Frauenbewegung, Hausbesetzung und Disco: Die 1970er-Jahre haben die Gesellschaft mit neuen Ideen und Ideologien nachhaltig verändert. FIONA SARA SCHMIDT hat die umfassende Schau unter dem Motto „Damals war Zukunft“ auf der Schallaburg besucht.
Die aktuelle Überblicksschau in der Schallaburg bei Melk , die ein beliebtes Ausflugsziel ist, vermittelt auch die eigene Geschichte. Das zeigt die detailverliebte Herangehensweise des gesamten Teams der 70er-Ausstellung „Damals war Zukunft“: Am Eingang des Museumsshops flattern gebatikte T-Shirts, das Restaurant im Hof serviert geschichtsbewusst exotisch-biederen Toast Hawaii und originalgetreue Sticker mit politischen Forderungen liegen zur Mitnahme bereit.
Spagat in Orange. Die Ausstellung hat sich viel vorgenommen, beeindruckt mit Materialfülle auf engem Raum und spricht ein breites Publikum an. Ihr gelingt dabei der Spagat zwischen historischen Fakten und gelebtem Alltag. Als roter Faden werden „am laufenden Band“ typische Alltagsgegenstände präsentiert, was Assoziationen zur gleichnamigen Fernsehshow mit Rudi Carrell weckt, andererseits aber freudige Aha-Momente angesichts generationenprägender Konsumgüter wie dem tragbaren Kofferplattenspieler, der spacigen Trockenhaube oder dem Puch-Motorrad schafft. Das Förderband symbolisiert gleichzeitig das Voranschreiten der Massenproduktion und arbeitsrechtliche Kämpfe wie die Durchsetzung der Vierzig-Stunden-Woche. Hochaktuell sind auch nach wie vor die auf dem Spiel stehenden Errungenschaften des Wohlfahrtsstaats unter der Regierung Kreisky und die Macht der Medien, die mit der Größe der heimischen Farbfernseher wuchs.
Einen Schwerpunkt der Schau bilden Neue Soziale Bewegungen, die Besucher_innen werden dazu angeregt, sich zu fragen, inwieweit die damaligen Forderungen noch in die Gegenwart reichen: Proteste gegen das Atomkraftwerk Zwentendorf, Hausbesetzungen, Arbeitskämpfe, die Fristenlösung und Gleichstellung von Lesben und Schwulen. An Schulklassen richtet sich die „Do-it-Yourself-Werkstatt“, die nach Möglichkeiten des Aufbegehrens und Nutzung von Freiräumen fragt: „Wer macht Regeln, und müssen wir sie immer befolgen?“
Debattenkultur. In der Sofaecke, die im Stil des historischen „Club 2“-Studios (rauchgeschwängerte Luft und Nina Hagens Masturbationsdemonstration!) gestaltet ist, lässt sich innehalten. Fünf „Debattenräume“ sollen zur Diskussion anregen. Das funktioniert gut an diesem bestens besuchten Sonntag, vor allem Familien kommen generationenübergreifend ins Gespräch.
Die Ausstellungsmacher_innen setzen ebenfalls auf kollektive Prozesse und Diskussionskultur: Mit dem kuratierenden Büro trafo.K hat sich die Schallaburg ein Team ins Haus geholt, das schwerpunktmäßig zu emanzipatorischen Bildungsprozessen arbeitet. Zusätzlich zeichnen sechs Wissenschaftler_innen für die vielfältigen Inhalte verantwortlich. Die Ausstellungsarchitektur stammt von Gabu Heindl, die schlichte Holzkästen als Displays für kleinere Exponate und eine moderne Optik gewählt hat, lediglich die Farbwahl zitiert die poppigen Seventies. Die Materialen sind schlicht und spielen mit einer DIY-Ästhetik, die durch die massenhafte Verbreitung vom WG-Zimmer aus schon selbst zum IKEA-Mainstream geworden ist. Zahlreiche Fenster nach draußen wurden geöffnet und auf hippieeske Flokati-Nostalgie verzichtet.
Als „Ouvertüre“ wird im ersten Raum die Themenvielfalt als „Wunderkammer“ aufgemacht, um dann in sieben Kapiteln, die nach Slogans wie „Macht kaputt, was Euch kaputt macht“ benannt sind, mit verschiedensten Medien und Exponaten ausdifferenziert zu werden. Manches kommt dabei zu kurz, Arbeitsmigration nach Österreich und globale Wirtschafts- und Ausbeutungsverhältnisse werden etwa nur auf kleinem Raum angerissen und hätten ausführlicher behandelt werden können.
Internationale Solidarität. Wer den ersten Teil aufmerksam studiert hat, ist beim internationalen Fokus im zweiten Teil nochmals gefordert: Aufarbeitung der NS-Zeit und Erinnerungspolitiken in der Nachkriegszeit, die Waldheim-Affäre. Der Blick über den österreichischen Tellerrand öffnet sich auf globale Zusammenhänge wie den Kalten Krieg und den Unabhängigkeitskampf in Südamerika. Bei fünf künstlerischen Installationen, einem Kino, dem Disco-Raum mit Platten und Kostümen sowie dem Wunsch nach Diskussionen mit anderen Besucher_innen verliert man zwischendurch schon mal den Überblick innerhalb des bewegten Jahrzehnts. Der Kopf raucht. Bei Online-Anmeldung vorab kann allerdings zum gleichen Preis der Eintritt für die gesamte Ausstellungsdauer gebucht werden, so können bei mehreren Besuchen jeweils Schwerpunkte gesetzt werden.
Feministische Kämpfe. „Visionen von einer besseren Welt“, alternative Wohnformen wie Kommunen und neue Erziehungskonzepte wie Kinderläden lassen Lebensmodelle abseits von der heterosexuellen Kleinfamilie entstehen. Gegen staatliche Repressionen wie Heimerziehung wird aufbegehrt, linke Freiräume wie die Wiener Arena durch Hausbesetzungen geschaffen. Kanonisierung von Wissen wird hinterfragt, Geschichte gegen den Strich gedeutet. Die Zeitschrift „AUF“ wird 1974 gegründet, Frauenzentren und -beratungsstellen entstehen – jene, die überlebt haben, sind bis heute wichtige frauenpolitische Institutionen, immer im Spannungsfeld zwischen Autonomie und Abhängigkeit von staatlicher Förderung. Im knapp vierhundert Seiten starken Katalog, der neben den Ausstellungsschwerpunkten zahlreiche Alltagsgeschichten und Bilddokumente erhält, schreibt Maria Mesner dazu: „Tatsächlich zeigte die Etablierung solcher organisatorischer Orte außerhalb der traditionellen Parteien und Institutionen einen Wandel in der politischen Kultur der Zweiten Republik an.“ Ab 1975 wurde das Familienrecht reformiert, 1979 zwei Staatssekretärinnen für „Frauenfragen“ installiert.
Ein solcher Fokus auf die Bewegungen von unten, die Darstellung des Kampfs um Frauen- und Homosexuellenrechte, erzählt aus Aktivist_innen-Perspektive, all das wäre in solch einer sich an ein breites Publikum richtenden Überblicksschau wohl noch vor zehn Jahren nicht denkbar gewesen – allein das lohnt den Besuch.
Die 70er – Damals war Zukunft
bis 6.11., 3382 Schallaburg 1