Künstliche Intelligenz und Robotik sind dabei, unsere Arbeitswelt und unseren Alltag radikal zu verändern. Wie das passiert, sollten wir nicht allein weißen Männern überlassen. Von BRIGITTE THEIßL
„Könnten Sie sich in diesen Roboter verlieben?“, fragt ein Artikel auf cnbc.com. Das dazugehörige Bild zeigt Sophia, die wohl berühmteste Produktentwicklung von Hanson Robotics. Mit dem humanoiden Roboter machte das Hongkonger Unternehmen 2016 international Schlagzeilen. Sophia besitzt künstliche Intelligenz (KI), sie ist dazu in der Lage, Gesichter zu erkennen, imitiert menschliche Mimik und Gestik – und wird im Netz als „hot robot“ gefeiert. Eine täuschend echte Haut aus patentiertem Silikon und 62 verschiedene Gesichtsausdrücke verleihen der Roboter-Frau den menschlichen Anstrich. Bei ihrem Design ließ sich Firmengründer David Hanson von Audrey Hepburn und seiner Ehefrau inspirieren. Selbst Hollywood-Stars standen Schlange, um Sophia zu treffen: Late-Night-Host Jimmy Fallon zeigte sich „nervös wie beim ersten Date“, Will Smith versuchte, den Roboter zu küssen – und wurde prompt abgewiesen: „Da gibt es wohl noch einige Entwicklungsfehler“, so das Fazit des Schauspielers.
Digitale Vorurteile. Sophias Geschichte macht deutlich, wie Geschlechterstereotype und patriarchale Normen sich entgegen einstiger cyberfeministischer Träume auch in der Welt der Maschinen fortschreiben. „Technik ist niemals neutral. Es werden immer Stereotype im- oder explizit durch Technik reproduziert“, formuliert es Janina Loh, die an der Universität Wien zu künstlicher Intelligenz und Roboterethik forscht. Ingenieur*innen und Programmierer*innen geben ihre Wertvorstellungen nicht an der Bürotür ab. Es gibt mittlerweile unzählige Beispiele dafür, wie auch künstliche Intelligenz und Algorithmen diskriminieren. 2016 entdeckte eine Studentin, dass die Google-Suche nach „unprofessional hairstyles for work” ihr Bilder von Schwarzen Frauen mit offenen Haaren lieferte, während „professionelle“ Bilder weiße Frauen mit blonden Flechtfrisuren zeigten. Und auch die Spracherkennungssoftware von Google hat einen Gender Bias: Frauen versteht sie deutlich schlechter als Männer, wie die Linguistin Rachael Tatman in einer Studie belegte. Dass diese programmierten Vorurteile Menschen auch in ihren elementaren Rechten beschränken können, beweist „PredPol“, ein Algorithmus, der von der Polizei in Los Angeles gemeinsam mit lokalen Universitäten entwickelt wurde und als „Predictive Policing“-Werkzeug dient: Der Algorithmus durchsucht gesammelte Daten der Polizeistellen und liefert den Beamt*innen Vorhersagen, in welchen Gebieten voraussichtlich Straftaten begangen werden oder welche Menschen als besonders gefährlich einzustufen sind. Wie eine Gruppe von Forscher*innen der Human Rights Data Analysis Group am Beispiel Oakland herausfand, schickte das Programm Polizist*innen in jene Stadtviertel, wo besonders viele Schwarze Menschen leben.
Ruf nach mehr Diversität. Solche Beispiele müssen vor allem deshalb zu denken geben, da künstliche Intelligenz und Robotik nicht nur als wesentliche Zukunftstechnologien gelten, sondern bereits gegenwärtig unseren Alltag durchdringen. Sogenannte Chatbots nehmen Pizzabestellungen entgegen, machen Kaufvorschläge bei Amazon oder empfehlen neue Songs passend zum eigenen Musikgeschmack. In Krankenhäusern wird künstliche Intelligenz etwa bei der bildgebenden Diagnostik von Herzklappenfehlern herangezogen. Selbst darüber, ob wir bei einer Bank einen Kredit bekommen, entscheiden mittlerweile komplexe Computerprogramme – wie sie im Detail funktionieren, bleibt intransparent. Und auch Roboter sind als Dienstleister*innen im Haushalt und in Pflegeheimen oder als Kampfsysteme beim Militär im Einsatz.
