Rechtsruck in Norwegen: Erstmals sitzen die Rechtspopulisten unter Parteichefin Siv Jensen als Partner in der Regierung, angeführt von den Konservativen rund um die neue Ministerpräsidentin Erna Solberg. VINA YUN sprach mit HILDE SOFIE PETTERSEN vom feministischen Magazin „Fett“ über die veränderten politischen Machtverhältnisse im Land.*
an.schläge: Nach den Parlamentswahlen im September haben die konservative Høyre-Partei und die rechtspopulistische Fremskrittspartiet (Fortschrittspartei) eine Minderheitsregierung gebildet. Was sind die größten Veränderungen, die du unter der neuen Regierung erwartest?
Hilde Sofie Pettersen: Aus feministischer Sicht gibt es einige wichtige Punkte: Die neue Regierung will Ärzt_innen erlauben, Behandlungen, die sie unethisch finden, nicht durchzuführen. Das ist ein Versuch, das Recht von Frauen auf Abtreibung, das seit 1978 Gesetz ist, aufzuweichen, indem die ärztliche Moral über Patientinnenrechte gestellt wird. Weiters wird die Väterkarenz von 14 auf zehn Wochen reduziert. Und es wird viele Ausnahmen geben, die es Arbeitgeber_innen leichter machen, Männer davon abzuhalten, überhaupt in Karenz zu gehen. Das ist schlimm für Väter, die aktiv an der Erziehung ihrer Kinder beteiligt sein möchten, und für Mütter, die die Verantwortung dafür nicht alleine tragen wollen. Es ist ein enormer gleichstellungspolitischer Rückschritt.
Die Regierung will zudem die finanzielle Unterstützung für Eltern ausweiten, damit diese bei ihren Kindern bleiben können, bis sie zwei Jahre alt sind. Die gesamte Forschung zeigt aber, dass es die Mutter ist, die zu Hause bleibt, weil der Vater mehr verdient als sie. Das heißt, dass Frauen noch weiter aus dem Erwerbsarbeitsprozess gedrängt werden. Wir wissen, dass das auch vor allem bedeutet, dass Migrantinnen schlechter integriert sein werden.
Ich fürchte auch, dass sich die allgemeine Bereitschaft, den Gesundheitssektor zu privatisieren und die Rechte von Arbeitnehmer_innen im Gesetz zu Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz zurückzufahren, negativ auf die allgemeine Wohlfahrt auswirken wird. Das schwächt nicht nur die Rechte von Frauen, sondern von allen, die sich auf den unteren Sprossen der gesellschaftlichen Leiter befinden.
Norwegen hat eine florierende Wirtschaft, gestützt durch die Einnahmen aus der Ölindustrie, und die niedrigste Arbeitslosenrate in Europa (2013: etwa 3,1 Prozent). Seine fünf Millionen Einwohner_innen haben den höchsten Lebensstandard der Welt. Warum konnte der Rechtspopulismus dennoch so viel Zuwachs verbuchen?
Wenn du siehst, dass deine Nachbarin ein brandneues Auto hat, willst du selbst auch eins, obwohl dein eigenes noch gut funktioniert. Man nennt es Gier. Die konservativen Parteien hatten gute Kampagnen, mit Fokus auf Steuern und Maut. Sie haben sogar Stimmen von jenen bekommen, die jetzt viel höhere tägliche Ausgaben haben werden. Auch wenn Steuern gesenkt werden – die Kosten für Kindergarten und Gesundheit steigen jetzt. Die Alleinerzieherin, die die Fortschrittspartei gewählt hat, wird das wahrscheinlich bereuen. Abgesehen davon glaube ich, dass viele der Leute, die Høyre gewählt haben, sich nicht vollständig darüber im Klaren waren, wie gut Høyre und die Fortschrittspartei miteinander können.
Wie reagieren Feminist_innen auf das Wahlergebnis, und wie wirkt es sich auf feministische Projekte wie das „Fett“-Magazin aus?
Wir sind natürlich nicht glücklich darüber. In den kommenden Jahren werden wir die wichtige Aufgabe haben, die verschiedenen Hindernisse für Gleichstellung aufzuzeigen. Wir sind ein idealistisches Projekt und werden nicht staatlich finanziert. Allerdings kommt ein Teil unserer Finanzierung daher, dass das Magazin von öffentlichen Bibliotheken gesammelt und angekauft wird, und wir sehen, dass Bibliotheken um ihre Finanzierung fürchten. Aber wir haben auch schon vor dieser Vereinbarung existiert, und wir würden auch ohne sie weitermachen.
