Strangulation beim Sex ist ein popkulturelles Phänomen. Eine Einordnung zwischen weiblicher Unterwerfung und Entstigmatisierung von Lust bleibt kompliziert. Von Sophia Krauss
Als ich zum ersten Mal mit einem Mann schlief, war ich fünfzehn. Obwohl ich nie zum Orgasmus kam, schlief ich weiter mit ihm. Manchmal täuschte ich einen Höhepunkt vor. Nach einigen Wochen fragte ich, ob er mir während des Sex ins Gesicht schlagen könne. Er tat es und es machte mich an. Trotzdem bin ich nicht gekommen.
Diese frühe Episode meines erwachenden Begehrens hat mich immer verwirrt. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt noch keinen einzigen Pornofilm gesehen. Heute wäre es einfach, mein Verhalten als jugendliche Nachahmung weiblicher Unterwürfigkeit auf PornHub zu deuten. Doch dem war nicht so.
PORNO & POPKULTUR. Heute, zehn Jahre später, ist das, was man gemeinhin „harten Sex“ nennt, längst Popkultur. Harter Sex ist definiert als Sex, der aggressiv, aber konsensuell ist. So rappt die Berlinerin Ikkimel in ihrem Chart-Hit „Deutschland“, den sie im Sommer letzten Jahres gemeinsam mit Ski Aggu veröffentlichte: „Und wenn er lieb ist, darf er auf meinen Arsch schlagen. Steh’ auf blaue Flecken, außer auf der Wahlkarte.“ Der Track dreht sich um Partys, Drogen – und natürlich um harten Sex. Darunter fallen sexuelle Praktiken wie Haare-Ziehen, Schlagen oder Würgen. Nicht zuletzt der Erfolg von „Shades of Grey“ hat BDSM aus der Schmuddelecke geholt, obwohl die stereotype Rollenverteilung und auch die gewaltvoll und manipulativen Sexszenen in Filmen und Büchen für viel Kritik sorgten.
Strangulation beim Sex, das sogenannte „Choking“, erfreut sich neuerdings besonderer Beliebtheit. So ging US-Musiker Jack Harlow 2023 auf TikTok mit dem Song „Lovin’ On Me“ viral. Hier heißt es: „I’m vanilla, baby. I’ll choke you, but I ain’t no killer, baby.“ In der Pilotfolge der HBO-Hit-Serie „Euphoria“ wird eine High-School-Schülerin beim Sex gewürgt und auch in der kontroversen TV-Produktion „The Idol“ wird Hauptdarstellerin Lily-Rose Depp mit einem Gürtel gechokt. Laut einer Umfrage an einer US-amerikanischen Universität, an der 5.000 Studierende teilnahmen, gaben knapp zwei Drittel aller weiblichen Studentinnen an, schon einmal von einem Partner während dem Sex gewürgt worden zu sein. Vierzig Prozent von ihnen waren zwischen 12 und 17 Jahren alt, als dies das erste Mal passierte.
Die Journalistin Peggy Orenstein nennt diese Entwicklung in ihrem Essay für die „New York Times“ „The Troubling Trend in Teenage Sex“ und bezieht sich dabei v. a. auf Sexualitätsforscherin Debby Herbenick. Choking birgt schließlich erhebliche gesundheitliche Risiken: Auch eine kurzzeitige Unterbrechung der Blutzufuhr zum Gehirn kann zu dauerhaften Schäden wie Schlaganfällen oder kognitiven Beeinträchtigungen führen. Die MRTs von Studentinnen, die wiederholt gechokt wurden, wiesen im Vergleich mit einer Kontrollgruppe öfter Entzündungsreaktionen auf, die mit einem erhöhten Risiko für später auftretende psychische Erkrankungen verbunden sind. Bei der Bewältigung einfacher Gedächtnisaufgaben mussten ihre Gehirne weitaus härter arbeiten und mehr Gehirnregionen aktivieren, um die gleiche Genauigkeit zu erreichen. Die meisten der Studentinnen, die beim Sex gewürgt worden waren, gaben außerdem an, dass ihre Sexpartner*innen sie nie oder nur manchmal fragten, bevor sie ihnen an den Hals griffen. Viele waren später auch nicht mehr in der Lage, ihre Zustimmung zu widerrufen, da sie keine Luft mehr bekamen oder nicht mehr sprechen konnten. Wie Peggy Orenstein schreibt, raten viele BDSM-Praktizierende davon ab, Sexpartner*innen zu strangulieren. Doch Choking hat sich, wie harter Sex im Allgemeinen, längst aus den subkulturellen und queeren Räumen entfernt, in denen BDSM lange ausschließlich praktiziert wurde. Dies führt zwar zu mehr gesellschaftlicher Akzeptanz, birgt jedoch auch die Gefahr, dass riskante Sex-Praktiken ohne ausreichendes Wissen um Konsens, gesundheitliche Risiken und Nachbesprechungen von vielen jungen Menschen ausgelebt werden. Freund*innen, mit denen ich bei der Recherche für diesen Text gesprochen habe, berichten z. B.: „Ich habe das Gefühl, dass BDSM-Sex immer mehr zu einem Standard wird, der einfach vorausgesetzt wird. Ich finde das auch ein bisschen beängstigend, weil ich nicht glaube, dass alle Menschen auf diese Art miteinander schlafen möchten.“
