Die rechte Regierung in Polen nutzt die Pandemie, um das Abtreibungsrecht erneut zu verschärfen. Die klerikale Politik gegen Frauenrechte hat Tradition.
Von Izabela Wnorowska und Magda Borysławska
Was für die meisten Europäeri*nnen unvorstellbar scheint, ist in Polen Realität. Das polnische Abtreibungsgesetz, das ohnehin zu den restriktivsten in Europa zählt, könnte weiter verschärft werden. Am 15. und 16. April wurde im polnischen Parlament erneut über die Verschärfung des Gesetzes, das ironischerweise als „Kompromiss“ bezeichnet wird, verhandelt.
Das derzeit geltende Gesetz wurde 1993 verabschiedet. Demnach ist ein Schwangerschaftsabbruch nur in drei Fällen erlaubt: bei Lebensgefahr der Mutter, nach einer Vergewaltigung und bei einer embryopathischen Indikation. In den 27 Jahren, die seither vergangen sind, haben linke und rechte Parteien viele Kämpfe zum Thema ausgefochten. Seitdem die rechtsextreme Partei “Prawo i Sprawiedliwość” 2015 an die Macht kam, ist das Thema erneut zum Politikum geworden. Die ersten Versuche der Regierung, das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch vollständig abzuschaffen, gehen auf das Jahr 2016 zurück, als der Gesetzesentwurf „Stoppt die Abtreibung“ im Parlament eingebracht wurde. Der Vorstoß rief eine gewaltige Widerstandsbewegung auf den Plan, die den Gesetzesvorstoß erfolgreich abwenden konnte und als „Schwarzer Protest“ in die Geschichte einging.
Im Namen Gottes. Doch wie lässt sich die traditionell starke Ablehnung von Abtreibung in der polnischen Gesellschaft erklären? „Wir sprechen darüber, ob man in Polen ein unschuldiges Kind ersticken kann“, sagt Kaja Godek, die Vertreterin der polnischen Gesetzesinitiative “Stoppt die Abtreibung”. Extreme Rechte setzen Abtreibung mit Mord gleich und wollen sie deshalb verbieten.
Die rechtsextremen Forderungen haben religiösen Rückhalt: Praktizierende polnische Katholik*innen erhalten in den Sonntagsmessen eine klare Botschaft von Priestern: Das menschliche Leben müsse vom Moment der Zeugung an geschützt werden. Der Embryo habe die gleichen Rechte wie eine Frau. Der Unwille Mutter zu werden, sei Ausdruck von Egoismus. Die nationalkonservativen kirchennahen Parteimitglieder von “Prawo i Sprawiedliwość” berufen sich dabei auf ihren Glauben und plädieren im Einklang mit der katholischen Kirche dafür, den Schwangerschaftsabbruch ohne Ausnahme zu verbieten. Mit manipulatorischer Sprache wecken sie bei Frauen Schuldgefühle, indem sie, statt vom Entfernen eines Fötus, vom Ermorden ungeborener Kinder sprechen.
Lange Tradition. Die Missachtung von Frauenrechten hat in Polen eine lange Tradition, die nach der politischen Wende 1989 bruchlos fortgesetzt wurde. Das Transformationsprojekt setzte die Schaffung eines auf Gleichheit und Solidarität beruhenden demokratischen Systems sowie die Einführung der freien Marktwirtschaft voraus. Wie im Westen konnte die beeindruckbare Bevölkerung des postkommunistischen Ostblockstaats nun Geld verdienen und sich alles kaufen. Doch im Schatten dieser blinden Begeisterung für blühenden Kapitalismus und unbegrenzten Konsum verschwanden soziale Grundrechte, die in der Volksrepublik Polen zuvor selbstverständlich gewesen waren, wie ein gesicherter Arbeitsplatz nach dem Mutterschaftsurlaub, staatlich finanzierte Kinderkrippen und Kindergärten – und eben auch das Abtreibungsrecht, laut dem die Abtreibung im sozialistischen Polen auf Verlangen der Frau erlaubt war.
Die Folgen der Demontage des öffentlichen Sektors (Schul- und Gesundheitswesen), der Privatisierung und der Schließung großer Fabriken betrafen mehr Frauen als Männer, und trugen so zu einer Feminisierung von Armut bei. Die rückständige Familienpolitik und die ökonomischen Diskriminierung von Frauen führten zu einer neoliberale Neuauflage der traditionellen Rolle des Hausmütterchen. Schrittweise stieg damit die Unzufriedenheit der polnischen Frauen, auch auf Regierungsebene waren Frauen unterrepräsentiert. Zwischen 1989 und 2001 betrug der durchschnittliche Anteil der weiblichen Abgeordneten im Parlament nur 13 Prozent. Um für ihre Rechte zu kämpfen, wurden Frauen in NGOs aktiv: Die polnische Frauenbewegung war geboren.
