Der Faschismus steht vor der Tür, für den Straßenkampf sind Feminist:innen aber schlecht gerüstet. Filmemacherin Katharina Mückstein und an.schläge-Redakteurin Lea Susemichel im Gespräch über Selbstverteidigung und Rachegelüste.
Lea Susemichel: Ich möchte gerne mit einem Zitat der französischen Philosophin Elsa Dorlin einsteigen, die ein Buch über Selbstverteidigung geschrieben hat: „Die Möglichkeit, sich zu verteidigen, ist das ausschließliche Privileg einer herrschenden Minderheit“. Allen anderen Menschen, sagt Dorlin, würde jede Verteidigung, selbst die mit dem Ziel, am Leben zu bleiben, als Angriff ausgelegt. Sie zeigt das eindringlich am Fall Rodney King von 1991. Vor Gericht wurde der Videobeweis des brutalen Polizeiübergriffs auf King in Einzelbilder isoliert, seine Abwehrgesten wurden dabei zu Aggressionshandlungen umgedeutet. Gilt dieses Verteidigungstabu auch für Frauen?
Katharina Mückstein: Ja, das ist auch stark vergeschlechtlicht, siehe die Trope von der „Angry Black Woman“ oder unabhängig von Race auch die der hysterischen Frau. Frauen wird Aggression und Gegenwehr verboten, indem man sie pathologisiert oder abwertet. Diese Pathologisierung ist sehr wirkungsvoll und steckt in weiblicher Sozialisation von Anfang an drin. Wenn wir unsere Aggressionen ausleben, werden wir dafür gemaßregelt oder abgewertet. Wahrscheinlich werden uns dadurch unsere Selbstverteidigungsinstinkte schon sehr früh regelrecht abtrainiert.
L. S.: Weibliche Gegenwehr wird ja nicht nur stigmatisiert, sondern auch sanktioniert. Es gibt eine „Arte“-Reportage über „Gattenmörderinnen“ in Rumänien, wo hunderte Frauen im Gefängnis sitzen, weil sie ihre Männer umgebracht haben, von denen sie und oft auch ihre Kinder zuvor jahrelang misshandelt wurden. Die Urteile lauteten auf Mord, nicht auf Selbstverteidigung.
Und während weiße Frauen oft so inszeniert und politisch instrumentalisiert werden, dass sie männliche Beschützerinstinkte mobilisieren, werden Schwarze, queere oder anderweitig als deviant eingestufte Frauengruppen wie Sexarbeiterinnen oft als gefährlich und marodierend gebrandmarkt. Diese Dämonisierung weiblicher Wehrhaftigkeit zeigt sich historisch auch am Beispiel der „Tricoteuses“ während der französischen Revolution. Weil sich diese Revolutionärinnen für ihr Recht auf Bewaffnung, genau wie die Männer, eingesetzt und eine Frauenarmee gegründet haben, sind sie als mordlustige Monster in die Geschichte eingegangen.
Auch die Suffragetten haben Zentren errichtet, in denen Selbstverteidigung unterrichtet wurde, um Frauen im Kampfsport auszubilden. Bei ihren Aktionen haben sie auf zum Teil sehr lustige Überraschungstaktiken gesetzt. Sie haben z. B. den Polizisten die Hosenträger abgeschnitten, um sie so außer Gefecht zu setzen.
K. M.: Ich suche schon lange nach Bildern von gefährlichen Frauen bzw. weiblich gelesenen Personen. Ich möchte gerne sehen, wie jemand sich vor ihnen fürchtet, wie Männer sich fürchten! Als Filmemacherin bin ich immer auf der Suche nach solchen mächtigen Bildern und mächtigen Figuren. Aber die muss man wirklich suchen, weil sie immer wieder aus der Geschichte und auch aus der Bildgeschichte gelöscht wurden.
Diese Bilder sind so selten, dass mir beim Anschauen des Films „The Woman King“ die ganze Zeit die Tränen gekommen sind. So etwas habe ich noch nie auf einer Leinwand gesehen: Schwarze, bewaffnete Heldinnen, in dieser Größe, in dieser Glorifizierung. Aber leider hat er sehr wenig Publikum gehabt, offenbar scheint das nicht so gut zu gehen.
L. S.: Ganz genau so ging es mir bei „Wonder Woman“! Mir liefen bei den Kampfszenen tatsächlich ständig die Tränen. Obwohl es aus feministischer Perspektive viel Kritikwürdiges gab, war es tatsächlich der erste Film meines Lebens, in dem eine Kämpferin im Zentrum stand und so uneingeschränkt gefeiert wurde. In meiner Jugend gab es nur Prinzessin Leia aus Star Wars, die sich – im Bikini bekleidet – ausnahmsweise einmal selbst befreien durfte und ihren Peiniger mit der Kette erwürgt, mit der er sie gefangen hielt. Sonst gab es fast nichts, Frauen mussten immer und ausnahmslos untätig warten, bis sie von ihren Rettern befreit wurden. „Wonder Woman“ hat mich deshalb so derart aufgewühlt, dass ich meine damals noch viel zu kleine Tochter am liebsten sofort ins Kino geschleppt hätte.
