Die in Großbritannien geborene, jüdische Journalistin und Autorin Natasha Lennard lebt in Brooklyn, New York, und hat schon zu Trumps erster Amtszeit vor einer faschistischen Konjunktur gewarnt. Irem Demirci hat sie zum Gespräch getroffen.
an.schläge: Sie sind Autorin zahlreicher Essays, in denen Sie sich mit „nicht-faschistischem“ Leben auseinandersetzen. Sprich damit, wie ein Leben außerhalb faschistischer Rahmenbedingungen aussehen kann. Inwiefern spiegelt die aktuelle politische Situation in den USA die Themen Ihrer Bücher wider?
Natasha Lennard: Ich habe diesen Essay-Band zwischen 2017 und 2021 geschrieben, also von der ersten Amtszeit Trumps bis zu Beginn der ersten Amtszeit Bidens. Und meine These ist heute wie damals, dass wir uns in einer faschistischen Konjunktur befinden. Ich begreife Faschismus als ein Konglomerat aus Prozessen und Aktivitäten und nicht als einen klar abgrenzbaren Zustand, in dem wir uns als Gesellschaft befinden oder nicht. Ein weiteres zentrales Problem ist, dass es aktuell keine institutionelle Opposition zu Trump gibt – weder in der Regierung und auch kaum in den Gerichten. Und trotzdem müssen wir uns an dem, was wir haben, festhalten, wenn wir dieser Art der Machtübernahme durch Trump, die sich möglicherweise auch in kommenden Generationen fortsetzen wird, wirklich etwas entgegensetzen wollen. Die Etablierung einer ernstzunehmenden Opposition allein wird das Problem nicht lösen. Es gilt, an den faschistischen Strukturen anzusetzen, die schon vor Trump in Amerika verankert waren, und sie zu bekämpfen. Strukturen, die Deportationen, Massenverhaftungen, fehlende Gesundheitsversorgung und das Verweigern von medizinischer Versorgung für trans Personen überhaupt erst möglich machen. Trump loszuwerden ist nicht unsere einzige Herausforderung, auch wenn es eine zentrale Aufgabe ist. Aber um tatsächlich zu verhindern, dass sich das alles wiederholen kann, müssen wir die Strukturen und Institutionen in den Blick nehmen, die sich in Dienst nehmen lassen, um People of Colour, Frauen, reproduktive Rechte, trans Menschen und Immigrant:innen anzugreifen.
Wie unterscheidet sich ein „Nicht-Faschismus“, wie Sie ihn definieren, von einem Anti-Faschismus?
Ich denke, dass wir beides anstreben sollten. Ich spreche von „nicht-faschistisch“ in Anlehnung an Michel Foucault, der sagte, dass es praktisch unmöglich sei, in einem politischen System wie diesem, in dem Kapitalismus und Grenzregimes dominieren, völlig anti-faschistisch zu agieren. Die Lösung des Problems besteht also nicht rein in der Beseitigung Trumps oder eines anderen faschistischen Machthabers. Vielmehr sollten wir auch bei uns selbst und unseren eigenen Glaubenssätzen ansetzen und wachsam gegenüber Mikro-Faschismen sein, wie es Foucault nennt, gegen gewaltsame Auswüchse des Kapitalismus und Grenzregime. Ich glaube, diese Gewohnheiten in den Alltag zu integrieren, ist essenziell. Man muss sich bewusst sein, dass es nicht allein darum geht, einen faschistischen Machthaber zu beseitigen, sondern darum, alle Formen von Gewalt in den Blick zu nehmen.
Rechte und rechtskonservative Medien in den USA hofieren die Regierung Trump – aber auch liberale Medien wie die „New York Times“ haben Probleme damit, klar zu benennen, was hier geschieht. Wie nehmen Sie die Berichterstattung wahr?