SELBSTBESTIMMTE LUST? Der Einzug von BDSM-Praktiken in den Mainstream hat dabei eine vergeschlechtlichte Dimension. Denn obwohl in Herbenicks Forschung alle Geschlechter und Sexualitäten davon berichten, Partner*innen beim Sex zu würgen oder selbst gewürgt zu werden, übernimmt niemand so oft den passiven Part in diesen Praktiken wie hetero- und bisexuelle Frauen. Während bei der Beteiligung an hartem Sex im Allgemeinen keine Geschlechterdifferenzen beobachtet werden können, sind diese deutlich sichtbar, wenn nach aktiver und passiver Beteiligung unterschieden wird. Bisherige Umfragedaten belegen, dass harter Sex statistisch am häufigsten als Heterosex stattfindet, bei dem der Mann die aggressive, dominante Rolle einnimmt, während die Frau submissiv und devot ist und sich würgen, schlagen oder beleidigen lässt. Eine meiner Freund*innen reflektiert: „Als ich mich devot verhalten habe, hatte ich das Gefühl, dass es meinen Partnern mehr gefällt. Es brauchte viel Mut, auch die aktive Rolle einzunehmen. Aber mir hat es nicht mehr gefallen, sehr unreflektiert nur stereotypische Geschlechterrollen auszuleben – auch beim Sex.“ Doch wird man allen Facetten weiblicher und queerer Lust gerecht, wenn man sexuelle Unterwerfung und harten Sex pauschal des Sexismus beschuldigt? Die Diskussion solcher Fragen hat eine lange feministische Tradition, die in den sogenannten Sex Wars der Achtziger gipfelte. Gegen Radikalfeministinnen, die Pornografie als patriarchale Gewalt gegen Frauen labelten, positionierte sich ein „sexpositiver“ Feminismus, der in anti-pornografischen Haltungen eine Zensur der Sexualität sah, und für sich beanspruchte, für sexuelle Freiheit zu kämpfen. Aber besteht eigentlich ein nachgewiesener Zusammenhang zwischen Pornokonsum und dem Praktizieren von hartem Sex? Eine 2024 veröffentlichte australische Studie zeigt, dass junge Menschen vor allem durch Pornografie (34,8 Prozent) erstmals mit dem Thema Choking in Berührung kommen. Es fehlt jedoch an breit angelegter Forschung, die kausale Zusammenhänge zwischen Pornografie und Sexualverhalten ermittelt. Noch immer bewerten Wissenschaftler*innen diese unterschiedlich. Harter Sex wurde eben auch durch Mainstream-Filme oder soziale Medien zum Bestandteil einer soziokulturellen Gemengelage, die unser Sexualverhalten insgesamt beeinflusst.
SCHLECHTE FEMINISTIN? Anstatt nur bestimmte Praktiken zu kritisieren, müssen wir vielleicht fragen: Wie kann selbstbestimmte weibliche Lust möglich werden? Dazu kann vielleicht auch eine Lust an der Unterwerfung zählen. Das Problem bei Heterosex fängt schließlich nicht erst bei BDSM an. Immer noch gibt es den Gender-Orgasm-Gap. Männer kommen beim Sex häufiger als Frauen, was u. a. daran liegt, dass sich Heterosex typischerweise primär um den Koitus dreht und darum, wie die Frau den Mann am besten sexuell befriedigt.
Umfragedaten unter US-amerikanischen Studierenden haben gezeigt, dass der Anteil derjenigen, denen harter Sex „sehr gut“ gefällt, am höchsten unter den befragten trans* und nicht-binären Personen war (57 Prozent), gefolgt von cis-Frauen (42 Prozent). Trotzdem ist der Orgasm-Gap nicht verschwunden. Die eigene Sexualität inmitten von ungleichen Machtverhältnissen, fehlender Bildung, Scham und rätselhaftem Begehren zu ergründen, bleibt für viele Frauen und Queers schwierig. „Manchmal fühle ich mich wie eine schlechte Feministin, wenn ich BDSM genieße“, sagt eine andere Freundin. „Und gleichzeitig tun mir Männer sogar leid, weil ich mir denke: Ihr verpasst so viel, weil ihr eure Dominanz so oft nicht aufgeben könnt.“
Sophia Krauss findet, dass Lust an Unterwerfung immer mit feministischer Kritik zusammengedacht werden muss.