer demokratischer Praxis spürt der Veränderung der queeren Partykultur in Wien seit Beginn der Covid-Pandemie nach. Queeres Nachtleben ist eng verknüpft mit Befreiungsbewegungen und hat nicht nur historisch betrachtet eine wichtige Rolle für die LGBTQIA+-Community gespielt, sondern erfüllt auch heute Bedürfnisse von Queers nach sicheren Räumen, Kollektivität und Intimität. Im Rahmen der Covid-Pandemie gingen während der Lockdown-Bestimmungen, die sich an einem heteronormativen Familienbild orientierten, viele dieser Orte verloren. Die pandemiebedingten Effekte wie fehlende Einnahmen sowie steigende Miet- und Energiekosten und die folgende Inflation setzten die Nachtclubszene gehörig unter Druck, zehn Prozent aller Clubs in Wien mussten zusperren. Dem queeren Nachtleben setzten die Maßnahmen besonders zu.
QUEER IST MAL WIEDER MAINSTREAM. Schon lange vor der Pandemie eroberte queere Ästhetik und Subkultur den Mainstream, besonders in linken Kreisen ist sie geradezu schick. „Queerfreundliche“ Partyreihen schossen aus dem Boden. Da allerdings einige explizit queere Orte und Veranstaltungsreihen die Lockdowns nicht überlebten, stellen diese queerfreundlichen Partys inzwischen einen Großteil des queeren Party-Angebots. Im Zuge der Pandemie ist das Party-Angebot zudem insgesamt geschrumpft. Die wenigen Partys, die mit einer queeren Ästhetik werben, ziehen somit ein größeres und durchmischteres Publikum an, auch außerhalb der Queer-Community.
Das Problem: Einen Safer Space für Queers bieten sie nicht. Die ästhetische Aneignung von queerer Kultur führt im Gegenteil dazu, dass nicht mehr klar lesbar ist, wer aus welchem Grund queere Codes trägt und wer deshalb beispielsweise angesprochen werden kann, ohne auf Beleidigungen oder Gewaltandrohungen zu stoßen. Besonders schwule Männer äußerten dieses Bedenken in der Studie, so Laura Wiesböck.
Und auch die sexpositive Szene hat in den vergangenen Jahren in Wien Räume erobert. Was erstmal positiv scheint, führt jedoch dazu, dass queere Partyreihen kurzerhand einfach zu sexpositiven Partys umfunktioniert wurden, die sich als „queerfriendly“ definieren. Hinter vielen dieser sexpositiven Partys steckt allerdings ein unternehmerisches Interesse, weswegen ein größeres und breiteres Publikum angesprochen wird. Explizit queere Clubs und Bars gibt es hingegen kaum, was nicht nur dem Community-Feeling schadet, sondern auch Unwohlsein bei queeren Partygästen auslöst. In einem Club, der nur hin und wieder queere Partyreihen hostet, sind schließlich auch Security und Personal nicht unbedingt sensibel drauf.
GEGEN MANNLICHE DOMINANZ. Der Wunsch nach rein queeren Orten innerhalb der Szene in Wien ist groß, so das Ergebnis von Wiesböcks Forschungsprojekt – doch auch hier unterscheiden sich die Bedürfnisse. Queere FLINTA fordern beispielsweise vor allem queerlesbische Räume, um einer männlichen Dominanz, die auch von schwulen Männern reproduziert wird, zu entgehen. Auch sichere Party-Räume für hetero cis Frauen sind ihnen ein Anliegen: Heteras würden schließlich besonders gerne auf queeren Partys feiern, um toxischer Männlichkeit beim Feiern zu entgehen. Junge Queers hingegen wünschen sich vor allem mehr konsumfreie Räume zum Feiern. In Wien gibt es zwar solche Räume, allerdings zu wenige, mit zu geringen Förderungen und ohne Inflationsanpassungen – sie kämpfen also permanent ums Überleben. Auch die Akademisierung der queeren Partyszene wird im Forschungsprojekt kritisiert. Als studierende Person wird man auf einer queeren Party erfahrungsgemäß mit mehr Interesse in Gespräche eingebunden, als wenn man einer Lehre nachgeht. Ebenso kritisch besprochen werden das Weißsein vieler queerer Partys und die Trennung der unterschiedlichen Generationen. Ältere Queers kritisieren außerdem eine gewisse Entpolitisierung der jüngeren Partykultur: Sie fürchten, dass ein politisches Communitybuilding verloren gehe und nur noch das Feiern im Vordergrund stehe, was wiederum die queere Mainstreamisierung bestärkt und beispielsweise im Hype um Drag sichtbar werde.
EXKLUSIVITAT ALS POSITIVER BEGRIFF? In einer links-queeren Szene hat Exklusivität zwar einen schlechten Ruf, im Zusammenhang mit queeren Partys ist sie allerdings eine positive Referenz. Da queeres Nachtleben Räume für das Ausprobieren von Identitäten, Begehren und Körperlichkeiten bieten sollte, ohne hegemonialen Normen und dem Male Gaze ausgesetzt zu sein, wird das Mainstreaming von queerer Ästhetik zu einem Sicherheitsproblem. Wenn Menschen sich queere Codes aneignen, ohne die damit verbundene gesellschaftliche Diskriminierung und Gewalt fassen zu können, schafft das mehr Unsicherheiten für Queers. Die Exklusivität bestimmter (Party-)Räume hingegen kann Sicherheiten schaffen. Und das geht aus dem „QUEERDEM“-Projekt ganz deutlich hervor: Ein sicheres queeres Nachtleben ist ein Bedürfnis ganz unterschiedlich verorteter Queers.
Vielleicht werden in den nächsten Jahren viele neue queere Partyreihen entstehen, vielleicht sogar neue Bars oder Clubs. Ich hoffe sehr darauf. Solange das aber noch eine eher entfernte schöne Vorstellung ist, würde ich zumindest gerne mit meinen queeren Liebis auf Partys gehen, die wieder ein bisschen mehr nach Utopie riechen und auf denen ich mich als queere Person sicher fühlen kann. Dabei muss Sicherheit nicht unbedingt Exklusivität bedeuten, aber die neoliberale Aneignung queerer Ästhetik sollte definitiv exkludiert werden. Denn das geht sich einfach nicht aus.
QUEERDEM ist ein Forschungsprojekt, das von der Stadt Wien Kultur finanziert und von März 2023 bis August 2024 am Institut für Höhere Studien durchgeführt wird. Die Wissenschaftler*innen Laura Wiesböck, Ekat Osipova und Ella O’Connor beschäftigen sich darin mit den vielfältigen Ungleichbehandlungen von queeren Personen in deren diversen Lebensrealitäten sowie mit queeren Praktiken, alltagsbezogenen Wahrnehmungen und Perspektiven von LGBTQIA+-Personen in Wien.