Waldbaden, Lachyoga, Hygge oder Dankbarkeitsmeditationen – Glücksrezepte gibt’s zuhauf. Doch ohne gesellschaftliche Gerechtigkeit ist kein dauerhaftes Glück zu haben, zeigt die sozialwissenschaftliche Forschung. Von LEA SUSEMICHEL
Die Antidepressiva haben mit Abstand am besten gewirkt. Für seinen „Happy Film“ hat Stefan Sagmeister drei große Glücksversprechen im Selbstversuch getestet: Psychopharmaka, Meditation und Verhaltenstherapie. Doch der Promi-Grafikdesigner, dem nicht nur mit dem Film, sondern auch als Kurator einer durchdesignten Happy-Ausstellung – die Lieblingspralinen ebenso wie politisch fragwürdige Lebensweisheiten à la „jeder ist seines Glückes Schmied“ versammelte – ein enormer Publikumserfolg gelungen ist, zieht eine ernüchterte Bilanz. Nach Absetzen des Medikaments rasselte seine Stimmung wieder in den Keller, selbst mit einer rauschhaften Verliebtheit war es vorbei. In Sagmeisters Film über emotionale Selbstoptimierung kommt deshalb auch der prominente US-Professor für Psychologie Jonathan Haidt zu Wort, der drei andere Wege zum Glück vorschlägt. Seiner Ansicht nach gilt es, die richtigen Beziehungen zu führen: zu anderen Menschen, zur eigenen Arbeit und zu etwas, das größer ist als man selbst, also einem, nicht unweigerlich religiösen, Sinn im Leben.
Sagmeister ist nicht der Einzige, der mit Glück Geld macht. Die Vielzahl der Glücksratgeber, die wahlweise esoterische, philosophische oder psychologische Patentrezepte liefern, ist unüberschaubar. Sie greifen gerne auf positive Psychologie und Hirnforschung zurück, oft gebrauchte Vokabeln in Bestsellern wie z. B. „The World Book of Happiness“ sind Achtsamkeit und Dankbarkeit, empfohlen wird überdies die Freude an den kleinen Dingen oder das Führen von Glückstagebüchern.
Doch worauf zielen all diese Glücksrezepte ab? Wie wird Glück überhaupt definiert? Wodurch unterscheidet sich stabiles Lebensglück von vergänglicheren Phasen der Euphorie? Und wie wird es gemessen?
Glück 1 + 2. „Her mit dem schönen Leben!“ Die durchaus feministische Forderung zielt auf einen Zustand, der in der Glücksforschung als Maximalvariante gilt. Das „schöne Leben“ wird als „Glück 2“ definiert, doch bereits das bescheidenere „Glück 1“ fällt unter die Kategorie Lebensglück und wird als Zustand ohne Mangel und Leid verstanden. Diese Formen fortdauernden Glückes, die mit allgemeiner Lebenszufriedenheit wohl besser umschrieben sind, zu erfassen und zu vergleichen, ist allerdings schwierig, gilt Glück doch zugleich als höchst individuelle und komplexe Angelegenheit. Erhebungen wie der von der UN jährlich veröffentlichte „World Happiness Report“ versuchen trotz der Schwierigkeit, ein adäquates Studiendesign für solch eine umfassende Fragestellung zu entwickeln, Voraussetzungen für subjektives Wohlbefinden zu ermitteln. Sie vergleichen dafür 155 Länder nach Kriterien wie Lebenserwartung, Gesundheit, Arbeitslosenrate, Bruttoinlandsprodukt, sozialem Zusammenhalt, Freiheitsgefühl, Zuversicht oder Vertrauen in politische Stabilität und befragen dabei jeweils mehr als 3000 Menschen. Das wenig überraschende Resultat: Länder, in denen Krieg und Armut herrschen, schneiden sehr schlecht ab. So befindet sich Syrien gemeinsam mit vielen südafrikanischen Staaten ganz am Ende der Liste auf Platz 152. Staaten, in denen es Sicherheit und Wohlstand gibt, rangieren oben, so findet sich Österreich auf Platz 13, Deutschland knapp dahinter auf Platz 16. An der absoluten Spitze jedoch stehen regelmäßig nordische Länder wie Norwegen, Finnland, Dänemark und Island, die es allesamt unter die Top Fünf schaffen.
