Die Filmregisseurin Katharina Mückstein hat eine Debatte zu #MeToo in der österreichischen Filmbranche losgetreten. Konsequenzen für die Täter gab es bisher nicht. Interview: Lea Susemichel
an.schläge: Sie haben im Juni mit einem Instagram-Beitrag über eigene Erlebnisse eine große Welle an Erfahrungsberichten zu sexualisierter Gewalt und Machtmissbrauch im Kulturbetrieb ausgelöst. Hatten Sie mit dieser Resonanz gerechnet?
Katharina Mückstein: Nein, absolut nicht. Die schiere Menge an Reaktionen, die aus allen Ecken der Film- und Unterhaltungsindustrie in Österreich und Deutschland kamen, hat mich überwältigt. Menschen haben mir nicht nur über den Account, sondern auch privat einiges anvertraut, mir zum Beispiel geschrieben, dass sie vergewaltigt wurden und noch nie mit jemandem darüber gesprochen haben. Ich war am Anfang nur noch damit beschäftigt, zu antworten, zu telefonieren oder Kontakte von Beratungsstellen weiterzugeben.
Hat auch eine Vernetzung zwischen den Betroffenen stattgefunden?
Ja, nachdem mir so viele geschrieben haben, konnte ich Muster erkennen, selbst wenn keine Namen genannt wurden. Immer wieder wurden ganz ähnliche Dinge beschrieben. Einerseits sieht man daran, wie einfallslos Sexismus ist, andererseits wurde deutlich, dass es in der Branche einige Wiederholungstäter geben muss. Ich habe daraufhin die Betroffenen kontaktiert und ihnen gesagt, dass ich das Gefühl habe, diese Geschichte öfter gelesen zu haben. Und ob sie mir den Namen nennen möchten oder an Austausch mit anderen interessiert sind, die denselben Täter haben dürften. Ich bin dadurch zu einer Art Drehscheibe geworden und habe auch versucht, Journalistinnen und Betroffene miteinander zu connecten, wenn das gewünscht war.
Bis jetzt wurde allerdings kein Täter öffentlich geoutet.
Ja, darüber bin ich auch wütend. Es gab zwar eine große Welle, aber bisher hat kein einziger Mann die Konsequenzen getragen. Das Outen eines Täters ist juristisch sehr schwierig und auch für eine Journalistin sehr aufwendig. Alle wissen es, viele reden im Vertrauen miteinander, alle kennen Geschichten und Betroffene – und trotzdem kommt irgendwann der Punkt, an dem wir einfach nicht mehr wissen, was wir tun sollen.
Diesen Männern ist wahrscheinlich gar nicht klar, was über sie bekannt ist. Das Schweigen funktioniert so gut, dass die sich überhaupt keine Sorgen machen müssen. Man stellt sich das ja immer so vor, dass die irgendeine Form von Unrechtsbewusstsein haben und denken: „Oh, hoffentlich fliege ich nicht auf.“ Aber ich glaube, das ist oft überhaupt nicht der Fall.
Selbst wenn es keine juristischen Konsequenzen und keinen Schuldspruch gibt, wünschen sich viele Betroffene zumindest Gerechtigkeit in Form sozialer Sanktionierung. Die Typen sollen nicht mehr einfach so weitermachen können wie bisher. Warum funktioniert nicht mal das?
Die Sorge, einen Schaden davonzutragen und sanktioniert zu werden, tragen momentan die Betroffenen. Das habe ich auch an mir selbst bemerkt, jedes Mal, wenn ich zum Beispiel über meine Übergriffe spreche, rechne ich damit, dass mir das schadet. Es ist zu schwierig, etwas zu beweisen, es wird einem nicht geglaubt, es kostet wahnsinnig viel Geld, es dauert irre lang. Man fragt sich unweigerlich: Ist es das wirklich wert? Und diese Furcht überschattet selbst den Austausch unter Kolleginnen oder Freundinnen, weil es die Angst gibt, dass es juristische Probleme geben könnte, wenn man zum Beispiel etwas erzählt, das dann jemandem den Job kosten könnte. Aber wir sind ja weit davon entfernt, dass unser Sprechen solche Konsequenzen hätte.
