Klischeehafte Liebesromane – einer der größten Player auf dem Buchmarkt – kommen ins 21. Jahrhundert. Nun stellen sie sich feministischen und antirassistischen Forderungen. Von Olja Alvir
Von bösen Zwillingen über Dreiecksbeziehungen bis hin zum Gedächtnisverlust: Die US-Serie „Jane the Virgin“ verstand sich selbst als Liebesbrief an die „Telenovela“, das lateinamerikanische Pendant zur Seifenoper. Im Mittelpunkt steht darin Jane Gloriana Villanueva, eine junge Frau, die von der großen Liebe ebenso wie von einer Karriere als Romanzen-Schriftstellerin träumt. Selbstverständlich gipfelt „Jane the Virgin“ in einem großen Hochzeits-Happy-End, und in einem cleveren Marketing-Spin wurde Janes vermeintlicher Debütroman als billiges Taschenbuch auf den Markt gebracht.
Alles, was zählt.
Unschwer zu erraten, was für eine Art Buch es ist: Güldene, geschwungene Lettern, auf dem Umschlag ein halb entkleidetes Paar in leidenschaftlicher Umarmung. Die Titel: Irgendwas im Spektrum von „Der Marquis – mein Schicksal“ oder „Liebe im Hochmoor“. Mit dieser Kombination vorm inneren Auge ist klar, was beim Aufschlagen zu erwarten ist: Eine Frau findet ihre große Liebe. Die Variationsmöglichkeiten des Themas sind beschränkt. Doch das Genre akkurat und vollständig zu beschreiben, ist ungleich schwieriger. Schmutz- und Schundhefte, Kitsch, Trivial- und Unterhaltungsliteratur: Die verschiedenen Begriffe, mit denen das Phänomen zu benennen versucht wurde, wuchern ähnlich üppig vor sich hin wie die Stilblüten ihrer Texte. Dabei gibt es zumindest innerhalb der Wissenschaft, aber auch im Marketing und Verlagswesen, einen Trend weg vom Wertenden („Groschenroman“, „Nackenbeißer“) hin zum neutraleren Begriff („massenwirksame Literatur“, „Schemaliteratur“).
In den USA machen die „Romance Novels“ knapp ein Viertel des gesamten Belletristik-Marktes aus, fast jedes zweite verkaufte E-Book gehört dazu. Für den deutschsprachigen Raum schlüsselt der Börsenverein des deutschen Buchhandels nicht so genau auf. Die Liebesromane fallen gemeinsam mit vielen anderen Genres unter „erzählende Literatur“. Diese macht allerdings die Hälfte der wichtigen Belletristik-Sparte und somit ein Sechstel des gesamten deutschsprachigen Buchmarktes aus. DELIA, die Vereinigung der Liebesroman-Autor*innen, spricht von dreißig Millionen allein von DELIA-Mitgliedern verkauften Büchern. Nicht miteingerechnet ist der wachsende Selfpublishing-Markt – besonders im Bereich E-Book –, in dem Liebesromane ebenfalls eine große Rolle spielen. Die Zielgruppe sind, wenig überraschend, zum Großteil (cis- und heterosexuelle) Frauen jeden Alters.
Das Andere der Literatur.
Im deutschsprachigen Raum lässt sich die Tradition des Liebesromans sowohl innerhalb der „Hochliteratur“ als auch der „populären“ und „Unterhaltungsliteratur“ nachverfolgen. Die aktuelle angloamerikanische Variation der „Romance Fiction“ geht auf die Liebes-Groschenromane der 1970er-Jahre – die ersten „Nackenbeißer“ – zurück und mit einem gesteigerten (publizistischen und wissenschaftlichen) Interesse für populärkulturelle Phänomene einher. Vielleicht sind es diese fehlende Scham vor dem Massenprodukt und die niedrigere Hemmschwelle, die den Liebesroman in den USA über die letzten Jahrzehnte quasi unverändert erhalten hat. Auf dem deutschsprachigen Markt wird hingegen beim Coverdesign mittlerweile lieber zu pastelligen Farben, minimalistischer Grafik und mehrdeutigen Titeln gegriffen, statt umschlungene Liebespaare abzubilden.