Hygge & Happiness. Bei der medialen Interpretation dieser Ergebnisse wird allerdings auf die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen nur am Rande eingegangen. Dass beispielsweise Island nicht nur beim Glücksranking unter den ersten dreien ist, sondern auch hinsichtlich Geschlechtergleichheit und sozialer Gerechtigkeit an erster Stelle steht, findet erstaunlicherweise kaum Erwähnung. Allgegenwärtig hingegen ist der Verweis darauf, dass es wohl an „Hygge“ liegen müsse, dass die DänInnen trotz ständiger Dunkelheit und schlechten Wetters so gut drauf seien. Dieser „Hygge“-Trend, den Glücksforscher Meik Wiking vom dänischen Happiness Research Institute mit seinem Bestseller zum Thema begründet hat, ist seither ungebrochen, das Wort hat es inzwischen sogar in den Duden geschafft und wird dort als Lebensprinzip der Gemütlichkeit und Heimeligkeit definiert.
Seither explodiert der Ratgebermarkt mit skandinavischen Einrichtungs- und Beleuchtungstipps, die ihren LeserInnen mit Keks- und Bastelrezepten zum Lebensglück verhelfen wollen.
Was in diesen Ratgebern steht, ist nun freilich nicht alles falsch. Eine heiße Schokolade auf einem kuscheligen Sofa in einem behaglich eingerichteten Raum kann ganz bestimmt ziemlich zufrieden machen. Hilfreich ist sicherlich auch, die Wahrnehmung zu verändern und sich in Selbstfürsorge und Stressreduktion zu üben, um unser tägliches Glückslevel zu erhöhen, wie es auch jenseits des Hygge-Trends gerne empfohlen wird.
Allerdings wird dabei der wichtige Aspekt sozialer Beziehungen meist lediglich auf der Mikroebene verhandelt, es wird also stets nur die große Wichtigkeit guter Freundschaften und gelingender Partnerschaften betont. Der größere gesamtgesellschaftliche Zusammenhang, wie wichtig also das Solidarprinzip im Großen ist, das in skandinavischen Ländern für bessere Gesundheitsversorgung sowie größere Bildungsgerechtigkeit und soziale Sicherheit sorgt, wird in der populärwissenschaftlichen Glücksforschung weitgehend ignoriert.
Gleichheit ist Glück. Mit ihrem Buch „Gleichheit ist Glück: Warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind“ legen die beiden SozialwissenschaftlerInnen Kate Pickett und Richard Wilkinson den Fokus genau auf diesen zentralen Aspekt. Und sie belegen darin überzeugend, dass es in erster Linie die Faktoren Gleichheit und Gerechtigkeit sind, die gesund und glücklich machen. Oder, um es im Umkehrschluss mit Richard Wilkinson drastischer zu formulieren: „Ungleichheit bringt uns um. Je ungleicher eine Gesellschaft ist, desto größer sind die sozialen Probleme. Ungleiche Gesellschaften schneiden bei der Lebenserwartung schlechter ab, es gibt mehr Drogensüchtige, mehr psychische Erkrankungen wie Depression, mehr Kriminalität“, wie der Gesundheitswissenschaftler im „Standard“-Interview sagt. Und das Entscheidende daran: „In einer sozial gleicheren Gesellschaft geht es nicht nur den Ärmsten der Armen besser, sondern es profitieren neunzig Prozent der Bevölkerung.“
Denn während in ungleichen Gesellschaften wie den USA die sozial am schlechtesten gestellten Schichten zweifellos am meisten unter den Nachteilen zu leiden haben, können von den Vorteilen gleicherer Gesellschaften wie Sicherheit, Stabilität und hohen Bildungsstandards alle profitieren, auch die privilegierten Milieus. Ungleichheit zerstöre zudem die Qualität von sozialen Beziehungen, so Pickett und Wilkinson, doch gerade diese seien wesentliche Faktoren für Zufriedenheit, Gesundheit und Glück. Denn die Qualität der sozialen Beziehungen, ob wir also respektiert und gemocht werden, sei für das persönliche Stress- und damit Gesundheitsniveau und Glücksempfinden am wichtigsten. Gelingende Beziehungen seien für die Gesundheit letztlich sogar relevanter als z. B. die Frage, ob wir rauchen, so Wilkinson.