Das Berichten über sexualisierte Gewalt ist auch für Journalistinnen eine Gratwanderung: Einerseits wollen wir uns auf strukturelle Probleme konzentrieren und keine sensationalistische Berichterstattung betreiben, die einzelne Taten voyeuristisch ausschlachtet, andererseits sollten die Täter natürlich benannt und zur Verantwortung gezogen werden. Brauchen wir ganz neue Strategien, um über Machtmissbrauch zu sprechen?
Ich habe in letzter Zeit öfter gedacht: Warum rufen wir eigentlich diesen Mann nicht an und sagen ihm: „Hör mal, ist dir eigentlich klar, dass alle Bescheid wissen?“
Generell glaube ich aber, dass jedes Sprechen etwas Progressives hat, alles kann Prozesse und Veränderung auslösen. Wir als Gesellschaft stehen allerdings nicht einmal am Anfang einer guten Gesprächskultur über sexualisierte Gewalt. Ich war zuletzt in vielen Gruppenkonstellationen, aber jedes Gespräch ist irgendwann chaotisch geworden, weil es bei jeder beteiligten Person ganz verschiedene Gesprächsbedürfnisse gibt. Wir alle müssen uns auf einer ganz persönlichen Ebene damit auseinandersetzen. Und es gibt bei diesem Thema keinen Safe Space. Ganz im Gegenteil. Wir müssen uns eingestehen, dass wir viele Fehler machen werden, wenn wir beginnen, darüber zu reden. Verletzungen werden passieren und trotzdem werden wir sprechen. Und wir werden uns oft entschuldigen müssen. Und wir werden oft sagen müssen: Verdammt, wir sind noch nicht so weit, wie wir gerne wären.
Welche Verantwortung haben Institutionen wie die Filmakademie?
Es ist überall gleich, es gibt dieses System einer total elitären Ausbildungsstätte und du weißt einfach: Wenn ich es hier nicht aushalte, dann gibt es keinen anderen Ort, um den Beruf zu erlernen. Gleichzeitig bist du mit Lehrenden konfrontiert, die du als sehr wichtig einschätzt, besonders wenn du noch sehr jung bist: They can make you or break you. Und Leute werden tatsächlich gebrochen während dieser Ausbildungen.
In der Schauspielausbildung gibt es ja dieses Motiv des Brechens, das es angeblich braucht, um gute Schauspielkunst zu machen.
Ja, dort ist es noch viel schlimmer. Deshalb muss eine Institution wie die Filmakademie, die viele Generationen schwer beschädigt hat, die Verantwortung übernehmen. Ich bin letztes Jahr mit ungefähr vierzig anderen aus dem Regieverband ausgetreten, weil es dort kein Bekenntnis zu Geschlechtergerechtigkeit gibt. Jetzt heißt es: Wir gründen eine Arbeitsgruppe, aber was immer fehlt, ist zuerst mal anzuerkennen, dass man über Jahrzehnte hinweg Menschen schwer beschädigt hat. Ich glaube, um irgendetwas Zukunftsweisendes machen zu können, muss man erst in die Vergangenheit und die Gegenwart schauen.
Als eine Ursache für Grenzüberschreitungen wird immer wieder auch das entgrenzte Arbeiten beim Film genannt, bei dem ganz selbstverständlich verlangt wird, dass alle „alles geben“.
Ich würde sagen, zwei Dinge sind schuld: Der Kapitalismus und das Patriarchat. Film kostet Geld, unheimlich viel Geld, das wird allen beim Film sofort vermittelt. Jede Minute kostet zigtausende Euros. Und deshalb herrscht immer Ausnahmezustand. Es gibt einen besonderen Kollektivvertrag, wir dürfen sechzig Wochenstunden arbeiten und auch noch Überstunden zusätzlich machen.
