BEATRICE FRASL forscht zu Film, Gender und Disney-Prinzessinnen. Sie sprach mit FIONA SARA SCHMIDT über böse Stiefmütter, gute Hexen und weibliche Solidarität.
an.schläge: Alle Eltern in meinem Umfeld berichten, dass ihre Töchter im Kindergartenalter den Film „Die Eiskönigin“ abgöttisch lieben. Sind Figuren wie Elsa aus feministischer Perspektive positiver zu bewerten als frühere Charaktere?
Beatrice Frasl: Es ist ambivalent. Die klassische Interpretation ist, dass die Prinzessin auf ihre hetero-romantische Begehrenswelt reduziert wird, hübsch zu sein und auf den Prinz zu warten hat. Die Figur hat aber auch Macht – sie wird eines Tages Königin sein, das wird bei der Kritik oft ausgeblendet.
In der Darstellung hat sich seit Disneys erster Prinzessinnen-Phase (1937–1967) viel verändert, sie war sehr passiv bis hin zu komatös: Schneewittchen liegt als Ausstellungsstück im Sarg und kann nur betrachtet werden, Dornröschen schläft – Hauptfiguren haben dort gar keinen Handlungsspielraum. Schneewittchen verrichtet mit großer Begeisterung den Zwergen die Hausarbeit und Cinderella ist dazu verdammt, alleine den Haushalt zu schupfen. Durch die unterdrückende böse Stiefmutter haben wir meist eine dichotome Darstellung von Weiblichkeit, beide sind gleichermaßen eindimensionale und patriarchale Konstruktionen.
Zwischenzeitlich wurden kaum Filme mit Prinzessinnen-Figuren produziert. In den 1990er-Jahren, der „Disney Renaissance“, wurden Märchenstoffe dann als Musicals wieder zum Leben erweckt und die Prinzessin wird ungehorsam, vor allem ihrem Vater gegenüber, sie entspricht dem Klischee des rebellischen Teenagers. Oft rettet sie selbst den Prinzen und wehrt sich gegen eine arrangierte Ehe, zum Beispiel Arielle. Die erste Phase mit Dornröschen und Cinderella könnte man als präfeministisch bezeichnen, die zweite mit Arielle, Belle und Mulan als postfeministisch: Es wird dort so getan, als sei Feminismus obsolet und sie könnten frei und selbstbestimmt leben. Die Idee ist, dass Frauen sich selbst zum Objekt männlichen Begehrens machen, weil sie das so wollen. Emanzipation wird als individuelle Verantwortung gezeichnet, die Frauen müssen sich aus eigener Kraft von Unterdrückung befreien.
In der dritten Phase ab etwa 2000 findet man erstmals Regisseurinnen und feministische Inhalte. In den Filmen werden Einzelpersonen durch Frauenteams ausgetauscht, die gemeinsam rebellieren, es ist mehr Solidarität vorhanden. Der Stoff diversifiziert sich und einige Filme verweisen zurück auf die erste Phase, „Küss den Frosch“ folgt dem traditionellen Narrativ, allerdings geht es nicht mehr um Generationenkampf, der sich zwischen zwei Frauenfiguren entwickelt. In „Merida“ geht es um die Beziehung zwischen Tochter und Mutter sowie um Versöhnung, wie auch bei „Die Eiskönigin“ – hier zwischen zwei Schwestern.
Wieso fahren Mädchen nach wie vor so auf Prinzessinnen ab, obwohl es viele andere Identifikationsangebote gibt?
Das ist schwer zu beantworten. Einerseits richtet sich die Werbung konkret an junge Mädchen, sie sind aber auch ein Kondensat an Weiblichkeitsidealen, die es popkulturell zu der Zeit gerade gibt.
Also wird mit jeder Heldin ein neues zeitgenössisches Modell geschaffen?
Genau. In „Die Eiskönigin“ gibt es zwei Prinzessinnen, Anna und Elsa. Elsa kann Dinge vereisen, das macht sie zu einem gewissen Grad auch gefährlich, etwa wenn sie ihre Schwester angreift und deren Herz vereist und ins Exil muss. Die Hexe ist, da sie übermenschliche Fähigkeiten besitzt, in gewisser Weise eine Superheldinnenfigur, sie ist den anderen Figuren überlegen und machtvoll – das ist reizvoll. Elsa „stolpert“ in diese Rolle und möchte ihre Kräfte nicht gegen andere einsetzen – das macht sie zu einer „guten“ Hexe, die ihre übermenschlichen Eigenschaften, gleich einer Superheldin, auch in einem positiven Sinne für sich selbst und andere nutzen kann. Gleichzeitig wird hier weibliche Macht, anders als in früheren Disney-Filmen, nicht mehr als negativ gezeichnet.
