Was Frauen* mit Behinderungen brauchen, um ihre Rechte einfordern zu können, und wie der neue Verein FmB versucht, Strukturen für Crip-Futures zu schaffen.
Von EVA ROTTENSTEINER
Um seine Rechte einfordern zu können, brauchen Frauen* zwei Dinge: materielle Sicherheit und ein eigenes Zimmer. Was Virginia Woolf eigentlich für Schriftstellerinnen postuliert hat, lässt sich auch auf den Kampf im Patriarchat übertragen. Viele Frauen* mit Behinderungen haben jedoch weder materielle Sicherheit noch ein eigenes Zimmer, etwa wenn sie in Heimen oder WGs leben. Auch im übertragenen Sinne fehlen Räume, in denen sie sich politisch vernetzen können. Das will der Verein FmB, die Interessensvertretung Frauen* mit Behinderungen, ändern. Es ist der bislang einzige unabhängige politische Zusammenschluss von Frauen* mit Behinderungen in Österreich. „Wenn nicht wir, dann macht es keiner“, so der Gedanke der Gründerinnen Heidemarie Egger, Julia Moser und Eva-Maria Fink.
Safer Spaces ohne Selbsterhöhung. Auch Schwarze Feministinnen wie bell hooks betonten die Bedeutung von Safer Spaces gegen rassistische und sexistische Unterdrückung und zur Förderung kollektiver Resilienz. Gerade jene Mitglieder, die beruflich für die Rechte von Menschen mit Behinderungen kämpfen, schätzen den geschützten Raum: „Auch mal darüber reden, was schwerfällt und mal nicht die starke Person sein zu müssen, weil man sonst nicht ernst genommen wird oder es Bewunderung regnet.“ Übertriebene Komplimente und Bewunderung für ganz normale Handlungen erleben Menschen mit Behinderungen häufig. „Inspiration Porn“ nannte das die verstorbene behinderte Aktivistin und Komikerin Stella Young. Dabei störe weniger die Bewunderung, schließlich ist es ein Kraftakt, in einer ableistischen Welt zu navigieren. Was aber mitschwingt: „Behindert zu sein muss miserabel sein, zum Glück bin ich normal.“ „Bei FmB können wir uns gut ohne Selbsterhöhung untereinander bewundern“, sagt Egger.
Für Frauen* mit Behinderungen sind aktivistische Räume, in denen es um ihre Rechte geht, oft mit Ausschlüssen verbunden. „Die typische Person, die Menschen mit Behinderungen vertritt, ist ein Mann mit Behinderungen zwischen vierzig und fünfzig“, sagt Egger. Man habe übersehen, sich als Bewegung mit Themen wie Sexismus oder Rassismus auseinanderzusetzen. Das zeige sich auch in einem fehlenden Verständnis für intersektionale Diskriminierung. Heidemarie Egger erklärt es so: „Wenn ich in meinem Alltag Abwertung erlebe, frage ich mich oft, ob ich die erlebe, weil ich eine Frau bin oder weil ich eine Behinderung habe oder wegen beidem kombiniert.“
Auch in feministischen Räumen fällt es oft schwer, sich in die Lebensrealität behinderter Frauen* hineinzuversetzen. Heidemarie Egger überrascht das nicht. Während Frauen* ohne Behinderungen etwa gleichen Lohn oder faire Aufteilung von Sorgearbeit fordern, kämpfen Frauen* mit Behinderungen nebenbei noch für die Basics: um einen Ausbildungsplatz, barrierefreie gynäkologische Untersuchungen oder einfach selbst entscheiden zu dürfen, wann man duscht. „Es ist anstrengend, immer das behinderte Einhorn zu sein, mit dem niemand relaten kann“, sagt Heidemarie Egger.
WERTVOLLE WERKZEUGE. Dazu kommen andere Barrieren. ÖGS-Dolmetschung, barrierefrei zugängliche Vernetzungslokale oder ein Austausch in Leichter Sprache muss oft erst eingefordert werden. „Barrierefreiheit wird als belastend wahrgenommen, als etwas, das man extra organisieren muss und wofür kein Budget eingeplant war“, erzählt Egger. Man wird schnell als mühsam abgestempelt oder gleich selbst zur Beauftragten für Barrierefreiheit.
Das kostet viel Kraft und Ressourcen, die man oft nicht hat. Auch Frauen* mit Behinderungen übernehmen zu Hause die meiste Sorgearbeit und müssen dazu noch ihre Behinderung managen. Je nach Behinderung oder chronischer Erkrankung bedeutet das etwa, Anträge für Finanzierungen stellen, das Persönliche-Assistenz-Team koordinieren, Therapietermine wahrnehmen, mit den begrenzten „Spoons“ (siehe Glossar) haushalten. FmB-Treffen finden nur in barrierearmen Gebäuden statt. Schriftdolmetschung und ÖGS wird nach Bedarf organisiert. „Barrierefrei heißt auch, Pausen zu machen und sich zu überlegen, wie man Gespräche in kleineren Runden fördert“, sagt Egger.
