Apps, die automatisiert vermeintliche Makel von Selfies retuschieren, treffen auf Modelabels, die Achselhaare und Bäuche feiern. Der Raum für subtile Unterwanderung muss auch im Netz hart erkämpft werden. Von CORNELIA GROBNER
Seit Jahren werden Körperideale über soziale Medien und Hashtags wie #thighgap und #bikinibridge produziert und verbreitet. Gleichzeitig stoßen körperpositive Werbebotschaften auf ebenso große Resonanz. Der Youtube-Spot „You are more beautiful than you think“ der Pflegemarke Dove etwa wurde 67 Millionen Mal geklickt. Kern des emotionalisierenden Kurzfilms ist die Diskrepanz von Selbst- und Fremdwahrnehmung, die durch die Porträts eines Phantombildzeichners sichtbar wird – und zu Tränen rührt.
Neoliberale Händereichung. Viral verbreitete Botschaften wie der Clip von Dove klingen empowernd, doch sie bedienen sich lediglich am Narrativ, dass Frauen zu streng mit sich sind und daran erinnert werden müssen, nicht zu selbstkritisch zu sein. Das Body-Image-Marketing füttert die Idee einer gestörten Beziehung zwischen der Frau und ihrem Körper – angesichts der Masse an sexistischen Werbebildern ein schwer zu überbietender Zynismus. Ob als Selbstdarstellung oder Repräsentation – in einem visuell geprägten Medienalltag sind Bilder von Idealkörpern allgegenwärtig. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass existierende Normen sowie deren Kontrolle mittlerweile hauptsächlich medial bestimmt sind.
Kapitalismus und Patriarchat reichen sich über dem sozialen Kapital der Schönheit die Hände. Eine sexistische Schönheitsindustrie reproduziert die konstruierte Dualität der Geschlechter und reguliert dabei vor allem die als weiblich wahrgenommenen Körper. Das Paradox der aktuellen, von Social Media befeuerten Schönheitsdiskurse ist längst Gegenstand nicht nur feministischer Beobachtungen, sondern auch medien- und kulturwissenschaftlicher Auseinandersetzungen. Eine prominente Protagonistin auf diesem Feld ist die britische Sozial- und Kulturwissenschafterin Rosalind Gill, die zu ästhetischer Arbeit und Schönheitspolitiken im Neoliberalismus forscht (1): „Es heißt, liebe deinen Körper, aber gleichzeitig erfahren wir immer neue Gründe, warum wir ihn hassen müssen.“ Sie ist eine scharfe Kritikerin körperpositiver Werbung: „Zum einen sind diese Videos exklusiv an Frauen gerichtet. Zum anderen arbeiten sie selbst mit den Mitteln, die sie kritisieren, wie dem Einsatz von Filtern, künstlicher Ästhetik und professionellen Models.“ Die Wissenschaftlerin streicht gleichzeitig die falsche Diversität dieser Marketingprodukte hervor: „Man gaukelt uns vor, dass wir eine Vielfalt an Frauen sehen, aber in Wahrheit unterscheiden sich die gezeigten Körper kaum.“
Ideales Selbstbewusstsein. Mit den kommerziellen vogue gewordenen Appellen, die weibliche Selbstkritik abzulegen, findet eine Verlagerung von der körperlichen zur psychischen Regulierung von Frauen statt. „Es ist nicht mehr damit getan, ins Fitnessstudio zu gehen. Obendrein gehört das Selbstbewusstsein gestärkt – ein weiteres Stück Mehrarbeit für Frauen“, konstatiert Gill.
Und während der Markt mit der Message vom Selbstvertrauen, in dem die eigentliche Schönheit liegt, infiltriert wird, überschwemmen Hunderte Beauty-Apps die Smartphones. Deren Filtereinstellungen definieren Normschönheit und führen Abweichungen davon bei jedem Selfie vor. Per Klick gibt es die automatische Gesichtsretusche inklusive Faltenentfernung, Zähneweißen und Nasenkorrektur – willkommen in der schönen neuen Welt der Selfie-Filter namens „Beautification“, „Thin Face Visage“ und „Cosmetic Surgery“.
Optimierte Körper. Algorithmen bewerten Attraktivität, geben Verbesserungstipps und scannen Körper auf angebliche Unvollkommenheit. Die vor allem in Asien schon seit Langem populären Apps sind entsprechend westlicher Schönheitsideale gepolt und teilweise rassistisch. Erst im Frühjahr geriet der Instant-Messaging-Dienst Snapchat wegen hautaufhellender Effekte seines „pretty“-Filters unter Kritik.