Während Action-Filme mit Männern, die rumballern, allgegenwärtig sind, werden die seltenen Beispiele, in denen Gewalt von Frauen heroisiert und glorifiziert wird, schnell als gewaltverherrlichend problematisiert. Dasselbe passiert, wenn Feministinnen Bilder von Frauen mit Waffen cool finden, etwa von kurdischen Kämpferinnen.
K. M.: Ja, aber diese Bilder und die Möglichkeit zur Identifikation steht uns allen zu. Da ist moralisieren unangebracht. Es geht ja darum, dass wir – nicht nur als Kinder, sondern ein Leben lang – dieses Spiel mit Identität brauchen, um uns überhaupt Dinge vorstellen zu können. Wir müssen spüren, wie es sein könnte, jemand anderes zu sein, um eben diese Aspekte in uns selbst zu entdecken. Ich merke das zum Beispiel beim Kampfsporttraining: Wenn ich andere Frauen und genderqueere Leute sehe, die richtig gut und hart kämpfen, dann resoniert das in meinem Körper. Ich kann mir dann vorstellen, dass mein Körper das auch draufhat.
L. S.: Es gibt ja diesen schönen Satz, wonach Männer froh sein können, dass Feministinnen nur Gerechtigkeit wollen, und nicht Rache.
K. M.: Rache hat ja einen sehr lustvollen Aspekt. Ich denke, dass wir uns zumindest solche Fantasien erlauben oder auch Rache in Aktion bringen sollten. Um dem Patriarchat gefährlicher zu werden, wäre es wichtig, dass wir auch unsere Wut und unsere Rachegelüste spüren und miteinander teilen.
L. S.: Ist es nicht erstaunlich, dass es in der Realität nicht mehr Frauen gab, die Rache geübt haben? Dass es nicht mehr Aktionen wie das SCUM-Manifest von Valerie Solanas gab, in dem zur Vernichtung aller Männer aufgerufen wurde?
K. M.: Diese Frage treibt mich schon lange um. In meinem Film „Feminism WTF“ stelle ich sie ja aus dem Off: Warum gibt es keine Gegengewalt? Es ist doch wirklich erstaunlich, dass es so was wie feministischen Terrorismus gegen das Patriarchat quasi nicht gab! Wie ist es möglich, dass Freundinnen von einem Femizid-Opfer nie losgehen und Selbstjustiz üben? Dabei sind meine Fragen natürlich nicht fordernd oder an Einzelpersonen gerichtet gemeint. Mir ist klar, dass es eben aus der Sozialisation zur Wehrlosigkeit kommt, aber ich wünsche mir, dass wir die in uns selbst und in unseren queerfeministischen Organisationen bekämpfen.
L. S.: Ein zentraler Einwand gegen gewaltsame Militanz ist ja, dass Widerstand gewaltlos sein sollte, auch weil Gewalt immer Gewalt provoziert. Am Beispiel Klimaaktivismus wird allerdings sichtbar, dass selbst gewaltfreie Militanz wie Straßenblockaden oder Suppenaktionen im Museum, bei denen letztlich kein Schaden entsteht, als radikale „Aggression“ verhandelt wird, die Leute nur abschreckt und der Sache nicht dienlich ist – weshalb sich die Letzte Generation in Österreich ja auch aufgelöst hat. Das führt zurück zum Eingangszitat: Sogar Selbstverteidigung wird zu unangemessener Gewalt umgedeutet.
K. M.: Wir müssen zunächst mal unterscheiden zwischen politischem Aktivismus und dem Schutz unserer Körper bzw. unseres Lebens. Bei Aktivismus können wir diskutieren, wie gewaltvoll oder gewaltfrei Protest oder Aktion sein sollen. Ich persönlich wünsche mir sicherlich mehr Kante, als immer die andere Backe hinzuhalten. Beim Selbstschutz hingegen stellt sich die Frage nicht, welche gesellschaftspolitische Wirkung er hat. Dabei würde ich das Thema Schutz und Selbstverteidigung lieber von der individuellen auf die kollektive Ebene verlegen.
Einen Selbstverteidigungskurs zu machen ist natürlich total legitim und gut, es ist wichtig, die eigene körperliche Wirksamkeit zu erfahren. Aber der eigentliche relevante feministische Gedanke ist für mich: Was könnte denn Selbstverteidigung im Kollektiv bedeuten? Wie kann ich für andere einstehen, wie können wir uns gegenseitig schützen? Da sollten wir radikaler werden. Wir führen dieses Gespräch wahrscheinlich ein paar Tage, bevor die FPÖ dieses Land regieren wird. Wir wissen, was das für Feministinnen, Queers und rassifizierte Leute und unsere Organisationen bedeuten wird. Ich glaube, dass wir uns dringlich die Frage stellen müssen, wie wir uns und andere vor Angriffen schützen können.
Katharina Mückstein ist Filmregisseurin und Drehbuchautorin, ihr neuer Film beschäftigt sich mit feministischer Militanz. Sie ist Teil eines Projekts zur Stärkung kollektiver Selbstverteidigungsstrukturen.
Lea Susemichel ist Autorin und leitende Redakteurin der an.schläge und fragt sich immer schon, warum Frauen eigentlich nicht ständig Amok laufen.