Bieten Krisenzeiten die Chance für eine linke Wende? LINKS-Spitzenkandidatin Anna Svec und Aktivistin Noomi Anyanwu im Gespräch mit Bernadette Schönangerer über Alltagspolitik, blinde Flecken und dreißig Jahre Neoliberalismus.
an.schläge: Das neue Bündnis LINKS tritt im Oktober zum ersten Mal in Wien zur Wahl an. Was fehlt Ihnen in der Stadtpolitik und wie wollen Sie diese Lücke schließen?
Anna Svec: Wien ist keine gerechte Stadt für alle. Es gibt hier sehr viel soziale Ungerechtigkeit und Rassismus. Wir glauben, dass es eine Linke braucht, die das zum Thema macht, diese Kämpfe sehen wir von grüner und roter Seite nicht. Tatsächlich ist gerade ein spannender politischer Moment. Mit der Corona-Krise haben sich Ungleichheiten verschärft, zugleich sind sie aber auch viel sichtbarer geworden. Zum Beispiel sind 85 Prozent derjenigen, die neu arbeitslos geworden sind, Frauen. Und es ist offensichtlich geworden, dass gerade die gesellschaftlich besonders wichtige Arbeit unter wirklich schlechten Bedingungen bei schlechter Bezahlung stattfindet. Das Thema war kurz am Tapet und jetzt ist es wieder verschwunden – und es hat sich nichts geändert.
LINKS ist in Österreich nicht der erste Versuch, ein breiteres linkes Bündnis aufzubauen. Was ist diesmal anders, welche Schlüsse haben Sie aus den bisherigen Erfahrungen gezogen?
AS: Bisher hatte ich noch nie das Gefühl, in so einem lebendigen Projekt aktiv zu sein, das so viele unterschiedliche Leute zusammenbringt. Es sind Leute dabei, die die Donnerstagsdemos mitorganisiert haben, Leute von der linken Plattform Aufbruch, von der KPÖ und auch viele, die vorher noch nicht organisiert waren. Diese Verschiedenheit ist eine Stärke, weil man auf viele Erfahrungen zurückgreifen kann. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, jetzt einmal bei der Wien-Wahl anzutreten, aber auch darüber hinaus als Organisation bestehen zu bleiben, konkret in den Bezirken aktiv zu sein und mit Bewegungen in Verbindung zu treten.
Bei der Black-Lives-Matter-Demo im Juni gingen rund 50.000 Menschen auf die Straße, um Solidarität mit den internationalen Protesten zu zeigen, aber auch gegen rassistische Polizeigewalt in Österreich zu demonstrieren. Wo sehen Sie in Österreich blinde Flecken im Umgang mit Rassismus und Polizeigewalt?
Noomi Anyanwu: Eigentlich gibt es keine blinden Flecken, das ist der falsche Begriff. Denn in Österreich gibt es seit Jahrzehnten Schwarze Aktivist_innen und afrikanische Vereine, die immer wieder die Probleme ansprechen – man muss ihnen nur zuhören. Mit der Demo gab es plötzlich viel Aufmerksamkeit dafür. Es liegt jetzt auch an der Politik, Aktivist_innen in ihre Arbeit einzubinden. Wenn ein Kollektiv von ausschließlich weißen Männern Politik macht und sagt: ‚Wir sind antirassistisch und feministisch‘, dann passt das nicht zusammen.
Im Zuge der Demos hat sich das Bündnis Black Movement Austria gegründet. Wie wollen Sie Politik machen?
NA: Wir haben bereits einen offenen Brief mit Forderungen gegen Polizeigewalt in Österreich an die Justizministerin und an den Innenminister geschickt und auch medial verbreitet. Aus dem Innenministerium haben wir noch keine Antwort bekommen. Dabei ging es zum Beispiel um die geplante Beschwerdestelle für Fälle von Polizeigewalt. Sie soll im Innenministerium angesiedelt sein, was bedeutet, dass sie nicht unabhängig ist. Weitergehen soll es jetzt mit den großen Themen Bildung und Arbeit. Wir sind kein Bündnis, das alles neu denkt. Viele unserer Forderungen gibt es schon sehr lange. Auch meine Mutter hat in einer Organisation gekämpft, wo sie genau dasselbe gefordert hat – und das ist dreißig Jahre her. Es ist für Schwarze Aktivist_innen ermüdend, immer wieder dasselbe sagen zu müssen. Außerdem – und das ist sicher der größte „blinde Fleck“ – wird kaum über institutionellen Rassismus, sondern immer über Alltagsrassismus gesprochen. Betroffene werden immer wieder gefragt, ob sie ihre Traumata noch einmal erzählen können, das ist enorm belastend für sie.