Das andere ist das Patriarchat, denn über die Kunst von Männern wird wahnsinnig viel gerechtfertigt. Da heißt es dann: Der Typ ist ein Künstler. Damit er seine Vision umsetzen kann, müssen alle anderen mitgehen, egal, was er jetzt braucht. Ich habe für einige Regisseure gearbeitet und die schlimmsten waren immer narzisstische Männer, die schon einen gewissen künstlerischen Erfolg haben, die faul und schlecht vorbereitet waren und ihr Handwerk nicht beherrschen.
Wenn dann zum Beispiel eine Sexszene gedreht werden soll, sagt der Regisseur zu den Schauspieler:innen: Na ja, dann zieht euch mal aus und bietet mir was an. Da gibt es keine Zeit für Vorbereitung. Und wenn du dann diejenige bist, die sagt, dass sie sich in einem Raum mit zehn Männern als einzige Frau nicht einfach so ausziehen will, bist du halt die Schwierige, die alles aufhält und dadurch viel Geld kostet.
Inzwischen wird zunehmend eine sogenannte „Intimicy Coordination“ gefordert, hilft das?
Ja, es gibt zum Glück jetzt auch schon in Österreich ausgebildete Intimacy Coordinators. Das ist unangenehm für „die alten Meister“, viele wehren sich und sagen: „Wo bleibt denn dann die Kunst, die Besonderheit des Moments!?“ Alles im Detail mit den Schauspieler:innen auf Augenhöhe in Anwesenheit einer Intimicy-Koordinatorin zu besprechen – das ist natürlich sehr mühsam für jemanden, der gewohnt ist, dass einfach alle das Maul halten und nach seiner Pfeife tanzen. Ich weiß, dass andere sich wahnsinnig aufregen und es total spießig und US-amerikanisch finden, aber ich bin sehr froh, dass es das jetzt gibt.
Ist es in so einer kleinen Szene wie in Österreich besonders schwierig, jemanden zu outen?
Ja, dass man immer wieder mit denselben Leuten arbeitet, dass alle miteinander verbunden, oft auch miteinander befreundet sind – das macht es sehr schwierig, sich unbeliebt zu machen, das hat böse Konsequenzen. Und wenn der Täter aus dem eigenen Freundeskreis kommt, wird es noch schwerer.
Ein weiteres österreichisches Spezifikum ist die Tradition des Autorenfilms, mit der Österreich international so erfolgreich war. Sie bringt diesen patriarchalen Status des Künstlergenies, das Drehbuch schreibt und Regie führt, mit sich. Diese Regisseure zu kritisieren, ist extrem schwierig, weil sie ja von allen Seiten anerkannt und verehrt werden. Wenn der Film in Venedig oder in Cannes im Wettbewerb läuft, fragt niemand, wie er entstanden ist und wer dafür gequält wurde. Doch eigentlich müssten Leute, die Steuergelder bekommen, um Filme zu machen – was für ein Privileg! –, dafür Sorge tragen, dass bei ihren Filmen niemand zu Schaden kommt. Man kann schließlich auch großartige Kunst machen, ohne ein Arschloch zu sein. •
1 Kommentar zu „„Ist dir eigentlich klar, dass alle Bescheid wissen?““
Hallo ihr Lieben
Ich bin weder Filmemacher noch Schauspieler habe jedoch Freunde aus diesem Bereich. Es ist in Österreich möglich auch mit Themenspezifischen Inhalten wie Sexualität zu punkten. Filme wie Die Lust des Mannes, die Lust er Fra oder Penissimo von Gabi Schweiger sind ein Beispiel. Mir fällt noch Vulva ein. Dieser Film über das Geschlechtsteil der Frau ist ein erfolgreicher Weg mit Sexualität offen umzugehen…l.G.Charly