Beim Anbau von Südfrüchten wie Mangos und Bananen passieren massive Menschenrechtsverletzungen. BRIGITTE THEIßL hat mit BARBARA SENNHOLZ-WEINHARDT von der NGO Oxfam über die Marktmacht von Handelsketten, sogenannte Ankerprodukte und notwendige Gesetzesänderungen gesprochen.
an.schläge: In Österreich wirbt der Verein Fairtrade aktuell mit dem Slogan: „Fairer Handel – es liegt in deiner Hand“. Liegt es tatsächlich in der Hand der Konsument*innen, unter welchen Bedingungen Bananen oder Kakao produziert werden?
Barbara Sennholz-Weinhardt: Grundsätzlich haben Konsument*innen nur einen sehr begrenzten Einfluss auf die Arbeitsbedingungen der Menschen. Sie können mit ihrer Kaufentscheidung den Supermärkten natürlich ein Signal senden: Es ist mir wichtig, dass es Produkte gibt, die unter menschenwürdigen Bedingungen entstehen. Fair Trade bietet hier einen deutlich effektivieren Ansatz als Unternehmens-Zertifizierungen wie „Rainforest Alliance“, bei denen unseren Untersuchungen nach auch auf zertifizierten Plantagen massive Arbeitsrechtsverletzungen geschehen. Fair-Trade-Produkte machen aber nur einen sehr kleinen Teil des Umsatzes der Supermärkte aus. In Deutschland haben praktisch alle Supermärkte auch Fair Trade im Angebot, aber als Zusatz zu den konventionellen Produkten. Das ist eine perfide Strategie: Die Verantwortung wird auf den Konsumenten abgewälzt. Hier ist die faire Banane und hier die unfaire – so werden Menschenrechte zur Konsumware.
Bei Billa, einem österreichischen Supermarkt, kostete ein Kilo „San Lucar“-Bananen im April 1,89 Euro, ein Kilo Gala-Äpfel aus Österreich 2,79 Euro. Wie entsteht dieser Preis – warum sind die Bananen so viel billiger als heimische Äpfel?
Bei Bananen sind Supermärkte der Meinung, dass diese ganz besonders billig sein müssen, weil es sogenannte Ankerprodukte sind. Man geht davon aus, dass potenzielle Kund*innen sich aufgrund der Preise solcher Ankerprodukte dafür entscheiden, in den bestimmten Supermarkt zu gehen oder nicht. Deshalb nutzen sie hier ihre Einkaufsmacht, um den Preis ganz besonders gering zu halten. Der Rekord, den wir gesehen haben, war 77 Cent das Kilo, das war bei Edeka in Deutschland. Handelsketten sind hochzentriert, wenige Unternehmen haben das Sagen. Die Schwarzgruppe, zu der der deutsche Diskonter Lidl gehört, ist z. B. der größte europäische Einzelhändler und die Nummer vier weltweit. Solche Unternehmen haben durch ihre Einkaufsmacht einen großen Einfluss auf die Arbeitsbedingungen der Menschen vor Ort. Sie diktieren durchaus hohe Qualitätsstandards bei den Produkten, bei sozialen Standards und Umweltstandards nutzen sie diese Macht aber kaum, sondern achten primär auf einen möglichst billigen Einkaufspreis. Zu den Preisen, zu denen die Unternehmen einkaufen wollen, ist eine sozial gerechte und eine biologisch nachhaltige Produktion gar nicht möglich. Diese niedrigen Preise sind nur aufgrund der Ausbeutung der Menschen in den Produktionsländern möglich.
Oxfam betreibt die Kampagne „Make Fruit Fair“. Was liegt beim Anbau von Südfrüchten besonders im Argen?
Wir haben uns vier Früchte jeweils mit eigenen Studien angesehen. Bananen, Trauben, Mangos und Ananas. Landarbeiter*innen im Traubenanbau in Südafrika verdienen etwa Löhne unter dem Existenzminimum, nur drei Prozent aller Landarbeiter*innen auf dem Westkap sind gewerkschaftlich organisiert. Auch auf den Ananas-Plantagen in Costa Rica finden wir Löhne unterhalb des Existenzminimums, Arbeitsverträge werden nicht ausgehändigt, Sozialversicherungskosten nicht bezahlt. Besonders drastisch sind aber auch gesundheitliche Schäden durch den Einsatz von Pestiziden. Beim Obstanbau werden hochgiftige Pestizide eingesetzt, die in Europa zum Teil gar nicht zugelassen wären. Schutzkleidung wird gar nicht erst ausgegeben oder kaputte nicht erneuert, zum Teil wird gesprüht, während Arbeiter*innen auf den Plantagen sind. Oder aber Wartezeiten nach dem Einsatz von Pestiziden werden nicht eingehalten. Die Folge sind erhebliche Gesundheitsschäden. Das heißt wir sehen bestimmte Menschrechtsverletzungen immer wieder, egal, welches Produkt wir anschauen.