Sexuelle Revolution. Der Fall des Eisernen Vorhangs hat den Weg nicht nur für westliche Produkten und Dienstleistungen, sondern auch für westliche Ideen und Denkweisen freigemacht. Die sexuelle Revolution, die sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Westen vollzogen hatte, hat in den 1990er Jahren endlich auch Polen erreicht. Bei aller Faszination für die neue marktwirtschaftliche Ordnung und der Freude über die zurückgewonnene Freiheiten blieben jedoch wichtige Forderungen der zweiten Frauenbewegung auf der Strecke: Geschlechtergerechtigkeit, Anerkennung weiblicher Sexualität und die Achtung der Reproduktionsrechte. Die sexuelle Revolution hat in Polen vor allem in der Kommerzialisierung von Sexualität sowie der Sexualisierung des weiblichen Körpers ihren Ausdruck gefunden, leider weniger in der Anerkennung von Frauenrechten und der Gleichstellung der Geschlechter.
Der größte Gegenspieler der Frauenbewegung in Polen war und ist immer noch die katholische Kirche, die dank ihres Engagements im antikommunistischen Widerstand und ihrer Einigung mit der Opposition politischen Einfluss erlangte. Nach 1989 musste sie jedoch eine neue Mission finden. Angefangen beim Abtreibungsverbot 1993 meldete sich das Episkopat regelmäßig in öffentlichen Debatten über Frauenrechte zu Wort, um sie zu dämonisieren und etwa Sexualerziehung und Empfängnisverhütung anzuprangern. Dabei festigt sie das traditionelle Frauenbild der Polin als Mutter, die sich ihrem Schicksal ergeben und ihr Kreuz ohne zu murren tragen solle.
Der soziale Wandel, der es Frauen erlaubte, sich von ihrer Rolle als Mutter zu emanzipieren, war eine der Folgen der sexuellen Revolution in westlichen Ländern, in denen die katholische Kirche weniger Einfluss hatte. Frauen gewannen mehr Autonomie und konnten sich langsam auch in anderen sozialen Rollen verwirklichen. In Polen jedoch ist dieser gesellschaftliche Wandel auch aufgrund der mächtigen Position der Kirche gescheitert. Das traditionelle Frauenbild der idealisierten Mutterfigur, deren von Gott geschenkte Berufung es ist, neue Generationen von patriotischen Polen und Polinnen zu gebären und zu erziehen, wurde auch nach der Wende weiter befördert und popularisiert. Die klassischen katholischen Tugenden, durch die sich eine Frau auszeichnen sollte, wie etwa Keuschheit und Bescheidenheit, haben nicht an Bedeutung verloren. Außerehelicher Sex, der nicht der Fortpflanzung diente, wurde auch in der bloß theoretisch säkularen Gesellschaft weiterhin als sündhafte Tat stigmatisiert, deren Konsequenzen, wie ungeplante Schwangerschaft (sprich: der Wille Gottes), man eben tragen müsse. Und diese Konsequenzen mussten selbstverständlich in erster Linie die Frauen, die Mutter-Polinnen, als Erfüllung ihrer gottgegebenen Rolle übernehmen. Bis heute hat sich daran nicht viel geändert.
Du sollst nicht töten. Eine Studie, die einige Monate vor dem „Schwarzen Protest“ vom Meinungsforschungszentrum CBOS durchgeführt wurde, ergab, dass die Einstellung zur Abtreibung eng mit Religiosität zusammenhängt. Alter, Bildung, Herkunft und Einkommen sind hingegen nicht entscheidend.
Um den aktuellen Gesetzesvorstoß auf den Weg zu bringen, bedienten sich Pro-Life-Gruppen einer perfiden List: Sie machten ihre Unterschriftensammlungen nach den Sonntagsmessen. Mit 100.000 Unterschriften wurde der Gesetzentwurf im April ins Parlament eingebracht und nach der ersten Lesung an den Ausschuss für Gesundheit, Familie und Sozialpolitik überwiesen.
Die Durchsetzung grundlegender Frauenrechte in Polen wird also auch heute noch vor allem durch religiös fundierte Argumente verhindert. Die Allgegenwärtigkeit der Kirche im öffentlichen Diskurs hat so zentrale Forderungen der Zweiten Frauenbewegung abgewehrt und dazu geführt, dass sich Frauen im Namen Gottes für „heilige Embryos“ opfern müssen.
Izabela Wnorowska – Übersetzerin, Studentin des Masterstudiums Translation und des Bachelorstudiums Soziologie an der Universität Wien.
Magda Borysławska – Germanistin, Diskursforscherin und Doktorandin der Neuphilologischen Fakultät der Universität Warschau.