Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander – doch Ökonom*innen haben Konzepte für eine neue Form des Wirtschaftens, die auch rechtspopulistischer Politik das Wasser abgräbt. Von Brigitte Theißl
Grüne und SPD müssten sich „endlich von der Idee verabschieden, dass Neoliberalismus progressiv sein kann“, sagt Isabella Weber im „Der Freitag“-Interview. Die Ökonomin, aktuell u. a. Associate Professor of Economics an der University of Massachusetts Amherst, sorgte zuletzt mit ihrem proklamierten Konzept der „antifaschistischen Wirtschaftspolitik“ für Schlagzeilen. Regierungen sollten Grundbedürfnisse wie Essen und Wohnen nicht einfach dem Markt überlassen – und so auch rechter Propaganda das Wasser abgraben. In den USA etwa sei die Inflation trotz erfolgreicher Ansätze der „Bidenomics“ unterschätzt worden – häufig werde mit Durchschnittwerten hantiert, statt sich die konkreten Auswirkungen auf einzelne Bevölkerungsgruppen anzusehen, so Weber im „Jacobin“. Gestiegene Preise für Essen, Verkehr, Energie und Wohnen treffen die Bevölkerung massiv – hier müsse der Staat lenkend eingreifen und die Grundbedürfnisse der Menschen absichern. Ihr Vorschlag strategischer Preiskontrollen als Waffe gegen die „Verkäuferinflation“ wurde von zahlreichen Ökonom:innen scharf kritisiert – inzwischen gibt es breites Interesse an Webers Ideen.
PREISKONTROLLEN. Preissetzung würde am Markt eben keineswegs stets rational erfolgen, so Weber, doch (neoliberale) Regierungen würden auf Geldtransfers statt Preiskontrollen setzen (so zuletzt auch Schwarz-Grün in Österreich). Progressive Parteien sollten stattdessen auf eine Mietpreisbremse sowie eine Energiepreisbremse setzen und die Netzentgelte senken. Auch den explodierenden Lebensmittelpreisen müsse ein Riegel vorgeschoben werden. Es gelte, den Staat als „unternehmerischen Akteur, der Märkte im Interesse des Gemeinwohls gestaltet und mobilisiert“ zu betrachten, so Weber im „Freitag“. Als Positivbeispiel nennt sie Spanien, wo ein solcher Kurs der Umverteilungspolitik zu massivem Bodenverlust der Rechtsextremen geführt habe.
FAIRSORGEN. Konzepte für eine neue Form des Wirtschaftens haben auch feministische Ökonom*innen entwickelt. In Österreich hat etwa die Initiative „Femme Fiscale“ ein feministisches Konjunkturpaket entwickelt: „Investitionen in Kinderbetreuung, Bildung, Pflege und Gesundheit im Ausmaß von 12 Milliarden würden nicht nur die Situation von Frauen, sondern das Leben aller Menschen verbessern“, ist auf fairsorgen.at zu lesen. Die aktuelle Krisenpolitik würde Geschlechterverhältnisse weitgehend ignorieren, kritisiert Femme Fiscale. „Care“-Investitionen wie Kinderbetreuung, Bildung, Pflege und Gesundheit würden aber doppelt so viele Arbeitsplätze wie Investitionen in „Beton“ schaffen.
GLOBALE VERMÖGENSSTEUER. Auch die Forderung nach gerechter Besteuerung gewinnt zunehmend an Boden. Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos im Jänner forderten runden 370 Millionärinnen und Milliardär*innen höhere Steuern auf große Vermögen – darunter auch Marlene Engelhorn. Überreichtum sei eine große Gefahr für die Demokratie, warnten die Vermögenden. „Unsere Erfahrung lehrt uns, dass die Superreichen mehr Mitspracherechte haben als alle anderen. Das ist die unbequeme Wahrheit“, schrieben sie in einem offenen Brief. Für eine gute Idee hält das auch Ingrid Robeyns, die mit ihrem Konzept des „Limitarismus“ – zuletzt im an.schläge-Interview – eine Begrenzung von Reichtum fordert, um eine gerechtere Gesellschaft zu schaffen, wovon schlussendlich alle profitieren würden. Starökonom Thomas Piketty wiederum sieht im neuen linken Wirtschaftsmagazin „Surplus“ hoffnungsreiche Entwicklungen im Globalen Süden. Aus Brasilien kam auf dem G20-Gipfel zuletzt etwa die Idee einer globalen Vermögenssteuer für Milliardär*innen. Und auch Indien könnte in den kommenden Jahren nach links rücken, der „Druck aus dem Globalen Süden für mehr Steuer- und Klimagerechtigkeit“ könnte „unaufhaltsam werden“, so Piketty. Nicht zuletzt müsse Europa, „Erfinder des Sozialstaats und der sozialdemokratischen Revolutionen des 20. Jahrhunderts“ aktiv werden und das neue US-amerikanische Modell der Oligarchie mit aller Kraft bekämpfen.