Seit 2008 kämpft die feministische Protestgruppe FEMEN aus der Ukraine gegen patriarchale und sexistische Unterdrückung in der post-sowjetischen Gesellschaft. Ihre Mittel: blosse Brüste und auf Körper und Schilder geschriebene Slogans. PAULA PFOSER traf die Aktivistinnen INNA & SASHA SHEVCHENKO, die Anfang März auf Einladung der Grünen in Wien waren.
an.schläge: „EURO 2012 ohne Prostitution“ lautet der Slogan beim Protest gegen die kommende Fussball-EM in Polen und in der Ukraine. Wie sieht die Situation rund um Sexarbeit derzeit aus? Was sind eure Forderungen?
FEMEN: Wir sehen jetzt ziemlich erschreckende Zeichen davon, was in der Euro-Zeit auf uns zukommt: Die Sexindustrie in der Ukraine entwickelt sich rasant, es werden massenhaft Massage-Salons und Strip-Bars gegründet. Wenn man durch die Straßen geht, sieht man immer wieder Anzeigen, in denen „Tänzerinnen“ oder „Masseurinnen“ gesucht werden. Die UEFA hat im Zuge der Vorbereitungen zur Europameisterschaft die Forderung gestellt, die Prostitution zu legalisieren. Prostitution ist in der Ukraine zurzeit noch verboten, aber auch im Parlament will man schon die Legalisierung.
Es ist unrealistisch, etwas gegen die Verschärfung der Situation während der EURO 2012 zu tun – wir können deswegen nur utopische Slogans in die Menge werfen, damit das Wellen schlägt.
Warum nicht befürworten, dass Prostitution legalisiert wird? Die Illegalisierung unterstützt ja in der Regel versteckte Sexarbeit unter gefährlichen Arbeitsbedingungen.
Ich widerspreche hier einem bei uns weit verbreiteten Sprichwort, „Man soll zwischen zwei Übeln das geringere wählen“, und würde stattdessen sagen, wir sollten nicht nach dem geringeren Übel suchen, sondern nach einem anderen Weg. Prostitution ist die schlimmste Form der Diskriminierung von Frauen. Wir sind überzeugt, dass der einzige richtige Ausweg im Kampf gegen die Prostitution der Kampf gegen die Kunden ist. Wir haben deswegen ein Gesetz zur Kriminalisierung der Kunden vorgeschlagen, was natürlich als Gesetz nicht verabschiedet werden wird … Denn wir wissen ja, wer hinter dem Geschäft mit der Prostitution steht – und dass diese Leute nicht gegen ihre eigenen Interessen handeln.
Aktionistische Auftritte, bloße Brüste – das Mittel, auf das FEMEN setzt, sind die Bild produzierenden Medien. Was sagt ihr zur Kritik, dass diese Bilder die Sexualisierung und Objektivierung von Frauen reproduzieren?
Der Effekt, tatsächlich wie ein Sexualobjekt auszusehen, wird von uns sehr bewusst erzeugt. Wir wollen, dass Frauen in einer patriarchal denkenden Gesellschaft endlich als Besitzerinnen ihrer Körper wahrgenommen werden. Der Körper ist sozusagen meine eigene Ware, mit der ich machen kann, was ich will – das heißt auch, den Körper für die eigenen politischen Ziele einsetzen zu können.
Unsere Bewegung hatte diesbezüglich sicher schon Erfolg: Als wir begonnen haben, wurden wir eher als Sexualobjekte besprochen, zum Beispiel mit Aussagen wie: „Die hat schönere Brüste.“ Jetzt aber bewegen sich die Diskussionen schon wieder davon weg, nämlich hin zur Frage, ob wir das Recht haben, „oben ohne“ zu protestieren. Wenn darüber diskutiert wird, haben wir unser Ziel schon erreicht. Und wenn jemand sagt, wir sehen wie Sexualobjekte aus, haben wir nichts dagegen – eine protestierende Frau soll auch sexuell sein.
Eine protestierende Frau soll sexuell sein, weil damit medial Aufmerksamkeit erregt werden kann?
Ja, das ist „basic instinct“. (lacht) Indem wir uns vor der ganzen Welt entblößen, können wir auch der ganzen Welt etwas mitteilen. In der gängigen Wahrnehmung entblößt sich eine Frau nur vor einem Mann irgendwann abends. Wenn das aber am Tag in der Öffentlichkeit passiert, dann wirkt es auf ganz andere Weise. Mit uns gab es eine kleine Revolution in den Medien: Frauenbrüste werden nicht nur in erotischen Programmen gezeigt, sondern jetzt auch in den Nachrichten, zur Prime Time – und nicht nur als Sexobjekte, sondern als Protestmittel.