Es gab und gibt definitiv ein großes Versagen der Medien – der etablierten und auch der kleinen Online-Medien. Ich würde sagen, dass Fox News ein gutes Beispiel dafür ist, weil es praktisch ein faschistisches Organ ist – und das schon seit Langem. Aber auch die „New York Times“ genießt nach wie vor den Status der „Zeitung schlechthin“. Sie hat eine große Verantwortung, wenn es darum geht, zu entscheiden, was als normal angesehen wird. Das hat Trumps zweite Amtszeit mit ermöglicht. Teilweise hatte Trump leichtes Spiel, indem simplifizierende Antworten verbreitet wurden. Etwa, wenn es um seine Pläne geht, internationale Studierende abzuschieben, insbesondere solche, die im Zusammenhang mit der Pro-Palästina-Bewegung stehen. Die Medien verfolgen eine Strategie, die man auch bei der demokratischen Partei beobachten kann. Also: „Was tun wir als Demokraten, wenn ein Thema als nicht populär angesehen wird? Wir verkaufen Meinungen als Fakten.“ Etwa, dass Migration etwas Schlechtes sei und die Massen uns überfordern. Das vermittelt den Eindruck, dass weltweit am meisten Migration an der Grenze von Mexiko in die USA stattfindet und wir nicht die Ressourcen dafür hätten. Dabei schafft es in Wirklichkeit nur ein Bruchteil der Menschen auf der Flucht überhaupt in den Globalen Norden. Die Medien haben sich nicht darum bemüht, mit diesem Narrativ zu brechen.
Wie kann man in einem System, das Sie als ungerecht beschreiben, trotzdem für Gerechtigkeit kämpfen?
Wir lernen, mit Widersprüchen umzugehen und auch in Systemen, die nicht auf Gerechtigkeit ausgelegt sind, Ungleichheiten zu bekämpfen. Wir können nicht ignorieren, wie gewaltsam das amerikanische Justizsystem und die Geschichte des Gefängnisses in den USA sind. Und dass wir viele Rechte, die wir brauchen, um uns dagegen zu schützen, noch erkämpfen müssen. Ob ich glaube, dass Gerichtshöfe darauf ausgelegt sind, People of Colour, arme Leute, Immigrant:innen oder nicht-binäre Menschen zu schützen? Nein. Aber deshalb erst gar nicht vor Gericht zu ziehen, um ihre Rechte zu erkämpfen, ist definitiv auch keine Lösung und würde alles, was bisher erreicht wurde und von Trump vehement bekämpft wird, negieren.
Es ist kaum zu glauben, dass Trump nun erst etwas länger als über hundert Tage im Amt ist. Vieles liegt noch vor uns.
Das ist wirklich erschreckend. Erst rund hundert Tage sind vergangen und es ist nicht zu leugnen, wie kräftezehrend sie bereits waren. Aber genau das ist Teil der Taktik Trumps und seiner Administration. Sie folgen dem Ansatz von Trumps ehemaligem Berater Steve Bannon: „Flooding the zone with shit.“ Zum Teil rächt sich das auch schon jetzt, weil sie mit so viel Widerstand konfrontiert werden, etwa von den Gerichtshöfen. Und sie haben reichlich viele Fehler begangen. Trotzdem verfolgen sie ein Ziel: zu überfordern, eine Welle an Verordnungen zu beschließen und Forderungen zu stellen, erwartend, dass die Menschen nicht alles auf einmal abwehren können.
In Europa hören wir viel über Trumps politische Dominanz anstatt über den Widerstand gegen ihn. Nehmen Sie vor allem politische Erschöpfung wahr oder regt und stärkt sich der Widerstand?
Wenn man sich nur die demokratische Partei in Washington oder die demokratischen Gouverneure ansieht, wirkt es so, als gäbe es gar keinen oder nur sehr zaghaften Widerstand. Ich finde es nicht schlecht, dass Bernie Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez durch die USA touren. Es wird die Massendeportationen nicht stoppen, aber es wird die Leute animieren, zu protestieren. Ich glaube, ohne vereinte Gewerkschaften, ohne das Drohen mit Massenprotesten kriegen wir das nicht hin. Aber das benötigt natürlich viel Organisation. Das geht nicht über Nacht. Diese Abschiebungsmaschinerie gibt es schon seit Clinton. Proteste allein werden nicht reichen. Aber ich denke, wir sehen gerade, wie Menschen aus dem Umfeld der Betroffenen aktiv werden. Menschen müssen ihre Nachbar:innen schützen, die keine Dokumente haben und sich auf den Ernstfall vorbereiten. Wir sehen, dass diese Entwicklung stärker wird und ich hoffe, sie wird sich fortsetzen.
İrem Demirci (sie/ihr) studiert Politikwissenschaften in Wien. Ihre Arbeiten wurden bereits in verschiedenen Magazinen veröffentlicht. Sie hat einen Podcast über feministische Friedens- und Sicherheitspolitik moderiert und produziert. Außerdem schreibt sie Lyrik. In ihren Arbeiten setzt sie sich mit (post-)migrantischer Perspektive, feministischer Theorie, Sozialer Ungleichheit, Widerstand und Wut auseinander.