Könnten Sie sich vorstellen, selbst in einer Partei aktiv zu werden?
NA: Wenn es eine Partei gäbe, die meine Kriterien erfüllen würde, vielleicht. Im Moment sehe ich weit und breit keine Partei, von der ich mich als Schwarze, junge Frau in Wien angesprochen und vertreten fühle.
In Wien dürfen dreißig Prozent der Bevölkerung nicht wählen, weil sie keine österreichische Staatsbürger_innenschaft haben. Studien zeigen außerdem, dass armutsbetroffene Menschen viel seltener zur Wahl gehen. Was bedeutet das für die Demokratie?
AS: Das ist ein massives Demokratieproblem. Für uns ist klar, dass alle, die hier leben, wählen dürfen und kandidieren können müssen. Es braucht aber ein kontinuierliches Kämpfen darum. Es ist uns ein wichtiges Anliegen, keine Listen zu haben, die die Realität dieser Stadt nicht widerspiegeln. Daher haben wir uns auch selbst für Quoten entschieden. Es ist generell eine Herausforderung für linke Politik zu sagen, dass man gemeinsam mit Leuten kämpft und keine reine Stellvertreter_innenpolitik macht. Für LINKS ist es wichtig, bestehende Kämpfe ernst zu nehmen und Menschen einzubinden. Es gibt nicht wenige Leute, die nach dreißig Jahren Neoliberalismus das Gefühl haben, dass sich durch Politik für sie nichts geändert hat – und wenn, dann zum Negativen. Die Ressourcen sind in unserer Gesellschaft unfassbar ungleich verteilt und wir müssen vermitteln, dass man daran etwas ändern kann. Es braucht eine radikale Umverteilung und eine andere Organisation von Wirtschaft. Im reichen Österreich und Wien müsste es keine Armut geben.
Die Coronakrise machte die ungleiche Verteilung von Ressourcen allzu deutlich. Warum ist es trotzdem so schwierig für eine Forderung wie „Die Reichen sollen für die Krise zahlen“ breite Zustimmung zu erhalten?
AS: Ich glaube eigentlich gar nicht, dass es dafür wenig Zustimmung gibt. Vielleicht erscheint es manchmal zu wenig denkbar, weil das schon so lange niemand mehr konkret angepackt hat und sagt: ‚Na klar ist das möglich!‘ Ich glaube, dass man das gemeinsam und lauter erkämpfen muss.
Möglicherweise gäbe es die Zustimmung für eine gerechtere Verteilung von Reichtum, trotzdem ist die ÖVP seit 1987 durchgehend in der Bundesregierung. Wie erklären Sie sich das?
NA: Vielleicht haben viele, die sich gerade noch über Wasser halten, nicht die Möglichkeit, sich auch noch darüber Gedanken zu machen, wie man die Welt revolutioniert. Überspitzt gesagt. Diese Politik beruht ja darauf, dass Reiche gefördert und Arme ärmer werden. Darum ist es wichtig zu zeigen, dass es auch anders geht und man versucht, Stimmen hörbar zu machen und verschiedene Erfahrungen und Expertisen einzubeziehen.
AS: Viele Leute betrachten das, was sie machen, nicht als Politik. Politik ist für sie etwas Abstraktes, das woanders passiert. Dabei ist es Politik, mit einer Kollegin solidarisch zu sein und etwas einzufordern, oder wenn Alleinerziehende sich organisieren, wenn Mieter_innen sich zusammentun, damit die Miete für alle niedriger wird. Es wäre wichtig, ein Verständnis davon zu vermitteln, dass all diese Sachen Politik sind, und diese Kämpfe ernst zu nehmen. Wir müssen sagen: So, wie es ist, das ist keine Naturgegebenheit. Es war nicht immer so, so muss es nicht bleiben.
Noomi Anyanwu ist Studentin und Aktivistin. Sie engagiert sich im Rahmen von Black Movement Austria und war Mitorganisatorin der Black-Lives-Matter-Demo in Wien.
Anna Svec arbeitet als Rechtsberaterin und ist Spitzenkandidatin von LINKS.
Bernadette Schönangerer schreibt für verschiedene Medien und ist Redakteurin der Zeitschrift MALMOE.