Audio-Porno wirbt damit, besonders „frauenfreundlich“ zu sein. Sophia Krauss und Verena Kettner sind nicht überzeugt.
Es ist fünf Uhr dreißig. Der Wecker holt dich sanft aus wunderbar erholsamem Schlaf, energiegeladen beschließt du, eine Runde joggen zu gehen, bevor du einen leckeren Grünkohl-Smoothie mixt. Nach der kalten Morgendusche bleibt noch Zeit, bevor du ins Büro musst. Du grinst in dich hinein und öffnest schnell die Seite deines liebsten Erotikgeschichten-Anbieters.
Deine Hand gleitet zwischen deine Beine, während die keuchende Stimme des Sprechers säuselt, wie geil ihn deine „feuchte Spalte“ macht und wie gerne er in deine „heiße Mitte stoßen“ möchte. Extrem erregt kommst du innerhalb weniger Minuten. Jetzt kannst du voller Energie in deinen Arbeitstag starten. Zufrieden ziehst du deine Hose hoch.
Kennst du das? Nein? Wir auch nicht.
MEDITIEREN UND MASTURBIEREN. Weibliche Masturbation ist mittlerweile ein Lifestyle-Produkt geworden. Heute versucht sich unter anderen das Berliner Start-up femtasy am Female Empowerment qua Orgasmus – für ein monatliches Audio-Porno-Abo für 13,99 Euro. Es ist die weltweit erste Streaming-Plattform für erotische Audioaufnahmen speziell für Frauen. Gegründet wurde femtasy 2018 von Nina Julie Lepique und ihrem Partner Michael Holzner. Bereits zwei Jahre später zählte Lepique zu den deutschen „Forbes 30 under 30“. Unter den Investor*innen tummeln sich Bekanntheiten wie die Influencerin Diana zur Löwen, die femtasy regelmäßig auf all ihren Kanälen bewirbt.
Es scheint, als ob das einstige Tabuthema der weiblichen Selbstbefriedigung durch neonpinke Designerdildos und Hochglanz-Apps wie femtasy aus der Schmuddelecke geholt wurde – und mittlerweile zum Milliardengeschäft geworden ist. Dieses Geschäft hat heute auch nicht mehr vorrangig etwas mit Lust, Begehren und Erotik zu tun. Der Markt hat Porno schon fast hinter sich gelassen, stattdessen wird jetzt in „Sexual Wellness“ investiert. Im 21. Jahrhundert kann Sex endlich eingespeist werden in einen Wellnessmarkt, der vorgibt, Gesundheit zu fördern, Produktivität zu steigern und Individuen mit „Selbstmanagement-Strategien“ auszustatten. Drogerien verkaufen Sprays, die vaginaler Trockenheit entgegenwirken, und Tabletten zur Libido-Maximierung. In Magazinen wird mit dem gesundheitlichen Nutzen von allerlei Sex-Toys geworben, die bei der Behandlung von Wechseljahrsbeschwerden hilfreich sein können und oft hunderte von Euros kosten. Weibliche Lust wird so zum vermarktbaren Self-Care-Akt.
Das Marktforschungsunternehmen The Insight Partner prognostiziert, dass die Sexual-Wellness-Branche bis zum Jahr 2028 auf einen Marktwert von über achtzig Milliarden Dollar anwachsen wird.
„FEMININE“ LUST. Natürlich birgt diese Entwicklung auch Positives für alle, deren Orgasmen bislang kaum Beachtung fanden. Endlich gibt es ausreichende Forschung und massenhaft Hilfsmittel, um Menschen mit Vulva zum Kommen zu bringen. Es ist auch gerechtfertigt, für erotische Streamingdienste Geld zu verlangen, Mitarbeitende müssen – im besten Fall fair – entlohnt werden. Kostenlose Online-Pornoseiten wurden in den letzten Jahren zu Recht kritisiert. Erst 2020 veröffentlichte die „New York Times“ eine ausführliche Recherche unter dem Titel „The Children of Pornhub“: Viele der damals noch unregulierten Inhalte des kanadischen Streamingdienstes zeigten sexuellen Missbrauch und Ausbeutung, auch von Minderjährigen. Ganze zehn Millionen Videos mussten daraufhin gelöscht werden.
