Eine europäische BürgerInneninitiative kämpft EU-weit für das Recht auf Wohnen. BERNADETTE SCHÖNANGERER hat Initiatorin KARIN ZAUNER-LOHMEYER gefragt, warum wir Wohnen nicht dem Markt überlassen dürfen.
an.schläge: Wohnpolitik ist Sache der EU-Mitgliedsstaaten, in den verschiedenen Ländern sind die Voraussetzungen unterschiedlich. Warum braucht es eine europäische BürgerInneninitiative?
Karin Zauner-Lohmeyer: Wohnraum wird immer mehr zum Spekulationsobjekt. Das ist in Wien vielleicht noch nicht ganz so dramatisch, doch in anderen europäischen Städten, z. B. in Portugal und Spanien, wo es einen schlechten MieterInnenschutz gibt, ist es katastrophal. Global agierende Immobilienkonzerne und Pensionsfonds kaufen ganze Häuserblöcke auf, warten, bis der Preis steigt, dann stoßen sie das Objekt wie eine Aktie wieder ab. Diese Entwicklung ist wirklich besorgniserregend. Die Mieten steigen rasant, viele Städte haben aufgrund der hohen Bodenpreise Probleme, überhaupt noch sozialen Wohnbau entwickeln zu können. Hier kommt eine Spirale in Gang, die das Recht auf Wohnen gefährdet. Die Europäische Union hat hier eine große Verantwortung, weil sie die finanziellen Rahmenbedingungen gestaltet.
Welche Forderungen stellen Sie an die EU?
Den Städten und Staaten sind durch die Maastricht-Kriterien die Hände gebunden, sie können nicht ausreichend in den öffentlichen Wohnbau investieren. Der Zugang zu gefördertem Wohnbau wird außerdem über das EU-Beihilfenrecht eingeschränkt. Förderung soll es nur für die Ärmsten der Armen geben. Wir fordern, dass das aufgehoben wird. Unser Ziel ist es, dass Wohnpolitik für alle gemacht wird und der Wohnungsmarkt reguliert wird. Denn der freie Markt wird von sich aus niemals leistbaren Wohnraum hervorbringen. Ohne Regulierung wird man auch keine durchmischte Stadt mehr haben, sondern ganze Stadtviertel mit leerstehenden Wohnungen oder Vermietungen über Airbnb.
Wie kann man gegen Spekulation mit Wohnraum vorgehen?
Die Stadt Wien hat hier z. B. eine mutige Maßnahme gesetzt: Wenn ein Grundstück als Baugrund umgewidmet wird, dann müssen zwei Drittel der Wohnungen, die dort entstehen, geförderter Wohnbau sein. Ein Immobilienentwickler darf dort nicht mehr als eine gewisse Obergrenze an Miete verlangen. Das wirkt gegen Spekulation.
Wie sind Sie in den verschiedenen Ländern vernetzt?
Zu unseren Partnerinnen und Partnern gehören soziale Organisationen und Menschenrechtsorganisationen, kirchliche Organisationen, „Recht auf Stadt“-Netzwerke, aber auch MieterInnen- und PensionistInnenverbände und Gewerkschaften. Wir sind eine Allianz, die ein sozialeres Europa will. Ich bin fest davon überzeugt, dass der Zuspruch für rechte und rechtsextreme Parteien auch sehr stark mit dem Wohnungsmarkt zu tun hat und besonders hoch ist in Ländern, in denen die Obdachlosigkeit steigt, wo es viele Delogierungen oder Zwangsräumungen gibt und die junge Bevölkerung kaum Perspektiven hat, sich einmal selbst Wohnraum leisten zu können. Die EU tut gut daran, hier Maßnahmen zu setzen. Beim Thema Wohnen geht es auch um den sozialen Frieden und um Demokratie.
Sie betonen, dass Wohnen ein Menschenrecht ist. Was umfasst dieses Recht?
Das Recht auf Wohnen umfasst aus meiner Perspektive, dass Politik es als ihre Aufgabe sieht, Wohnpolitik zu gestalten und das Wohnen nicht dem Markt zu überlassen. Es gibt kein Recht auf maximale Rendite, aber jeder Mensch hat ein Recht darauf, etwas zu essen und ein Zuhause zu haben. Die Stadt Wien bemüht sich seit etwa hundert Jahren aktiv, Wohnraum zu schaffen und dieses Recht auf Wohnen umzusetzen, im Gemeindebau und im geförderten Wohnbau. Vor allem bei von Armut betroffenen Menschen gibt es aber noch Handlungsbedarf, schwierig ist es besonders für all jene, die von Sozialhilfe leben und eine Wohnung suchen.
Die Wohnkosten steigen in Österreich viel stärker als die Einkommen und andere Lebenshaltungskosten, in Wien sind die Mieten im privaten Sektor in den letzten zehn Jahren sprunghaft angestiegen. Was sind die Hauptursachen dafür?
Einerseits die Niedrigzinspolitik, die dazu führt, dass immens viel Geld in Immobilien veranlagt wird. Wohnraum ist in wachsenden Städten eine sichere Geldanlage. Boden ist nicht vermehrbar. Es gibt viel mehr Nachfrage als Angebot. Besonders hoch ist die Nachfrage bei Wohnungen unter 600 Euro Miete, dort ist der jährliche Anstieg viel höher als bei Mieten über 2500 Euro. Unter diesen Marktbedingungen können sich KäuferInnen sicher sein, dass eine Immobilie an Wert gewinnt. Daher gibt es auch einen enormen Bauboom bei Vorsorgewohnungen.