Die Wähler_innen von Høyre und der Fortschrittspartei sind einander nicht so ähnlich, wie man glauben möchte, auch wenn beide in der Regierung sind. Høyre hat viele Unternehmer_innen, Wohlhabende und generell die Mittel- und Oberschicht als Wähler_innenschaft. Aber die Fortschrittspartei hat viel stärker die Arbeiter_innenklasse angesprochen, auch wenn es schwer vorstellbar ist, was ihre Politik den Arbeiter_innen als Gruppe Positives bringen soll. Sie war auch sehr attraktiv für xenophobe Teile der Bevölkerung.
Einige der heutigen konservativen und rechten Parteien in Europa werden erfolgreich von Frauen geführt, was oft als Widerspruch angesehen wird. Høyres Erna Solberg wurde von manchen sogar als „Norwegens Angela Merkel“ betitelt. Welche Gender-Ideologien vertreten Høyre und die Fortschrittspartei?
Ich würde sagen, dass sie antifeministisch sind. Wie jemand einmal sagte: „Eine Frau als Präsidentin ist nicht unbedingt die Präsidentin der Frauen.“ Obwohl wir eine Premierministerin haben, haben wir eine männliche Regierung, mit 72 Prozent Männern in Führungspositionen. Wenn Høyre und die Fortschrittspartei über die Gleichheit der Geschlechter reden, betonen sie, wie wichtig Wahlfreiheit ist – als hätten alle dieselben Voraussetzungen. Unsere Ministerin für Gleichstellung meinte etwa, die Tatsache, dass Organisationen, die sich für LGBTQ-Rechte einsetzen, staatliche Mittel bekommen, sei Diskriminierung – als ob es ihnen einen Vorteil gegenüber anderen Gruppen verschaffen würde. Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll, aber ich bin auf jeden Fall besorgt.
Nach dem Anschlag von Anders Behring Breivik wollte die vorige Regierung unter Jens Stoltenberg die Stärke der Demokratie und der Toleranz demonstrieren. Nun, zwei Jahre später, hat das Land einen Rechtsruck erlebt. Welche Bedeutung hat Breivik in der aktuellen öffentlichen Diskussion in Norwegen?
Das ist schwer zu sagen. Ich glaube nicht, dass die Menschen Breiviks Weltanschauung als Teil einer Partei-ideologie sehen. Ich denke, man sollte vorsichtig sein, eine Verbindung zu ziehen zwischen dem 22. Juli und der Tatsache, dass die Arbeiterpartei und Jens Stoltenberg es nicht geschafft haben, die Wahl zu gewinnen. Sie führten eine schlechte Kampagne und konnten ihre Botschaft nicht anbringen. Aber ich glaube, dass die ganze Breivik-Sache es schwieriger gemacht hat, vor rassistischen Elementen der Rechten zu warnen. Damit hätte man die „Breivik-Karte“ gespielt, und niemand in Norwegen wollte das tun. Niemand wollte sich des Versuchs verdächtig machen, jemand anderen als Breivik selbst für die Toten vom 22. Juli zur Verantwortung zu ziehen. Das haben wir sehr deutlich gesehen, als die internationalen Medien auf Breiviks Mitgliedschaft in der Jugendorganisation der Fortschrittspartei fokussiert haben. Sogar Jens Stoltenberg hat sie verteidigt. Und es stimmt, man sollte sich nicht zu sehr darauf versteifen.
Breivik war ein Mitglied, und er ist ausgetreten, weil er fand, dass die anderen seine extremen Ansichten nicht teilten. Aber es ist sehr traurig, wenn uns diese Tatsache daran hindert, über die extremen Ansichten, die ja in der Partei existieren, zu sprechen. Auch wenn sie nicht auf dem Niveau eines Breivik sind, gibt es xenophobe Elemente in ihrer Politik, bei denen ich hoffe, dass wir die Möglichkeit finden, sie zu diskutieren – ohne dass der 22. Juli in irgendeiner Weise involviert ist.
Wie hat es die Fortschrittspartei geschafft, ihr durch Breiviks Mitgliedschaft beschädigtes Image wieder aufzupolieren?
Tja … hast du deren Pressekonferenz gesehen? Sie wollten die internationalen Medien belehren. In Norwegen hat es ihnen nicht geschadet. Es ist bekannt, dass Breivik gegangen ist, weil er nicht die Unterstützung fand, die er wollte. International ist ihr Ruf ruiniert, und ich glaube, das wird so bleiben. Er sollte auch ruiniert sein, aber nicht wegen Breivik, sondern wegen ihrer Politik.
Hilde Sofie Pettersen ist Chefredakteurin des norwegischen feministischen Magazins „Fett“ mit Sitz in Bergen und Oslo.
http://fett.no
*Übersetzung aus dem Englischen: Susanne Kimm