In extrem ungleichen Gesellschaften wie Südafrika mit seinen „Gated Communities“, abgeriegelten Wohnkomplexen mit eigener Infrastruktur, in denen sich Wohlhabende vom Rest der Gesellschaft abschotten, sei hingegen das Gemeinschaftsleben sowie das gesamte Sozialgefüge in Mitleidenschaft gezogen. Misstrauen, Statusangst und Narzissmus seien weit verbreitet. Dieser psychosoziale Stress führe zu einem signifikant höheren Prozentsatz von Menschen, die an Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen leiden.
Gender Hapiness Gap. Was allerdings auch bei Pickett und Wilkinson wenig Beachtung findet, ist das Thema Geschlechtergerechtigkeit. Doch die Glücksforschung nennt als wichtiges Kriterium für allgemeine Lebenszufriedenheit auch die Freiheit für eigene Lebensentscheidungen, also etwas, dem einengende Geschlechterrollen diametral entgegenstehen. Es wird also kein Zufall sein, dass die Länder, die das Glücksranking anführen, auch in Sachen Gleichstellung im Spitzenfeld liegen. Schließlich dürfte auch der sogenannte „Gender Happiness Gap“ andernorts das allgemeine Glücksniveau drücken. Dieser Gap besagt, dass Männer mit fortschreitendem Alter tendenziell glücklicher werden, Frauen jedoch unglücklicher, wie eine Untersuchung zeigt, die 2008 im „Journal of Happiness Studies“ erschien. Laut dieser Langzeitstudie sind Frauen seit den 1970ern durchschnittlich unglücklicher geworden und sie leiden auch häufiger unter psychischen Erkrankungen als Männer. „Gains in women’s rights haven’t made women happier. Why is that?“, wird diese Entwicklung im „Guardian“ kommentiert. Eine wichtige Erklärung dafür ist, dass die Realität den frauenpolitischen Forderungen deutlich hinterherhinkt und Frauen extrem unter der Doppelbelastung von Beruf und Familie leiden. Mit zunehmendem Alter sind sie deshalb oft gezwungen, ihre Ambitionen mehr und mehr aufzugeben, während Männer ihre Pläne und Zukunftswünsche hingegen häufiger realisieren können. Dazu passt die Studie des Stanford-Soziologen Michael Rosenfeld, die zeigt, dass verheiratete Frauen unglücklicher sind als verheiratete Männer. Denn durch die klassische Aufgabenverteilung bei der Familienarbeit profitieren Männer weiterhin von der Ehe – während Frauen meist bloß Freiheiten verlieren und zusätzliche Pflichten bekommen.
Das gute Leben. Es trifft also auch, aber beileibe nicht nur auf das Geschlechterverhältnis zu: Wer über Glück nachdenkt, sollte unbedingt auch über Gleichheit und Gerechtigkeit sprechen. Vielleicht wäre es deshalb sogar ganz grundsätzlich angeraten, statt des allgemeinen, hochindividualistischen Glückshypes mit seiner Suche nach dem glücklichen, schönen Leben doch lieber zur alten philosophischen Frage nach dem guten Leben zurückzukehren. Denn das gute Leben für alle wäre wohl definitiv das größte Glück.