Attachment Parenting ist längst auch außerhalb von Elternratgebern zu einem Reizwort geworden. Der bindungsorientierten Erziehungslehre wird wahlweise zugeschrieben, feministisch oder antifeministisch zu sein. Der Versuch einer Klärung von CORNELIA GROBNER
Stereotype sind hartnäckig. Ein Bild, das in den letzten Jahren zwar aufgeweicht wurde, aber nach wie vor existiert, zeichnet Feminist_innen als anti-familiäre Mutterschaftsgegnerinnen. Dieses Bild hat sich besonders in der zweiten Welle des Feminismus ab den 1960er-Jahren geformt. Ikonen wie Simone de Beauvoir riefen Frauen dazu auf, sich vor der Mutterschaft zu hüten. Eine von Beauvoirs geistigen Nachfolgerinnen, Élisabeth Badinter, die in den 1980er-Jahren einen wichtigen Beitrag zur Dekonstruktion des Muttermythos geleistet hat, kritisierte erst in jüngerer Vergangenheit das Diktat der weiblichen „Natur“ in Elternschaftsfragen: Die Glorifizierung der aufopfernden Mutterrolle untergrabe die hart erkämpften Freiheiten für Frauen, so die Philosophin. Langzeitstillen und die augenblickliche und ausnahmslose Befriedigung der kindlichen Bedürfnisse durch die Mutter werden aus dieser Perspektive zu feministischen Feindbildern par excellence.
Konstruierte Gräben. Die Erziehungsphilosophie, deren Methodik elementar auf eben diesen Leitsätzen aufbaut, wird Attachment Parenting (1) genannt. Sie ist tonangebend im gesamten Alltag der Eltern, da das Konzept voraussetzt, dass zwischen ihnen und den Kindern in den ersten Lebensjahren eine intensive körperliche Nähe besteht – rund um die Uhr. In der praktischen Umsetzung heißt das: Tragetuch statt Kinderwagen und Wiege, sowie ständige unmittelbare körperliche Verfügbarkeit zum Dauerstillen und (nächtlichen) Beruhigen.
Die Lehre vom Attachment Parenting erregte im vergangenen Jahr die Aufmerksamkeit der deutschsprachigen Massenmedien, nachdem sie fünf Jahre davor im angloamerikanischen Raum rund um das Time-Cover „Are you Mom enough?“ Wellen geschlagen hatte. (Das Cover zeigte die Kalifornierin Jamie Lynne Grumet beim Stillen ihres damals knapp vierjährigen Sohnes.) Durch kalkulierte Provokationen wurde vor allem im Netz und in den sozialen Medien ein polarisierender Konflikt miterschaffen, der viele Mütter unter Druck setzte. Ein weiteres Kapitel im leidigen Mommy-Wars-Buch war eröffnet.
„Mommy Wars“ ist die abwertende Bezeichnung für öffentlich geführte Diskussionen über verschiedene Erziehungskonzepte. Es handelt sich dabei um eine Abwandlung der sexistischen Zickenkrieg-Unterstellung, die stets dann bemüht wird, wenn Frauen unterschiedlicher Meinung sind. Der inhaltlichen Diskussion wird damit die Legitimation entzogen. Neu an der Debatte um Attachment Parenting war, dass der Feminismus plötzlich als Komplize herangezogen wurde – und zwar von Befürworter_innen ebenso wie von Kritiker_innen. Beide medial zugespitzt formulierten Positionen behaupten von sich, für die Wahlfreiheit von Müttern einzustehen.
Warum Attachment Parenting nicht feministisch ist, sondern sogar als frauenfeindlich gesehen werden kann, lässt sich in Anlehnung an Badinter schlüssig begründen: Es fesselt die Frau und ihre Ressourcen wie kaum ein anderes Erziehungskonzept an ihre Rolle als altruistische Mutter und macht sie hauptverantwortlich für die psychische Entwicklung des Kindes.