Viele Disney-Filme, wie auch Märchen allgemein, können als Coming-of-Age-Narrative verstanden werden: Die Prinzessin entwickelt sich im Laufe der Geschichte „vom Mädchen zur Frau“ – diverse Übergangsriten werden durchschritten. Zudem werden Disney-Filme, und „Die Eiskönigin“ ist das offensichtlichste Beispiel dafür, damit auch als Coming-out-Narrative lesbar: missverstanden zu werden und sich nicht in der Gesellschaft wiederzufinden sind typische Themen. Es sind verborgene und stigmatisierte magische Fähigkeiten, die Elsa verstecken muss und welche sie im Laufe der Geschichte aber als Teil von sich anerkennt. In der Disney-Prinzessin finden sich also oft in kondensierter Form aktuelle Debatten um Geschlecht, Weiblichkeit und Sexualität wieder.

Durch das Twitter-Posting einer Siebzehnjährigen verbreitete sich die Forderung „Give Elsa a Girlfriend“. Ist bei Disney die Zeit bei reif für eine lesbische Protagonistin?
So sollte man die Frage nicht stellen. Disney ist ein gewinnorientiertes Unternehmen, wenn eine lesbische Prinzessin finanziellen Erfolg bringt, dann ist es eben eine lesbische Prinzessin. Teil des Marketing-Gags ist, dass Disney eine informelle Bildungsinstanz für Kinder ist, die Werte vermitteln soll. Disney reproduziert aber nur gesellschaftliche Normen. Es ist also nur noch eine Frage der Zeit, bis es eine lesbische Disney-Prinzessin gibt. Allerding: Auch wenn Elsa eine naheliegende Wahl ist, fände ich es schade, wenn das Coming-out nur nachträglich im Sequel eingefügt wird und nicht einen eigenen Hauptfilm bekommt. Im Animationsfilm ist Geschlecht auch gar nicht an Körperlichkeit gebunden, da gibt es viel queeres Potenzial. Disney folgt im Kino dabei leider anders als Cartoon-Serien wie „Spongebob“ einem sehr konventionellen Realismus.
Demnächst kommt der Animationsfilm „Moana“ ins Kino, mit Mulan und Esmeralda gab es bereits Women of Color als Disney-Heldinnen. Besonders an Pocahontas gab es viel Kritik.
Pocahontas zeigt gut, wie Gender, race und andere gesellschaftliche Unterdrückungsverhältnisse miteinander verwoben sind. Kolonialismus wird reduziert auf eine hetero-romantische Liebesgeschichte. Pocahontas ist extrem sexualisiert und hat die für 90er-Disneyfilme typische Barbiefigur. Außerdem wird ihre Kolonisierung als ihr Schicksal von einer Kompassnadel, die sie im Traum sieht, vorgezeichnet – und somit auch legitimiert. Der „gute Kolonialist“ befreit die Native Woman („die edle Wilde“) aus ihrer patriarchalischen Herkunftsgesellschaft, der „böse Kolonialist“ wird mit vielen schwulen und antisemitischen Stereotypen versehen. Queering und Rassisierung sind bei Disney oft Wege, das Böse zu zeichnen: Bösewichte sind oft sehr transgressiv und „campy“ in Bezug auf ihre Geschlechterperformanz – gerade im Vergleich zu den sehr heteronormativ gegenderten Held_innen – man denke an Ursula in „Arielle“ oder an Scar aus „König der Löwen“. Außerdem: Löwe Scar hat etwa ein dunkleres Fell und Dschafar bei Aladdin einen arabischen Akzent.
Welche Prinzessinnenfilme finden Sie am interessantesten?
Am empfehlenswertesten aus feministischer Sicht finde ich den düsteren „Maleficent“ mit Angelina Jolie. Von Disney etablierte Geschlechternormen werden unterlaufen, indem die Stiefmutter und Aurora gemeinsam den Patriarchen bekämpfen.
„Die Eiskönigin“ erzählt von einer Beziehung zwischen zwei Schwestern und bricht ironisch viele klassische Disney-Tropen: Anna wird von Elsa damit aufgezogen, dass sie sich auf den ersten Blick in einen Prinzen verliebt und ihn gleich heiraten möchte. Der stellt sich dann auch als Bösewicht heraus. Der finale Kuss findet zwischen zwei Frauen statt, ebenso bei „Maleficent“ und „Merida“. Der beginnt wie viele Filme aus den 1990ern: Merida soll verheiratet werden, sie sucht sich dann allerdings nicht einen eigenen Prinzen, sondern lehnt das Konzept der Heirat insgesamt ab. Beim Wettschießen um ihre Hand tritt sie selbst versteckt unter einer Kapuze mit dem Bogen an.