Besonders perfide ist, dass sich viele Beauty-Apps unter dem Deckmantel der Gesundheit verkaufen. In diese Kerbe schlagen auch prominente kommerzielle Fitness-Accounts auf Instagram. Dort zelebrieren weiße Mittelschichtsfrauen ein Körperideal, bei dem es um das Modellieren und Formen des eigenen dünnen Körpers geht. Die Bilder zeigen jedoch weniger den anstrengenden Weg, sondern konzentrieren sich auf den Erfolg der Selbstoptimierung: straffe Bauchmuskeln, schmale Taille, fester Po. Die Bilder von sexy inszenierten Frauenkörpern verknüpfen Attraktivität und Begehrtsein mit Sportoptik.
Subversive Aneignung. Social Media, so zeigt sich, ist längst zu einer Spielwiese der Reproduktion kommerzialisierter Schönheitsideale und Körpervermessungen geworden, die dazu einladen, Frauenkörper durch eine Brille des Defizits zu betrachten. Nichtsdestotrotz erlauben die Plattformen auch Praktiken zur subversiven Unterwanderung dieser Diskurse: Simple „funny“-Filter, die Selfies mit Katzenohren oder Bärten verfremden, brechen mit dem Schönheitsimperativ.
Den ästhetisierenden Rahmen von Instagram machen sich auch Yoga-Accounts zunutze, deren Betreiberinnen nicht den westlichen Schönheitsnormen entsprechen und ihre dicken, nicht-weißen Körper in sportlichen Posen sichtbar machen. Ähnlich agieren Plus-Size-Bloggerinnen, die sich nicht von den Schönheitsdiskursen der Fitnessund Modeindustrie verdrängen und diskriminieren lassen wollen.
Die Forderung nach Inklusion von dicken Körpern wird zaghaft erhört, wie die steigende Präsenz von Plus-Size-Models wie Ashley Graham und Tess Holliday zeigt. Die Hamburger Modesoziologin Melanie Haller führt dies jedoch mehr auf den Trend zu sichtbarer Diversität als Marketingstrategie zurück: „Diese Mehr-Präsenz großer Körper darf nicht verwechselt werden mit dem Wunsch, große Körper in der Modeszene nicht länger zu marginalisieren. Es geht schlicht um Aufmerksamkeitsökonomie.“ Bestes Beispiel dafür sei der aktuelle Werbespot der Bekleidungskette H&M, der zwar die Diversität von Frauenkörpern preist, große Größen aber nach wie vor fast ausschließlich online vertreibt.
Feministische Verweigerung. Bei aller Kritik an der Modeindustrie legen viele Plus-Size-Blogs nichtsdestotrotz Wert auf die Optimierung von dicken Körpern und betonen ihre normschönen Proportionen. Im Gegensatz dazu verbindet Nähblogs eine explizite verweigernde Haltung, wie Dagmar Venohr vom „netzwerk mode textil“, der Interessenvertretung der kulturwissenschaftlichen Textil-, Kleider- und Modeforschung, behauptet. „Das Selber-Nähen von Kleidung, die passt, wird zum feministischen Akt, mit dem sich die Bloggerinnen dagegen wehren, einem normierenden Ideal der Modeindustrie zu entsprechen“, so die promovierte Modewissenschaftlerin.
Selbst wenn über das widerständige Potenzial einer online inszenierten Handarbeitshäuslichkeit diskutiert werden kann, so bleibt das „selbstermächtigende Modehandeln“ (Venohr) der Näh- und Plus-Size-Bloggerinnen dennoch ein starkes Verweigerungssignal in Richtung Schönheits- und Modeindustrie. Die Visualisierung von Körperlichkeiten, deren Disziplinierung und die Exklusion von bestimmten Körpern über Social-Media-Kanäle ist immer auch ein Kampf um Sichtbarkeit und gegen gesellschaftliche Machtverhältnisse. Die teils subtil, teils off ensiv wirkenden Mechanismen zur (Selbst-)Überwachung machen das widerständige und feministische Nein zu diesen Idealen schwierig. Schwierig, aber nicht unmöglich.
Cornelia Grobner kämpft bei Body-Image-Marketing mit der eigenen Gerührtheit und schreibt auch deswegen mit Genugtuung dagegen an.
(1) Ana Elias, Rosalind Gill, Christina Scharff: Aesthetic Labour: Beauty Politics in Neoliberalism, Palgrave 2016