Sind Frauen von diesen Menschenrechtsverletzungen besonders betroffen?
Ja, in vielerlei Hinsicht. Löhne unterhalb des Existenzminimums sind vor allem dort zu finden, wo viele Frauen arbeiten. Bestimmte Missstände betreffen Frauen außerdem stärker, z. B. ein Mangel an sanitären Anlagen. Wenn es keine Toiletten gibt und die Arbeiter*innen gezwungen sind, sich in der Natur zu erleichtern, steigt die Gefahr von sexuellen Übergriffen. In Südafrika haben wir mit einer Partnerorganisation zusammengearbeitet und Frauen außerhalb der Plantagen befragt. „Man kann nichts dagegen tun, wenn man sich beschwert, schicken sie einen für eine Woche nach Hause – ohne Bezahlung“, so das Zitat einer Betroffenen.
Wo setzt Oxfam also an, um Verbesserungen für die Arbeiter*innen durchzusetzen?
Mit unseren Kampagnen möchten wir Missstände aufzeigen und Druck auf Handelsketten ausüben. Wir haben dabei auch schon Teilerfolge erzielt, z. B. Verbesserungen des Gesundheitsschutzes auf einzelnen Plantagen. Wir sehen aber auch, dass solche Verbesserungen begrenzt sind, solange kein systematischer Wandel in der Geschäftspolitik der Unternehmen passiert. Wir gehen politisch also zweigleisig vor. Auf der einen Seite führen wir unsere Kampagnen fort, aber wir fordern auch gesetzliche Regelungen – gemeinsam mit vielen anderen NGOs. Denn letztendlich handelt es sich um Gesetzeslücken. Warum ist es überhaupt erlaubt, in europäischen Supermärkten Produkte zu verkaufen, die unter menschenunwürdigen Bedingungen hergestellt wurden? Deshalb fordern wir ein Gesetz unter dem Stichwort menschenrechtliche Sorgfaltspflicht, das tatsächlich Unternehmen verpflichtet, im Rahmen ihrer Möglichkeiten dafür zu sorgen, dass innerhalb der Lieferketten Menschenrechtsverletzungen gestoppt werden. Außerdem muss die enorme Marktkonzentration im Lebensmitteleinzelhandel aufgebrochen werden. Wir fordern eine Änderung des Wettbewerbs- und Kartellrechts, damit die enorme Marktmacht einzelner Akteur*innen begrenzt wird. Zum Missbrauch der Marktmacht gibt es einen Vorschlag der europäischen
Kommission zu sogenannten unfairen Handelspraktiken – gemeinsam mit anderen NGOs arbeiten wir daran, dass dieser weiter verbessert wird.
Bei Oxfam wurden kürzlich sexuelle Übergriffe/sexuelle Ausbeutung durch Mitarbeiter u. a. in Haiti bekannt. Welche Konsequenzen zieht Oxfam daraus?
Nachdem die Vorfälle 2011 gemeldet worden sind, hat Oxfam Großbritannien sein Safeguarding-System weiterentwickelt und gestärkt: Es wurden ein spezielles Safeguarding-Team und eine anonyme Whistleblowing-Hotline eingerichtet sowie regionale und lokale Ansprechpersonen, die in der Behandlung von Fällen sexueller Gewalt speziell geschult sind, eingestellt. Nachdem die Vorfälle von 2011 jüngst wieder ausführlich in den Medien thematisiert wurden, ist Oxfam einen weiteren Schritt gegangen und hat einen umfassenden Aktionsplan vorgestellt, mit dem es noch energischer gegen Belästigung und sexuelle Ausbeutung in der Organisation vorgehen, die Safeguarding-Maßnahmen weiter verbessern und vereinheitlichen will. Darüber hinaus unterstützt Oxfam sektorweite Diskussionen und Initiativen, wie z. B. die Einführung eines Humanitarian Passports und die Einrichtung eines Global Center for Safeguarding.
Barbara Sennholz-Weinhardt ist Referentin für Wirtschaft und Globalisierung bei Oxfam Deutschland. Sie arbeitet dort u. a. zu Unternehmensverantwortung und einer sozial-ökologischen Transformation der Wirtschaft.