Seid ihr mit eurer Darstellung in den Medien einverstanden? Eine internet-Suche nach FEMEN ergibt Bilder, Bilder, Bilder und wenig andere Inhalte…
Wir haben keine Angst vor dieser Bilderflut. Alles was wir mit unseren Aktionen sagen wollen, wird durch Körperhaltungen ausgedrückt, durch Plakate oder durch Slogans, die direkt auf uns geschrieben sind. Es sind sehr kurze Slogans, die aber gut passen für die heutige Welt, die eher Informationshappen gewohnt ist. Diese „Fast-Food-Gesellschaft“ wird auf diese Weise unsere Nachrichten viel schneller und leichter verstehen.
Warum eigentlich die Strategie, Protestbilder zu inszenieren, statt viele zu mobilisieren?
Wir gehen ganz bewusst den Weg der provokativen Bilder. Ich bin mir sicher, dass Sie hier nicht sitzen würden, wenn Sie nicht auf die Bilder reagiert hätten. (lacht) Die Ukraine ist außerdem ein postsowjetisches Land, Frauen oder die Menschen insgesamt sind Massendemonstrationen nicht gewohnt. In der Sowjetunion fanden Demos nur am 1. Mai oder zum Jahrestag der Revolution statt. Deswegen sehen wir es als Aufgabe, erst einmal in die Gehirne der Menschen zu gelangen und zu zeigen, dass Protest möglich ist.
In einem interview vor einem Jahr war davon die Rede, eine Partei und eine internationale Bewegung zu gründen. Wie sieht diesbezüglich der Stand der Dinge aus?
Der Gedanke, eine Partei zu gründen, wurde uns eher von JournalistInnen und SympathisantInnen aufgedrängt, die gesagt haben: „Ihr müsst in die Politik gehen, da könnt ihr vieles ändern.“ Inzwischen sind wir auch selbst wirklich dafür, wir sehen aber, dass es heute in der Ukraine fast nicht möglich ist, eine mit ehrlichen Mitteln arbeitende Partei zu gründen. Deshalb ist uns die Idee der Internationalisierung viel näher. In mehreren Orten und Ländern sind spontan oder auf unsere Initiative hin Bewegungen entstanden, die uns ähnlich sind. Es gibt FEMEN in den USA, es gibt Schweizer Aktivistinnen, bulgarische, italienische, holländische … Nachfolgerinnen-Bewegungen von FEMEN sind außerdem die Slut-Walks und die Gruppe Pussy Riot in Russland – wir können also von der Eroberung der ganzen Welt sprechen. (lacht)
Kürzlich las man von der brutalen Misshandlung dreier Aktivistinnen durch die weißrussische Polizei. Inwieweit seid ihr als Bewegung mit Repressionen konfrontiert?
In letzter Zeit gab es zwei Fälle von Repression: Der eine war in Weißrussland, der andere betrifft die Aktion auf dem Balkon der indischen Botschaft in Kiew. Die Geschichte mit der indischen Botschaft war folgende: Das Außenministerium Indiens hat an die Botschaften in der ganzen Welt die interne Anweisung erteilt, dass man genauer auf die Besucherinnen aus den sogenannten Russ-Ländern achten soll, weil diese eine Neigung zur Prostitution hätten. Das wurde über die Medien und damit auch bei FEMEN bekannt. Wir haben dann sehr schnell reagiert, Aktivistinnen kletterten auf den Balkon der indischen Botschaft und standen dort mit Bannern mit dem Text: „Wir sind keine Prostituierten“ und „Die Ukraine ist kein Bordell.“ Die Aktion war Mitte Januar, Mitte Februar wurden dann zwei Frauen angeklagt, und zwar wegen „Störung der gesellschaftlichen Ruhe“ und der „Beleidigung des nationalen Heiligtums Indiens“, weil sie die indische Fahne in der Hand hatten. Jetzt sind wir sehr besorgt um die beiden, weil es so aussieht, als würde man diese Gelegenheit nutzen, um sie zum Schweigen zu bringen. Wir können behaupten, dass die Rezeption unserer Aktivitäten ein Demokratie-Test ist – das Land, das dabei eindeutig durchgefallen ist, ist Weißrussland, wo drei Aktivistinnen von Geheimdienstmitarbeiterinnen verschleppt wurden. Sie wussten nicht, wo sie sind, ihnen wurden alle Dokumente weggenommen, sie wurden körperlich und psychisch schikaniert, es war sehr erniedrigend, mit Haare-Abschneiden und Vergewaltigungsdrohungen. Es gibt immer wieder Repressionen gegen uns. Mit der Machtübernahme der jetzigen Regierung begannen auch Schikanen gegenüber der Frauenbewegung, nach jeder Aktion werden jetzt Teilnehmerinnen verhaftet.
War das unter der Regierung der vorherigen Präsidentin Juljia Timoschenko anders?
Ja, es war anders. Wir wurden zwar bewacht, aber niemals verhaftet. Unsere Proteste sind absolut legal, wir verletzen keines der ukrainischen Gesetze. Es ist umgekehrt: Das, was seitens der Gesetzeshüter geschieht, ist gesetzwidrig.
Paula Pfoser ist Sozialarbeiterin und u.a. als Redakteurin der Zeitung „MALMOE“ tätig.