Als Literatur werden diese Bücher trotz – oder eben wegen – ihrer Umsatzstärke nicht ernst genommen. Die Ablehnung von Trivialliteratur im Allgemeinen geht mit einer Ablehnung der Masse einher; die Ablehnung des Liebesromans wiederum mit der Ablehnung der Frau bzw. des Weiblichen. A tale as old as time: Dinge, die Frauen (und insbesondere junge Mädchen) tun, konsumieren oder allgemein als gut befinden, erfahren gesellschaftliche Ächtung. Die „Romanleserey“ selbst war im 18. und 19. Jahrhundert mit der bürgerlichen Frau verquickt und wurde als „nieder“ und sogar „gefährlich“ eingestuft.
Das macht den Liebesroman zu einem ambivalenten Phänomen: Einerseits verbreitete er seit jeher problematische Ideen über Sexualität, Beziehung, Ehe, Familie und die Rolle der Frau. Doch andererseits birgt er eben durch seine langjährige Verbindung mit „dem Weiblichen“ auch subversives Potenzial. So lassen sich durch den Liebesroman auch ein Literatur-Kanon jenseits des männlich dominierten finden, Inszenierungen über weibliche Macht reflektieren oder verschwiegene Orte weiblicher Kultur erforschen.
Racy Romance.
Rund ums Serienfinale von „Jane the Virgin“ fiel Hauptdarstellerin Gina Rodriguez (wieder mal) mit abwertenden Aussagen über Afroamerikaner*innen auf, tränenüberströmte Entschuldigungen folgten. Bei der Romance Writers Association America (RWA) liegt währenddessen alles im Argen: Zuerst wurde Courtney Milan, Autorin mit chinesischen Wurzeln, aus der RWA ausgeschlossen, als sie eine Kollegin öffentlich wegen ihrer stereotypen Darstellung von Asiat*innen kritisierte. Nach großem Protest und Solidarisierung mit Milan wurde die Entscheidung zurückgenommen. Doch da war der Schaden schon angerichtet viele andere Autor*innen waren enttäuscht aus der RWA ausgeschieden. Nun ist auch der Präsident zurückgetreten, die jährliche Verleihung der RITA-Awards für Liebesromane wurde abgesagt. Eine Rassismus-Debatte innerhalb der „Romance Fiction“ war lange überfällig: Denn während die den Markt dominierenden Autor*innen mehrheitlich weiß sind, besteht das Zielpublikum in den USA zum Großteil aus Latinas und Afroamerikanerinnen.
Mixed Signals.
„Jane the Virgin“ wurde für die Repräsentation von Latinx-Personen im TV gelobt; es gab auch mehrere wichtige lesbische Beziehungen in der Serie. Eine Figur wird durch ihre Chemotherapie gegen Brustkrebs begleitet, die Gründe für oder gegen eine Mastektomie ausführlich besprochen. Eine ältere Frau entdeckt ihre Libido wieder und wird von einer Illegalisierten („undocumented“) zur amerikanischen Staatsbürgerin. Der nun zurückgetretene Präsident der RWA, Damon Suede, ist außerdem ein Autor der Kategorie der homoerotischen Liebesromane. Doch all diese teils mehr und teils weniger gelungeneren Inklusionsambitionen erweisen sich als zweischneidig, denn sie stehen trotz aller Egalitätsbestrebungen immer noch im Zeichen des Konservatismus des Genres.
Digitale Wende und Amazon-Monopol konnten dem Liebesroman nichts anhaben. Im Gegenteil: Er ist eine treibende Innovationskraft, siehe E-Book und Selfpublishing. Doch egalitäre Anforderungen und Lesepräferenzen wie gendersensibles Messaging und Diversität stellen das auch als „Literatur der Konformität“ bezeichnete Genre vor die bisher vielleicht größte Herausforderung. Schließlich hat der Liebesroman bisher heteronormative Begehrensstrukturen und die patriarchale Ordnung propagiert und dadurch zu einem großen Teil auch miterschaffen. Kann er sie nun auch demontieren? Oder hat er das unterschwellig immer schon auch getan, nur wir haben es nicht mitbekommen?
Olja Alvir ist Autorin und Literaturwissenschaftlerin in Wien. Abgesehen von Wolf Haas’ „Das Wetter vor 15 Jahren“ findet sich in ihrem Bücherregal kein Liebesroman. Doch in Sachen „Jane the Virgin“ war sie immer schon #TeamRafael, was sie öffentlich aber nie zugeben würde.