Durch erschwerte Zugänge zu feministischen Räumen bleibt auch der Zugang zu Strategien beschränkt. „Dabei böten gerade feministische Diskurse wertvolle Werkzeuge für Frauen* mit Behinderungen“, sagt Egger. Etwa könnten Bewältigungsstrategien von BIPoC-Frauen* für erlebte Mikroaggressionen im Alltag hilfreich sein: Wenn eine blinde Frau* mal wieder ohne ihre Zustimmung über die Straße gezerrt, eine Frau* mit Lernschwierigkeit mal wieder als einzige geduzt oder mal wieder nur mit der Begleitperson gesprochen wird.
EMPOWERMENT THROUGH WELLNESS. Ein Blick in Schwarze Geschichtsbücher zeigt die in Vergessenheit geratenen solidarischen Kontinuitäten zwischen Schwarzen Aktivist:innen und Menschen mit Behinderungen. Nach dem Leitsatz „Empowerment through Wellness“ entstanden im Rahmen des nationalen „Black Women’s Health Projects“ der 80er-Jahre unterstützende Räume für Schwarze Frauen* und Mädchen, in denen sie sich über gesundheitliche Herausforderungen austauschen konnten. Auch Frauen* mit Behinderungen erhielten hier Unterstützung durch die Gruppe. Außerdem wären das berühmte „504 Sit-in“ von 1977, bei dem behinderte Aktivist:innen für 25 Tage das Gebäude des US-Sozialministeriums in San Francisco besetzten und die Verankerung ihrer Rechte einforderten, ohne die tägliche Versorgung mit Suppe durch die Black Panthers nicht möglich gewesen. Auch bei FmB spürt man diese Solidarität und erzählt von dem wertvollen Austausch mit feministischen BIPoC-Gruppen.
VON CRIP-WISSEN PROFITIEREN. Feministische Diskurse wiederum könnten von Crip-Wissen profitieren, gerade in Bezug auf kollektive Fürsorge und solidarische Netzwerke. Menschen mit Behinderungen werden in unserer Leistungsgesellschaft vielfach als wirtschaftlich nicht verwertbar und somit als wertlose, verzichtbare Körper markiert. Noch immer brauchen Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf eine Genehmigung, um die Matura machen zu dürfen. Vor allem jungen Menschen mit Lernschwierigkeiten bleibt oft einzig die Möglichkeit, in einer Werkstätte für ein kleines Taschengeld anstatt für Lohn zu arbeiten. Ein eigenes Zuhause außerhalb von Heimen können sie sich niemals leisten. Frauen* mit Behinderungen werden in ihrem Leben oft klein gemacht, erzählt Egger: „Vielen von uns wurde nie etwas zugetraut.
Es ist deshalb Teil der Vereins-DNA, einander Wertschätzung zu zeigen und ein bestärkendes Netzwerk zu sein.“ Bei FmB-Treffen steht die gegenseitige Unterstützung im Vordergrund, ob durch Tipps für Ämterkontakt, den Umgang mit Mobbing am Arbeitsplatz oder durch tröstende Worte, wenn der Arzt oder die Ärztin einem mal wieder nicht glaubt.
REVOLUTIONS BEGİN WITH REST. In einer Gesellschaft, die bestimmte Körper systematisch vernachlässigt, ist es eine Form des Widerstands, Gemeinschaften kollektiver Fürsorge zu schaffen. Auch bei FmB versuchen die drei Gründerinnen, eine neue Art der Zusammenarbeit zu schaffen. „Manchmal müssen wir Projekte absagen, weil uns doch die Ressourcen fehlen. Oft geht es sich mit all den Barrieren im Alltag nicht aus. Wir tragen das gemeinsam und versuchen, nachsichtig mit uns zu sein“, sagt Egger.
Mehrfachmarginalisierte Crips wie Frauen* mit Behinderungen brauchen barrierefreie Räume, die anerkennen, dass alle Menschen in ihrem Dasein aufeinander angewiesen sind und Bedürfnisse wie menschliche Fürsorge teilen. Und sie brauchen Räume, in denen man Pausen machen kann, wieder zu Kräften kommt, um sich Crip-Futures vorzustellen. Oder wie die queere, behinderte Autorin und Assistenzprofessorin für Gender und Sexuality Studies Shayda Kafai schreibt: „Revolutions begin with rest, with time to think, feel, and create our way into dreaming new realities.“
Eva Rottensteiner ist freie Autorin, sie schließt aktuell ihren Master in Politikwissenschaft und Gender Studies ab. Sie ist Mitglied beim Verein FmB.