Feministische Praxis. Im Gegensatz dazu beschreiben gerade feministische Mütter Attachment Parenting als zutiefst feministische Praktik. Tatsächlich wendet es sich in der gelebten Praxis gegen kapitalistische und patriarchale Strukturen. So ist etwa bedarfsorientiertes (Langzeit-)Stillen in den seltensten Fällen mit einer schnellen Rückkehr in den Beruf und einem neoliberalen Leistungsimperativ vereinbar. Das Babytragen, bei dem das Kind in sämtliche Aktivitäten der Mutter eingebunden werden kann, bringt das Private in die Öffentlichkeit, und durch das Co-Sleeping, bei dem sich Kinder und Eltern einen Schlafplatz teilen, wird das sexualisierte Ehebett jahrelang zum Familienbett umfunktionalisiert. Attachment Parenting ist darüber hinaus die radikale Weigerung, eine männerzentrierte (Medizin-)Geschichtsschreibung anzuerkennen, in der Frauen stets unmündige Objekte waren, denen erklärt wird, wie sie sich mit ihren Körpern zu verhalten haben.
Diese Argumente, die von anderen Feministinnen wiederum scharf als unfeministisch kritisiert werden, können nicht nur auf deutschsprachigen Elternblogs nachgelesen werden, sondern auch eine Untersuchung der Psychologinnen Miriam Liss und Mindy J. Erchull (2), für die sie über 430 Frauen befragt haben, kommt zu dem Ergebnis, dass Attachment Parenting viele feministische Implikationen habe.
Die Debatte um bindungsorientierte Elternschaft ist damit symptomatisch für einen ganz anderen Konflikt: Nach wie vor fühlen sich Mütter immer wieder von feministischen Diskursen ausgeschlossen, missverstanden oder gar bevormundet. Feministische Mütter empfinden sich entsprechend häufig als „atypische Feministinnen“, wie es in Liss’ und Erchulls Studie heißt.
Gefährliche Fixierung. Im deutschsprachigen Raum gibt es viele engagierte Befürworter_innen von Attachment Parenting, die dem Erziehungskonzept eine zeitgemäße, nicht an die biologische Mutter und ihre Instinkte geknüpfte Form geben. Sie predigen die Praktiken des Attachment Parenting nicht als rigides Regelwerk, sondern bieten diese vielmehr als Möglichkeiten im Umgang mit den eigenen Kindern an, die viele von der Eltern- und Großelterngeneration als „falsch“ oder „schlecht“ vermittelt bekommen haben. Parallel dazu stellen sie althergebrachte Erziehungskonzepte konsequent in Bezug auf ihre möglichen Auswirkungen auf die Entwicklung von Kindern infrage.
Attachment Parenting steht auch für das Recht von cis-Frauen ein, zu verstehen, wie ihre Körper funktionieren, was diese leisten und welche Bedürfnisse damit erfüllt werden können. Weil der Ausgangspunkt dafür aber immer die (gelebte) Elternschaft ist, bleibt die Lehre, so selbstermächtigend sie auf den ersten Blick erscheinen mag, einseitig und biologistisch. Denn die Betonung der gesellschaftlichen Stellung der Frau über ihre Mutterrolle ist gefährlich und spielt den Argumenten von reaktionären Kräften in die Hände.
Da Schwangerschaft, Geburt und Elternschaft dabei in einen tonangebenden Natürlichkeitsdiskurs einbettet werden, kann Attachment Parenting auf individueller Ebene als massiv einengend empfunden werden. Das Konzept erweist sich zudem als wahrer Quell für Schuldgefühle, wenn andere als die beworbenen Wege eingeschlagen werden und sich Mütter etwa gegen das Stillen entscheiden. Oder eingeschlagen werden müssen: Sind doch Erziehungsentscheidungen von Müttern, wie viele andere Handlungen von Frauen in einer patriarchalen Gesellschaft, vielfach nicht mehr als Überlebensstrategien.