Es ist ja mittlerweile breit gesellschaftlich akzeptiert, dass eine Wohnung, die man sich kauft, auch einen Gewinn abwerfen soll.
Absolut. Wohnungen werden wie Aktien gehandelt. Früher hatte man ein Sparbuch oder einen Bausparvertrag, heute empfiehlt dir dein Anlageberater, in eine Vorsorgewohnung oder in Immobilienfonds investieren. Dadurch gerät der Wohnungsmarkt massiv unter Druck. In Berlin kostet ein WG-Zimmer mit neun Quadratmetern mittlerweile 600 Euro. Das ist Wohnen im 21. Jahrhundert! Da muss ich mich doch fragen, ob das noch Chancengleichheit ist!
Eine gesetzliche Einschränkung ist aber nicht in Sicht?
In Berlin diskutiert man gerade über Mietendeckel – und gleich ist von Kommunismus die Rede. In Österreich haben wir mit dem Richtwertgesetz und dem Mietrechtsgesetz ja so etwas wie einen Mietendeckel. Durch die Richtwertmiete können im Gemeindebau, im geförderten Wohnbau, aber auch in Gebäuden, die vor 1945 errichtet wurden, nicht unendlich hohe Preise verlangt werden. Natürlich müsste das Mietrecht weiter gehen, sodass auch Neubauwohnungen eine Mietpreisobergrenze bekommen. In den Beständen vor 1945 dürfen VermieterInnen auch Lagezuschläge verrechnen. Auch das ist problematisch, denn: Warum ist die Lage gut? Z. B. deshalb, weil die öffentliche Hand dort eine U-Bahn gebaut hat. Das bedeutet, dass jemand mit unserem Steuergeld seine Immobilie aufwertet.
Die letzte österreichische Bundesregierung hat den Fokus stark auf „Eigentum vor Miete“ gelegt und eine Änderung im Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz beschlossen, sodass künftig geförderte Wohnungen nach fünf Jahren von den MieterInnen erworben werden können. Wie bewerten Sie das?
Das ist natürlich ein großer sozialpolitischer Fehler. Wir sehen ja, was am privaten Markt mit dem Eigentum passiert. Wohnungen kommen dann schnell in einen profitorientierten Kreislauf und stehen der Gesellschaft, Leuten mit wenig Geld, aber auch der Mittelschicht nicht mehr zur Verfügung. Wir haben z. B. in München und in Frankfurt schon die Situation, dass einzelne Berufsgruppen in den Städten fehlen, weil sie sich das Wohnen dort nicht mehr leisten können. Man sieht in Deutschland, wo in den vergangenen zwanzig Jahren etwa 800.000 Wohnungen privatisiert wurden, wie sehr man dort dem gemeinnützigen Wohnbau nachtrauert. Dort fehlen jetzt massiv leistbare Wohnungen für Menschen mit geringem Einkommen.
Mit Ihrer Initiative fordern Sie, Kurzzeitvermietungen über Plattformen wie Airbnb zu regulieren. In Österreich gäbe es dafür quer durch die Parteienlandschaft Zustimmung. Worin liegt die Schwierigkeit, das umzusetzen?
Plattformen wie Airbnb, die digitale Kurzzeitvermietungen anbieten, beziehen sich auf die Datenschutz-Regelungen der EU, die besagen, dass diese Unternehmen der Behörde die VermieterInnen nicht nennen müssen. Dadurch kann eine Behörde, oder eine Stadt oder ein Staat, die Vermietungen nicht regulieren. Das ist ein europaweites Problem und braucht eine europaweite Antwort. In Wien werden etwa 2000 Wohnungen dauerhaft der heimischen Bevölkerung entzogen. In Lissabon z. B. wird aber bereits ein Drittel der Wohnungen über Airbnb vermietet. Dadurch fehlt nicht nur der Wohnraum für die einheimische Bevölkerung, es ändert sich auch der Charakter der Stadt. Wenn die Leute, die seit Generationen dort leben, aus den Städten verschwinden, werden diese langsam austauschbar.
Wo erhoffen Sie sich durch die Initiative auch in Österreich eine Debatte oder ein stärkeres Bewusstsein?
Wir müssen den Menschen klarmachen, dass der „freie Markt“ niemals leistbaren Wohnraum für breite Schichten der Bevölkerung hervorbringt. Wohnen muss daher Teil der Daseinsvorsorge sein, wie in Wien. Mit einem Menschenrecht darf man nicht spekulieren! In dem Zusammenhang sollten wir auch über Vorsorgewohnungen sprechen und was sie für die Verfügbarkeit von leistbarem Wohnraum bedeuten und dass über unsere eigene Pensionsvorsorge zum Teil die Wohnungsmärkte zerstört werden. Wenn es gelingt, dass man über diese Zusammenhänge mehr Bewusstsein schafft, dann haben wir schon sehr viel gewonnen.
Die Initiative „Housing for All“ kann noch bis zum 18.3.2020 online unterschrieben werden unter: housingforall.eu
Bernadette Schönangerer ist Redakteurin der Zeitschrift „MALMOE“.