Jede dritte Person verlässt den Beruf, fast 12.000 Stellen sind derzeit unbesetzt – der Missstand in der Pflege ist nicht erst seit Corona Realität. Ende November wird endlich über die Pflegeinitiative abgestimmt, die bessere Arbeits- und Ausbildungsbedingungen verspricht, dabei aber recht unkonkret bleibt. Was bräuchte es zur Beseitigung des Pflegenotstands? Lea Dora Illmer fragt bei Aro Dedde, einer jungen Pflegefachperson eines Schweizer Krankenhauses, nach.
Die Neuansteckungen und Krankenhauseintritte steigen auch in der Schweiz wieder an, wir sind mitten in der vierten Welle. Wie geht es dir zurzeit?
Mir geht es zurzeit okay. Aber es geht nicht allen so. Ich habe das Glück, ein großartiges Team zu haben und auf einer Station zu arbeiten, auf der wir nur indirekt von der vierten Welle betroffen sind. Wir merken aber alle, dass wir aufgrund der an uns gestellten Erwartungen vonseiten der Arbeitgebenden, der Patient*innen und der Gesellschaft erschöpft sind.
Was sind die dringlichsten Probleme in der Pflege?
Wir Pflegefachkräfte sind konstant unter Druck. Wir müssen effizienter sein, mehr Patient*innen übernehmen, flexibler sein, mehr Verantwortung übernehmen und gleichzeitig die Qualität unserer Pflege gewährleisten und für die Patient*innen da sein. Das alles mit weniger Zeit, weniger Geld und auch weniger Motivation. Schlussendlich stehen wir vor den Patient*innen und müssen ihnen erklären, dass wir nur 15 Minuten haben, um sie bei der Körperpflege zu unterstützen, oder dass wir leider keine Zeit haben, um sie zu trösten, weil wir im Zimmer nebenan dringend gebraucht werden. Psychisch ist das sehr schwierig. Dazu kommt der Wechsel zwischen Früh-, Spät- und Nachtdienst, der körperlich sehr anstrengend sein kann und unser Privatleben stark beeinflusst. Für viele von uns ist es fast unmöglich, sich während der Freizeit psychisch und körperlich zu erholen.
Was wünschst du dir als Pflegefachperson über die Pflegeinitiative hinaus?
Ich wünsche mir Anerkennung. Finanziell, weil unsere Arbeit unterbezahlt wird. Mir ist es aber auch ein Anliegen, dass diejenigen Menschen, die Entscheidungsmacht haben, Pflegefachpersonen nach ihrer Meinung und ihren Bedürfnissen fragen und sie einbeziehen, wenn es um unser Gesundheitssystem geht. Ich wünsche mir mehr Unterstützung und Solidarität von der Gesellschaft. Pflegefachpersonen unterstützen Menschen, die in vulnerablen Situationen sind und Hilfe brauchen, wir sind immer da. Lasst uns nicht im Stich, wenn wir Unterstützung brauchen. •