femtasy hingegen produziert seine Inhalte selbst, mit der Hilfe von freiberuflichen Schauspieler*innen und Autorinnen. Man hört ihnen beim Stöhnen zu oder beim Erzählen zwanzigminütiger Geschichten. Es gibt queere Inhalte ebenso wie BDSM. Das Design der Seite ist dabei steril, schlicht, stylish. Kein einziges primäres Geschlechtsteil ist zu sehen. Weibliche Lust sei schließlich nicht so visuell wie männliche. Und dann gibt es noch lange Anleitungen zur Selbstbefriedigung. Die meisten von ihnen klingen mit ihren sanften Stimmen, langsamem Tempo und der hinterlegten Lounge-Musik mehr nach Meditationsretreat als nach Sex. Eine Abonnentin berichtet in ihrer Rezension auf YouTube, dass sie die Inhalte auch oft nur zum Entspannen höre.
Nach längerem Scrollen und Lauschen fragen wir uns: Werden hier nicht doch regressive Klischees bedient, die eigentlich gar nicht so viel mit der Ermächtigung weiblicher und queerer Lust zu tun haben?
Als ob sich ausschließlich männliches Begehren im Mainstream-Porno wiederfindet, der von oft verstörenden, schnellen Bildern voller Sperma und großen Brüsten lebt. Als ob die Lust von Frauen nicht mit drastischen und opulenten Videos vereinbar wäre und diese nur durch zärtliche Stimmen und cleane Start-up-Ästhetik erregt würde. Allein die Annahme, dass Frauen Audio-Porno Videoformaten vorziehen, wie femtasy behauptet, scheint wenig schlüssig – oder ist zumindest eine unterkomplexe Zuschreibung von Stereotypen.
FEMINISTISCH WICHSEN. Wie schafft man es aber, die Komplexität weiblicher Lust abzubilden? Im Widerstreit mit antipornografischen Gruppen machten sex-positive Feminist*innen dies schon in den USA der Achtzigerjahre vor. Während der sogenannten Sex Wars machten sie weibliche, queere und lesbische Lust sichtbar – auch pornografisch. Dies hatte damals jedoch wenig mit dem Forbes-Magazin oder Diana zur Löwen zu tun. Im Jahr 1984 erschien in San Francisco das erste Erotikmagazin, das von Frauen herausgegeben wurde. Unter dem Titel „On Our Backs“ wurde die Zeitschrift bis 2006 publiziert und beschäftigte sich vornehmlich mit lesbischer Erotik. Schon in der ersten Ausgabe featurte man die Bandbreite des queerfeministischen Undergrounds: Butch- und Femme-Feministinnen, BDSM-„Leatherdykes“, Sexarbeiterinnen, Marxistinnen, Punkmusikerinnen, feministische Theoretiker*innen. Weibliche Lust war hier nicht das Produkt eines neoliberalen Selbstverbesserungsprogramms. Stattdessen war sie aufmüpfig und von politischer Bedeutung im ständigen Kampf gegen Geschlechterrollen.
Natürlich braucht es Alternativen zu kostenlosem Mainstream-Porn. Auch heute gibt es immer wieder erotische Publikationen, die Sex und Körper in ihrer Diversität zeigen, die sexy und kritisch zugleich sind, wie das Schweizer Projekt „Queer Sex – whatever the fuck you want!“. Auf 160 Seiten finden sich hier Fotografien nackter Körper, unterschiedlicher Menschen beim Sex und Gangbang, mit Umschnalldildos oder im Lederoutfit. Dazwischen queere Sex-Education und erotische Geschichten.
Schließlich wollen auch viele weibliche und queere Augen hotte Bilder sehen. Manche von uns erregen auch die standardisierten Aufnahmen der Mainstream-Pornografie. Einige freuen sich hingegen über Anbieter wie femtasy und lassen all ihren Fantasien gerne zu Sex-Erzählungen freien Lauf. Eine dezidierte Einteilung in männliche und weibliche Lust scheint hingegen längst überholt. Deshalb: Porno sollte bitte fair produziert und Solo-Sex nicht zum Lifestyle-Hack degradiert werden.
Sophia Krauss und Verena Kettner masturbieren persönlich lieber weiterhin ohne Audio–Anleitung.