Seit Ende des Lockdowns klagen Gastronomie und Tourismus besonders laut über fehlendes Personal. Zeit, über prekäre Arbeitsbedingungen zu sprechen, statt arbeitslose Menschen zu schikanieren, findet Alisa Vengerova.
Ich gehöre zu jenen Menschen, die vor der Pandemie in der Gastronomie gearbeitet haben und jetzt nicht mehr in ihren Job zurückkehren werden. Vollzeit arbeiten mit einem geringfügigen Vertrag und unbezahlte Überstunden sind seit jeher Alltag in Gastro-Jobs. Insbesondere bei Frauen kommt oft noch herablassende Behandlung und sexuelle Belästigung hinzu. Im Wissen, dass Kellnerinnen immer freundlich sein müssen, überschreiten viele Gäste jegliche Grenzen. Frauen in der Gastronomie werden oft reduziert auf lächelnde Tablett-Trägerinnen, die gehorsam und freundlich zu sein haben.
Durch die Krise spitzten sich die ohnehin prekären Arbeitsbedingungen weiter zu. Personal wurde trotz Kurzarbeitsregelungen ohne Aussicht auf Wiedereinstellung vor die Tür gesetzt. Wegen des niedrigen offiziellen Gehalts erhielten viele Kellner:innen oder Küchenhilfen kaum Arbeitslosengeld.
Jetzt, wo Cafés, Restaurants und Hotels wieder geöffnet haben, fehlt vielen Betrieben das nötige Personal. Dass so viele ehemalige Mitarbeiter:innen der Branche den Rücken gekehrt haben, verwundert kaum. Die Angst vor schlechten Arbeitsbedingungen ist groß – fast die Hälfte aller Tourismus-Mitarbeiter:innen haben sich während der Pandemie beruflich umorientiert. Die Tourismusbranche beklagt indes mit großem medialen Echo, sie würde trotz Rekordarbeitslosigkeit keine Arbeitswilligen finden. Als ehemalige Gastro-Angestellte kann ich dazu nur sagen: Die Lösung wäre so einfach. Zahlt den Leuten einen vernünftigen Lohn.
Aber davon ist in der aktuellen Debatte wenig zu hören. Anstatt die Frage zu stellen, warum wohl niemand mehr in der Gastronomie arbeiten will, statt bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne zu fordern, werden arbeitslose Menschen oft pauschal als faul dargestellt. „Viele Arbeitslose liegen entspannt in der sozialen Hängematte“, verlautbarte Mario Pulker, Obmann der Gastronomie in der Wirtschaftskammer, im „Kurier“. Was als Hilferuf getarnt daherkommt, ist im Grunde nichts anderes als eine Kampagne gegen Erwerbsarbeitslose.
Und diese Kampagne fällt bei der Volkspartei auf fruchtbaren Boden. Arbeitsminister Kocher möchte mit Verschärfungen der Zumutbarkeitsbestimmungen und niedrigerem Arbeitslosengeld Menschen in unattraktive und schlecht bezahlte Jobs zwingen. Die brutalen Schikanen, zu denen das AMS berechtigt ist, sollen also mit besonderer Härte durchgesetzt werden. Etwa indem das AMS für das Nichtwahrnehmen von (häufig völlig sinnlosen) Schulungsterminen oder das Ablehnen von Jobs – seien sie noch so mies – das Arbeitslosengeld streicht.
Die Regierung erfüllt so die Wünsche der Unternehmer:innen und lässt die Arbeitenden für die Krise zahlen. Nachdem Konzerne in der Krise Milliarden an Hilfsgeldern bekommen haben und mit Maßnahmen wie Kurzarbeit unterstützt wurden, sollen jetzt Menschen mit Kontrollen und Strafen in miese Jobs gezwungen werden – ein Klassenkampf von oben.
Und das geht nicht nur die Beschäftigten in der Gastronomie etwas an. Denn der Druck auf Arbeitslose bedeutet in letzter Konsequenz auch mehr Druck auf alle Arbeitnehmer:innen. Prekäre Arbeitsbedingungen werden einzementiert und ein Niedriglohnsektor nach deutschem Vorbild etabliert, mit dessen Gehaltsniveau man kaum mehr über die Runden kommt. Mindestlöhne im neoliberalen Kapitalismus sind nicht hoch genug, um ein menschenwürdiges Leben zu sichern, sondern so gering, wie der Markt es erlaubt. Billige Arbeitsplätze bringen mehr Profit – wenn wir Arbeitenden uns nicht dagegen wehren, werden die Löhne noch weiter sinken. Mit den Grünen im Schlepptau verwirklicht die ÖVP, woran sie seit über dreißig Jahren Regierungsbeteiligung unermüdlich arbeitet: ihren Feldzug gegen die Lohnabhängigen. Trotz dieser Politik können Kurz, Kocher und Co komfortabel auf eine rechte Mehrheit in diesem Land bauen. Allerhöchste Zeit, sich zu organisieren und erbitterten Widerstand zu leisten.
Alisa Vengerova ist Bundessprecherin von Junge Linke und hat jahrelang in der Gastronomie gearbeitet.