Auch wenn künstliche Intelligenz immer noch meilenweit davon entfernt ist, ihr menschliches Pendant zu ersetzen oder gar zu übertrumpfen, konnten Entwickler*innen in den vergangenen Jahren bedeutende Fortschritte erzielen. Als ein solcher Meilenstein gilt eine KI der Firma DeepMind, der es 2016 und damit wesentlich früher als angenommen gelang, einen der weltweit besten „Go“-Spieler – ein äußerst komplexes, ostasiatisches Brettspiel – zu besiegen. Auf der Führungsebene des KI-Unternehmens, das 2014 von Google übernommen wurde, finden sich wenig überraschend ausschließlich Männer. Im Silicon Valley hat das System. Dort, wo die meisten relevanten Tech-Riesen sitzen, gibt immer noch ein Boys Club den Ton an. Das lässt sich auch mit Zahlen untermauern. Nur 18 Prozent Frauen finden sich beispielsweise unter den Programmierer*innen, Datenanalyst*innen und Ingenieur*innen von Microsoft, bei Google sind es 19 Prozent, die aktuellen Proteste machen deutlich, wie das Arbeitsklima dort für Frauen aussieht. Auch an den technischen Universitäten sieht das Geschlechterverhältnis in Fächern wie Elektrotechnik, Informatik oder Maschinenbau – trotz der Bemühungen unzähliger Initiativen – nach wie vor äußerst trist aus. „Wir müssen eine möglichst bunte und heterogene Menschengruppe für die Technikwissenschaften begeistern“, sagt dazu Technik-Philosophin Loh. Aber auch Ethikschulungen wünscht sich Loh für jene Menschen, die gegenwärtig im Bereich der Robotik arbeiten. „Es ist notwendig, dass die jetzigen Robotiker*innen ein Bewusstsein für die moralischen Herausforderungen, die mit der Konstruktion von Robotern einhergehen, erlangen“, so Loh. So könne auch ein Bewusstsein für die Normen und Werte entstehen, die Menschen in ihre Technologien einfließen lassen.
Größenwahn. Ob Elon Musk sich über solche Fragen den Kopf zerbricht, ist fraglich. Wie kein anderer steht er aktuell für jene Riege exzentrischer Tech-Millionäre bzw. Milliardäre, die mit ihren technologischen Entwicklungen die Welt und die Aktienkurse ihrer Unternehmen verbessern möchten. Musk wurde als Mitbegründer des Online-Bezahldienstes Paypal reich, stieg später beim Fahrzeughersteller Tesla ein, investiert in Solarenergie und private Raumfahrt. Seine Pläne für die Hochgeschwindigkeits-Variante des städtischen Individualverkehrs rechtfertigte Musk auf einer Pressekonferenz mit der simplen Feststellung, dass öffentliche Verkehrsmittel wie Busse schlicht ein „pain in the ass“ seien. Mit Fremden in einem Zugabteil? Da könnte auch ein Serienkiller an Bord sein.
Dass sich im Umfeld solcher Tech-Stars nahezu toxische Arbeitskulturen entwickeln, ist wenig verwunderlich: Wiederholt berichten Mitarbeiter*innen der Silicon-Valley-Riesen von sexistischen Sprüchen und Übergriffen, Mittagessen in der Tabledance-Bar und völlig entgrenzten Arbeitszeiten. Eine Kultur, in der Technologien entstehen, die nicht nur zukunftsweisend, sondern geschlechterpolitisch auch rückwärtsgewandt ausfallen können: „Die Zukunft der künstlichen Intelligenz mag weiblich sein, aber sie ist nicht feministisch“, schreibt Katrin Zimmermann im US-amerikanischen Tech-Magazin „Venture Beat“. Von Dienstleistungsrobotern bis hin zu intelligenten Assistentinnen wie Siri oder Alexa sei künstliche Intelligenz immer dann feminisiert, wenn sie fürsorglich daherkomme. Digitale Frauen als perfektionierte Care-Arbeiterinnen: „Immer hübsch, immer lächelnd, niemals ein böses Wort“.
Feministische Zukunftsfragen. „Es liegt in unserer menschlichen Hand zu entscheiden, welche Technik wir in welchen Bereichen und in welchem Ausmaß wollen“, sagt Janina Loh. Technologische Entwicklung sei schließlich keine Naturgewalt, sondern von Menschen gemacht. Euphorischen Ideen von technischen Systemen, die menschliche Schwächen gänzlich überwinden, steht die Philosophin ebenso skeptisch gegenüber wie jenen Kritiker*innen, die die Gefahr einer völligen Entmenschlichung wittern. „Wir können jedenfalls nicht fatalistisch die Hände in den Schoß legen mit dem müden Seufzer, dass ‚die Wirtschaft‘ sowieso den Gang der Geschichte bedingt“, sagt Loh.
Dass solche Zukunftsfragen auch am Arbeitsmarkt wichtige feministische Fragen sind, zeigt eine Untersuchung des World Economic Forums. Während in der Diskussion um Maschinen, die zunehmend menschliche Arbeitskraft ersetzen, immer noch das Bild des männlichen Fabrikarbeiters dominiert, sind es überwiegend Frauen, deren Arbeitsplätze künftig durch Automatisierung wegfallen könnten. So arbeiten an den bald automatisierten Supermarktkassen hauptsächlich Frauen, dort, wo neue Jobs geschaffen werden, fehlen sie hingegen: nämlich in den naturwissenschaftlichen und technischen Fächern. „Wir müssen Frauen dazu ermutigen, sowohl an der Forschung und Entwicklung von KI teilzuhaben als auch an der Diskussion über ihre Folgen. Ansonsten wird die Zukunft wieder einmal von einer Gruppe Männer hinter verschlossenen Türen bestimmt werden“, schreibt Zimmermann.