Obwohl viele Disney-Filme eine weibliche Hauptfigur haben, nahm der Redeanteil laut einer Studie seit „Schneewittchen“ eher ab als zu und liegt etwa bei „Die Eiskönigin“ bei einem Drittel. Wie ist dieses Verstummen damit vereinbar, dass die Frauenrollen viel komplexer geworden sind?
Ich denke, ein quantitatives Messen der Redezeit alleine ist nicht sehr aussagekräftig ohne eine Analyse dessen, was gesagt wird. In „Schneewittchen“ kreist ein Großteil des von ihr Gesagten um den Prinzen, Hausarbeit etc. Ein höherer Anteil an von Frauen gesprochenen Worten alleine hat kein emanzipatorisches Potenzial, wenn diese Worte ein sehr patriarchales Verständnis von Frausein perpetuieren. Wünschenswert wäre natürlich Hörbarkeit in Kombination mit emanzipatorischen und/oder pro-feministischen Inhalten – dies findet sich beispielsweise in „Merida“. In jedem Fall ist es eine interessante Beobachtung, dass just in dem Moment, als Frauenfiguren komplexer werden (ab 1989), ihnen gewissermaßen gleichzeitig ein Stück ihrer Bühne genommen wird. Da stellt sich die Frage, ob sie nur dann Raum für Artikulation bekommen, wenn sie diesen mit Unterwürfigkeit und einem Sehnen nach dem Prinzen füllen.
Wie hat sich die Figur der Hexe seit den Disney-Anfängen verändert, inwiefern ist sie subversiv?
Zu Beginn haben wir wie im Grimm-Märchen „Schneewittchen“ die böse Stiefmutter, die Geschichte entfaltet sich in einem Machtkampf zwischen den Generationen. Die Hexe und Königin bricht aus einem heteronormativen Geschlechterbild aus, weil sie kinderlos ist, Schneewittchens Weiblichkeit hingegen wird durch ihre Mütterlichkeit konstruiert. Sie putzt und kocht für die Zwerge, die eigentlich erwachsene Männer sind – Schneewittchen kann noch Mutter werden, im Gegensatz zur Stiefmutter. Die will das Kind vergiften und sein Herz essen und pervertiert damit das mütterliche Nähren. Damit bricht sie mit vielen Weiblichkeitsvorstellungen und Erwartungen.
In der zweiten Phase gibt es mehr queere männliche Bösewichte, sie werden effeminiert und entsprechen schwulen Stereotypen, das fällt mit der Aids-Krise in den USA und dem damit einhergehenden homophoben Backlash der Reagan-Ära zusammen. Sie überschreiten die Grenzen der Männlichkeit, also markiert wieder Weiblichkeit das Böse. Die böse Ursula in „Arielle“ kann als Dragqueen gelesen werden. Vorbild für die Figur war die bekannte New Yorker Dragqueen Divine, die im Film „Pink Flamingos“ von John Waters auch Ekelgrenzen überschreitet. Im Song „Poor unfortunate Souls“ performt Ursula Weiblichkeit und weist Arielle an, wie sie in der Menschenwelt als Frau zu funktionieren hat.
In der dritten Phase wird die Hexe meist zu einer guten Figur, wie Eiskönigin Elsa. Bei „Maleficent“ wird die Geschichte von Dornröschen neu aufgerollt. Es wird erzählt, warum Maleficent eine dunkle Fee geworden ist, und das ist eigentlich eine Geschichte von patriarchaler Gewalt. Nachdem ihr ein Trank eingeflößt wird, werden ihr die Flügel abgeschnitten und sie ist ihrer Handlungsmacht beraubt – das ist sehr bewusst als Vergewaltigungsszene inszeniert. Danach nimmt sie Rache an König Stefan, verflucht seine Tochter Aurora, dann entwickelt sich aber zwischen den beiden eine Mutter-Tochter-Beziehung. Maleficent küsst Aurora auch wach und krönt sie am Ende sogar – eine Krönung gab es bis dahin für die Prinzessinnen nie. Es ist also eine Geschichte der Solidarität zwischen zwei Frauen, die davor als Gegnerinnen festgeschrieben wurden und ein patriarchales System stürzen.
Beatrice Frasl ist Doktorandin an der Universität Wien und arbeitet im Bereich Gender/Queer Studies und Cultural Studies. In ihrer Diplomarbeit ging es um „SpongeBob Schwammkopf “. Ihre liebsten Disney-Charaktere sind Merida, Ursula und Maleficent.