Love hurts! Von der frühen Ehekritik zu den Love Studies: Der feministische Blick auf Liebe war nie romantisierend. Von LEA SUSEMICHEL
Die Einsicht, dass Liebe etwas mit gesellschaftlichen Verhältnissen zu tun hat, kann sehr verstörend sein. Die Liebe zu unseren PartnerInnen, unseren FreundInnen, Kindern oder Eltern scheint zu unserem Privatesten, Persönlichsten und auch Wertvollsten zu gehören. Sie ist sinnstiftend und gilt als etwas, das uns im Innersten ausmacht. Die These, dass diese Liebe weder einfach „passiert“ oder uns wie eine Himmelsmacht überkommt, noch notwendigerweise mit der Muttermilch einschießt, sondern stattdessen immer auch das Resultat kultureller Konventionen ist, kann deshalb unser Selbstverständnis und unsere identitären Grundüberzeugungen zutiefst erschüttern.
Doch Feministinnen hatten schon sehr früh allen Grund dazu, der Liebe in ihren unterschiedlichen Formen zu misstrauen. Die Reinheit und Selbstlosigkeit, die sowohl der Mutterliebe als auch der romantischen Liebe zugeschrieben wurden, ging schließlich historisch meist auf Kosten der Frauen. Aufopfernde Liebe als weibliche Kardinaltugend wurde als perfide Strategie patriarchaler Macht entlarvt, um Frauen die selbstlose Sorge für ihre Liebsten zu überantworten und sie in der „Knechtschaft der Ehe“ zu halten.
Liebe wird oft überbewertet. Wenn Christiane Rösinger also „Liebe wird oft überbewertet” und „Pärchen verpisst euch“ singt, dann spricht sie nicht erst heute vielen Feministinnen aus den vorsorglich verhärteten Herzen. Schließlich stand das ideologische Ideal der romantischen, monogamen Paarbeziehung nicht nur weiblicher Selbstbestimmung im Weg, sondern auch der Herausbildung alternativer und egalitärer Liebes- und Lebensformen. Neue Beziehungsformen ohne Besitzansprüche zu entwickeln, war deshalb nicht nur erklärtes Ziel emanzipatorischer Bewegungen wie der 68er (die damit allerdings vor allem die sexuelle Verfügbarkeit von Frauen im Sinn hatten), es stand auch ganz oben auf der feministischen Agenda für eine bessere Welt. Entsprechend wurde nicht erst mit der Zweiten Frauenbewegung lesbisches und polygames bzw. polyamouröses Leben als privates wie politisches Projekt gegen männliche Herrschaft und Heteronormativität in Stellung gebracht. In die Kritik gerieten dabei auch die allgegenwärtigen verkitschten Liebesrepräsentationen und Liebesregime, die Menschen mit den falschen Körpern oder der falschen Herkunft bis heute systematisch ausschließen.
Liebe und Ethik. Auch wenn die feministische Kritik an Liebesverhältnissen zunehmend von einem Fokus auf Sexualität und den ihr innewohnenden Dominanzstrukturen abgelöst wurde, beforschten vor allem Differenzfeministinnen Liebe im engeren Sinne auch weiterhin. Sie setzten dabei etwa auf die Unhintergehbarkeit von Liebe als moralischer und verbindender Kraft. Feministische Ethikerinnen, allen voran Carol Gilligan, plädierten für die Anerkennung einer spezifisch weiblichen Fürsorge-Ethik, die dem männlichen Gerechtigkeitsempfinden gegenübergestellt werden müsse.
Doch trotz solcher vereinzelter Forschungsarbeiten bestand lange ein eklatantes Gefälle zwischen dem großen Stellenwert, den die meisten Menschen der Liebe in ihrem Leben einräumen, und der weitgehenden Ausblendung des Themas Liebe im akademischen Feld. Dieses Missverhältnis konstatieren auch Anna G. Jonasdottir und Ann Ferguson, die Herausgeberinnen des Bandes „Love: A Question for Feminism in the Twenty-First Century“. Seit den frühen 1990er-Jahren habe sich das allerdings schlagartig geändert, inzwischen könne von einem regelrechten wissenschaftlichen Boom des Liebesthemas gesprochen werden, was sich wohl nicht alleine durch das sozialwissenschaftliche Interesse an Phänomenen wie dem Singlestatus oder seriellen Beziehungen in der neuen Liebeslandschaft westlicher Gesellschaften erklärt.
Liebesarbeit und globale Revolution. Als lang unterdrücktes Wissen, das sich jetzt endlich Bahn bricht, könne diese Beschäftigung mit dem Liebestopos interpretiert werden, schreiben Jonasdottir und Ferguson. Genauso gut könne es aber auch als akademisches Ausschlachten des letzten Refugiums menschlicher Regungen interpretiert werden. Doch dieser Vorwurf lässt sich wohl selbst der feministischen Auseinandersetzung mit Liebe machen. Um die ungewürdigten und unbezahlten Leistungen von Frauen sichtbar zu machen, haben sich in feministischen Diskursen längst Begriffe wie Pflege- bzw. Sorgearbeit, aber auch explizit
„Liebesarbeit“ etabliert, womit letztlich eine Ökonomisierung von Lebensbereichen betrieben wird, die auf vielen anderen Ebenen scharf in der Kritik steht. Gleichzeitig macht die Benennung sichtbar, welche „Liebesdienste“ selbstverständlich von Frauen erwartet werden. Jonasdottir und Ferguson stehen in der Tradition eines materialistischen Feminismus – sie wollen Liebe und Arbeit als etwas verstanden wissen, das sowohl im Dienste von Befreiung stehen kann, wie es auch ausbeutbar ist, um Unterdrückungsverhältnisse zu sichern.
Man mag nicht alle Thesen und theoretischen Zugänge dieser neuen „Love Studies“ teilen, die so unterschiedliche Beiträge wie eine Analyse der Hochzeit der schwedischen Kronprinzessin, aber auch klassische Heteronormativitätskritik umfassen oder eine von liebevoller Zuwendung geprägte „Frauenzeit“ einfordern, um die herrschende „Zeit ist Geld“-Logik abzulösen. Die Einschätzung der Autorinnen, dass die feministische Theorie durch eine Forcierung feministischer Liebesforschung viel zu gewinnen hat, ist jedoch sicher nicht falsch. Schließlich finden sich unter den Beiträgen des Sammelbandes auch solche, die „Liebe als Schlüsselkonzept einer politischen Theorie globaler Revolution“ präsentieren und dabei auf „Liebe, Solidarität und Fürsorge“ als gemeinschaftsstiftende Kräfte setzen. Love Revolutions – das fordern Feministinnen letztlich also alle irgendwie.
* Anna G. Jonasdottir/Ann Ferguson (Hg.): Love. A Question for Feminism in the Twenty-First Century. Routledge 2013.