Wertvolle Verbündete. Aus einer feministischen Haltung muss kritisiert werden, dass Attachment Parenting per definitionem Langzeitstillen, Dauertragen und Co-Sleeping als Königsweg nicht nur idealisiert, sondern als identitätsstiftende Praxis auch ideologisiert, was wiederum Ausschlüsse provoziert. Es unterwandert dadurch genau jene Wahlfreiheit von Eltern, die eigentlich propagiert wird.
Diese Ideologisierungen wirken in besonderem Maße, wenn das Kindeswohl als argumentative Stütze herangezogen wird. Deswegen braucht die oft zu Recht als gefährlich rückschrittlich empfundene Kritik an den steigenden Kaiserschnittraten, der exzessiven Pränataldiagnostik und den lauten Appellen für den schnellen beruflichen Wiedereinstieg eine klar feministische Kommentierung. Diese muss für damit verbundene Problematiken sensibilisieren, darf aber trotzdem nicht Gefahr laufen, einem Biologismus zu verfallen. Gleichzeitig muss aber auch bei einer emanzipatorischen Beschäftigung mit Mutterschaft ein Bewusstsein für die Vielzahl diskriminierender Verhaltensformen Kindern gegenüber entstehen sowie für die Machtposition, die Eltern einnehmen. Auch darauf machen wiederum Attachment-Parenting-Verfechter_innen dankenswerterweise aufmerksam, z. B. in Bezug auf das sogenannte Baby-Einschlaftraining („Ferbern“), bei dem man das Kind nachts schreien lässt.
Künstliche Kategorien. Pro- und Kontra-Abwägungen von Attachment Parenting aus feministischer Sicht befeuern das Narrativ der Mommy Wars – vielfältige Mutterschaftserfahrungen werden so in zwei enge Kategorien gezwängt. Das schafft Gräben, wo keine sein müssen. Da nach wie vor Mütter die Hauptlast bei der Betreuung von Kindern tragen, schützt eine moralisierende Diskussion über Erziehungsstile zwangsläufig auch den privilegierten Status Quo von cis-Männern. Es ist das alte Lied: Während Väter für jedes Zugeständnis Applaus ernten, müssen sich Mütter für Erziehungsentscheidungen rechtfertigen, was wiederum zu massiven inneren Konflikten führen kann. Solange der Diskurs um Elternschaft de facto ein Diskurs um Mutterschaft ist und Väter aus der Verantwortung gelassen werden, sollte feministische Kritik auf Parteiergreifung besser verzichten.
Sich aus einer feministischen Perspektive Elternschaft zuzuwenden, darf nicht heißen, individuelle Praktiken und Entscheidungen in den Vordergrund zu rücken. Stattdessen muss der Fokus auf gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Kontexte gerichtet werden, die diese bedingen oder eben verunmöglichen. Im besten Fall werden dadurch auch die Stereotype rund um die gern zitierte Wahlfreiheit von Müttern infrage gestellt: Denn Vollblutmutter und Karrierefrau sind genauso wenig einander ausschließende und alternativlose Kategorien wie Hure und Heilige. Mit Emanzipation hat die Schubladisierung von Lebensentwürfen bekanntlich nichts zu tun – egal, wie viele Schubladen zur Wahl stehen.
Cornelia Grobner ist freie Journalistin, Kommunikationswissenschaftlerin und Mitbegründerin von „umstandslos“, einem Online-Magazin für feministische Mutterschaft.
(1) Attachment Parenting in der heutigen Form haben vor allem der US-amerikanische Arzt William Sears und seine Frau Martha geprägt, die das pädagogische Konzept in Zusammenhang mit der Bindungslehre gebracht haben und es in den Dienst einer christlichen Erziehung stellen. Der konservative Hintergrund des Ehepaares sowie eine von Anhänger_innen mitunter radikalisiert ausgelegte Ideologie ist mit ein Grund, weswegen sich viele Verfechter_innen heute von diesem auch explizit distanzieren.
(2) Liss, Miriam / Erchull, Mindy J. (2012). Feminism and attachment parenting: attitudes, stereotypes, and misperceptions. In: Sex Roles. A Journal of Research. Springer, 131–142.
1 Kommentar zu „Mommy Wars, my ass“
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