Alle reden von „Remigration“. Doch die demokratische Öffentlichkeit darf nicht die Fehler der Vergangenheit wiederholen und solche Begriffe normalisieren. Von NATASCHA STROBL
Seit dem Vernetzungstreffen von hochrangigen AfD-Politikern und Neonazis vergangenen November in Potsdam, bei dem Pläne zur Vertreibung von Millionen von Menschen aus Deutschland gewälzt wurden, ist ein Begriff in aller Munde: „Remigration“.
Den Begriff haben allerdings nicht die Neuen Rechten erfunden, er hat vielmehr in den Sozialwissenschaften eine feste Bedeutung und wird vor allem in der Biografieforschung verwendet. Er bezeichnet den Vorgang der freiwilligen Rückkehr in ein Heimatland, nachdem man aus diesem zuvor migriert war. Entscheidend ist, dass er einen individuellen Vorgang in einer Biografie bezeichnet. Es geht also nicht um die Rückkehr in ein Land, aus dem zwar die Vorfahren stammen, aus dem man aber nicht selbst stammt. Zentral ist außerdem, dass es hierbei um eine persönliche und freiwillige Lebensentscheidung geht. Die Gründe für diese Rückkehr können höchst unterschiedlich sein und von Heimweh, ökonomischen Überlegungen bis hin zu Diskriminierung oder familiären Gründen reichen. Dieser Begriff wird nun von der Neuen Rechten zu etwas anderem umgedeutet: der staatlich forcierten Rückkehr. Er wird zum Oberbegriff für eine Reihe an staatlichen Zwangsmaßnahmen. Einerseits meint er Abschiebungen, die unter bestimmten Voraussetzungen schon jetzt vom Gesetz gedeckt sind und die bekanntlich auch jetzt schon stattfinden. Gemeint ist mit Remigration nun aber auch die erzwungene Rückkehr von Menschen mit aufrechtem Aufenthaltstitel oder gar Staatsbürgerschaft. Neben den legalen Abschiebungen sollen nämlich auch Ausweisungen aufgrund von „kultureller Ferne“ oder „Unerwünschtheit“ möglich sein, fantasieren Rechtsextreme.
Im Nachgang der Enthüllungen von „Correctiv“ gab es Versuche, „Remigration“ mit Abschiebungen synonym zu setzen. Für diese Abschiebungen gibt es unterschiedliche Kriterien, vor allem aber sind es mangelnde Fluchtgründe (oder was ein Gericht als solche befindet). Die Umdeutung von Remigration ist aber ein bewusst weiter gefasster Begriff.
In dieser Verwendung handelt es sich klar um einen Kampfbegriff der extremen Rechten. Die Verwendung von pseudowissenschaftlichem Vokabular soll Seriosität vortäuschen. Dasselbe hat man schon beim Begriff „Ethnopluralismus“ versucht. Gemeint ist damit das Phantasma aus ethnisch reinen Kulturen, die ohne jede „Vermischung“ koexistieren. Ein wahnwitziges Konzept, das es in der Menschheitsgeschichte nie gab. Neben „Ethnopluralismus“ und „Remigration“ gehört auch „der große Austausch“ zu den erfolgreichen Begriffsschöpfungen der letzten Jahre. Damit wird ein bewusst gesteuerter Austausch imaginiert, der von dunklen Eliten betrieben würde. Damit verwandt ist auch die Um- und Neudeutung des „Great Reset“ in der Corona-Pandemie, wonach unter dem Deckmantel von Corona eine politische Elite tiefgreifende Veränderungen durchsetzen wolle. Mit „Remigration“ wird erneut versucht, einen Begriff in den demokratischen Diskurs einzubringen, der mit einer Demokratie nicht vereinbar ist. Denn er ist ein Euphemismus für Vertreibung und ethnische Säuberungen. Medien und die demokratische Öffentlichkeit dürfen nicht den Fehler begehen, diesen Begriff als gewöhnliche Bezeichnung zu verwenden und so zu einem diskutierbaren Konzept zu machen. Stattdessen müssen sie den Begriff einordnen und erklären und höchstens unter Anführungsstrichen verwenden. Sonst droht dasselbe wie mit den zuvor erwähnten Begriffen: Die Alltagssprache wird mehr und mehr von rechtsextremer Sprache durchsetzt. Auch so macht man ein autoritäres System möglich.
NATASCHA STROBL ist Politikwissenschafterin und Publizistin.