Zeynep Buyraç ist das erste Ensemblemitglied an der Burg mit türkischen Wurzeln. Warum das immer noch erwähnenswert ist und wie prekär die Arbeit als freie Schauspielerin für Menschen mit Migrationsgeschichte ist, hat Andrea Heinz von ihr erfahren.
Sie sei, liest man im Wikipedia-Eintrag über Zeynep Buyraç gleich im zweiten Satz, die erste türkischstämmige Burgschauspielerin. Seit Februar 2023 ist die 1982 in Istanbul geborene Buyraç Ensemblemitglied an der größten und bedeutendsten Sprechtheaterbühne im deutschsprachigen Raum. Wie viel sich hinter dieser Formulierung verbirgt, erschließt sich, wenn man mit ihr über ihre Geschichte spricht. „Ich persönlich empfinde mein Engagement am Burgtheater nicht als ‚Erfolg‘, sondern vielmehr als Gewinn für beide Seiten. Denn sowohl das Burgtheater als auch ich als Schauspielerin profitieren von der gemeinsamen Arbeit. Es ist ein Austausch auf Augenhöhe“, sagt sie im an.schläge-Interview selbstbewusst. Buyraç, die ihr Abitur an der Deutschen Schule Istanbul ablegte und neben einer Tanzausbildung auch ein Schauspielstudium am Konservatorium der Stadt Wien absolvierte, ist seit zwanzig Jahren als Schauspielerin im deutschsprachigen Raum tätig. In der Garage X in Wien spielte sie die Sibel in Gegen die Wand, „vermutlich ein Meilenstein in Wien, was Diversität auf der Bühne betrifft“. Ihr Debüt an der Burg gab sie Anfang 2022 in Robert Ickes hochgelobter Schnitzler-Überschreibung Die Ärztin: „Ein unglaublich intelligenter und relevanter Abend und eine Arbeit, durch die sich die Menschen dieser Stadt in einer Institution wie dem Burgtheater willkommen fühlen können, die bis jetzt vielleicht das Gefühl hatten, dass ihre Identitäten und Geschichten für die österreichische Theaterwelt nicht wichtig genug sind“. Daneben spielte sie etwa am Theater Regensburg oder dem Landestheater Linz, aber auch im Tatort und Fernsehserien wie den Vorstadtweibern. Von außen betrachtet glaubt man gerne, so jemand müsste es geschafft haben. Nicht zuletzt Rassismus- und #MeToo-Fälle der letzten Zeit haben aber gezeigt: So glamourös die Branche oft wirken mag, so prekär sind ihre Arbeitsbedingungen – sowohl finanziell als auch was verknöcherte Hierarchien und Machtmissbrauch betrifft. Für Buyraç ist das Engagement am Burgtheater das erste feste an einem Haus. Bis dahin durchgehalten zu haben, ist eine erstaunliche Leistung. Es sei „der größte Erfolg, als freischaffende Schauspielerin zwei Jahrzehnte lang in diesem Beruf tätig gewesen zu sein. Ich erinnere mich an Vorsprechen, bei denen mir angeraten worden ist, meinen Namen zu ändern. Oder dass ich lieber keinen Schnitzler-Monolog zum Vorsprechen vorbereiten solle.“
Es sollte einfach nicht mehr der Rede wert sein, wo eine Burgschauspielerin geboren wurde und was ihre Muttersprache ist. Aber so weit sind wir noch lange nicht. „Der seit Jahren herrschende politisch-gesellschaftliche Zustand in Österreich zwingt mich dazu, über mein Migrant*innen-Dasein zu reden. Auch in meinem Beruf. Ich erinnere mich an etliche Situationen jenseits von Alltagsrassismus, in denen ich mir Gedanken darüber machen musste, ob ein Haus sich die Mühe machen wird, mich zu engagieren, da ich damals mit meinem türkischen Pass für jede Anstellung eine Arbeitserlaubnis brauchte. Abgesehen von den bürokratischen Hürden arbeite ich nicht in meiner Muttersprache – in einem Beruf, in dem Sprache eins der wichtigsten Werkzeuge ist. Das Wording ‚erste türkischstämmige Burgschauspielerin‘ reduziert also keineswegs meine schauspielerischen Fähigkeiten auf meine Herkunft, sondern macht sie für sensible Augen und Ohren vielleicht sogar noch sichtbarer. Und Sichtbarkeit ist schlussendlich das Ziel – es ist nicht nur an die Branche adressiert, sondern hauptsächlich an junge Menschen mit ähnlichen Einwanderungsgeschichten. Ich oute mich jederzeit wieder gerne als ‚Türkin‘, wenn es diesen Menschen Mut macht. Wenn sie sich dadurch gesehen und ernst genommen fühlen. Denn es gibt nun mal auf den Bühnen und vor den Fernsehkameras Österreichs nur eine Handvoll Menschen mit ‚Migrationsdefizit‘. Also werden wir darüber reden müssen, bis die zehnte türkischstämmige Schauspielerin am Burgtheater ist.“ •
Andrea Heinz lebt als Literaturwissenschafterin und freie Autorin in Wien.