Behindertes Glück gibt es nicht. Glückliche be_hinderte und chronisch kranke Menschen hingegen schon. Von KATHARINA PAYK
An Gründen fürs Unglücklichsein mangelt es im Allgemeinen nicht. Be_hinderten (1) und kranken Menschen kommt da ungefragt die Aufgabe zu, Menschen wieder an ihr Glück zu erinnern. Denn sie sehen dann jemanden, der „noch ärmer dran“ ist als sie selbst. Glücklicher als die Frau mit Chemo-Glatze oder die im Rollstuhl ist man ja allemal! „Oh Gott, die Arme, das ist echt ein Unglück, so ein Schicksal“, hört man da nicht selten, „das kann doch kein schönes Leben (mehr) sein!“
Doch, kann es. Denn Glück wird nicht grundsätzlich behindert oder eingeschränkt, nur weil ein Mensch mit einer Be_hinderung aufwächst oder mit einer (chronischen) Erkrankung leben muss. Aber ein Mensch wird unglücklich durch den Umgang, den er erfährt: Ausgrenzung, Spott, Ignoranz.
Wo Angst und Ärger sind, kann Glück sich schlecht ausbreiten. Viele Menschen mit Be_hinderungen müssen sich im hohen Erwachsenenalter noch immer mit den Schmerzen, die ihnen in der Kindheit und Jugend zugefügt wurden, auseinandersetzen – neben dem täglichen Überwinden von physischen Barrieren im Alltag. Das macht unglücklich.
Die Tragödie. Be_hinderung wird zudem als etwas gesehen, das es zu überwinden, zu heilen gilt. Das beeinflusst Glücklichsein als be_hinderter Mensch, erklärt Elisabeth Magdlener, Kulturwissenschaftlerin und Queer-DisAbility-Aktivistin, im an.schläge-Interview. „Die gesellschaftlich gemachte Tragödie der Be_hinderung wird uns Menschen mit DisAbility als Makel angehaftet und als individuelles Schicksal zugeschoben. Wir dürfen, sollen nicht glücklich sein, weil wir be_hindert und deshalb ja ‚so arm‘ sind. Glücklich zu sein ist für uns also nicht vorgesehen.“ Diese Zuschreibungen müsse man sich erst einmal bewusst machen, so Magdlener.
Auch Menschen mit (chronischen) Erkrankungen sind oft mit solchen Unglückszuschreibungen konfrontiert. Und sicherlich nicht ganz zu Unrecht: Chronische Schmerzen etwa beeinträchtigen das Lebensglück sehr vieler Menschen ganz beträchtlich, wie Studien zeigen. Eine schwere Erkrankung heilen zu wollen, ist deshalb durchaus verständlich. Aber manchmal ist das eben leider nicht möglich. Die 41-jährige Sabrina A. hat irgendwann angefangen, ihre mittlerweile als nahezu austherapiert geltende Krebserkrankung zu akzeptieren. Nach zweijährigem Kampf gegen den Krebs verbringt sie die vielleicht nur noch kurze Zeit, die ihr bleibt, am liebsten mit dem Genießen alltäglicher Dinge. „Es macht mich glücklich, wenn ich Zeit mit meiner Familie verbringe, wenn ich morgens meine Tochter in Ruhe für die Schule fertig mache und mir meine warme Zitrone mache. Sport in der Natur zu machen, soweit es noch geht, macht mich ebenfalls glücklich.“ Nicht die Tatsache, dass sie bald sterben wird, mache sie unglücklich, erzählt sie. „Wenn ich andere trösten muss wegen meiner eigenen Situation, dann macht mich das unglücklich. Menschen denken auch oft, sie müssten mich beschäftigen und ablenken. Viele denken, dass man in so einer palliativen Situation, wo man dem Sterben sehr nahe ist, nicht glücklich sein kann. Das macht mich auch unglücklich.“ Die Angst, die schon Wochen vor einer medizinischen Untersuchung aufkommt, raube ihr Kraft und mache sie unglücklich. „Wenn ich von den Ärzt_innen nichts höre, geht’s mir eigentlich sehr gut. Das verstehen manche nicht.“
Ständige Anpassung. Wer früh oder von Geburt an z. B. körperbe_hindert ist, kämpft besonders im jungen Erwachsenenalter um eines: möglichst normal zu sein, möglichst nicht aufzufallen. Diese ständige Anpassungsleistung kostet Energie und macht oft einsam, denn man fällt auf und ist in gewisser Weise anders. So erleben (junge) Menschen mit Be_hinderungen Liebesbeziehungen und Sexualität oft erst spät – oder gar nicht. Jedenfalls kostet es sie meist viel mehr Kraftaufwand. Denn wie soll man sich glücklich binden und jemandem vertrauen, wenn man am Schulhof und in der Öffentlichkeit Beleidigungen oder gar Gewalt ausgesetzt war oder ist, und den Stempel des hässlichen Entleins aufgedrückt bekam?
Auch können viele Menschen mit körperlichen, kognitiven oder seelischen Be_hinderungen oder Erkrankungen nicht in dem Ausmaß am Arbeitsleben teilnehmen wie nichtbe_hinderte oder gesunde, Frauen mit Be_hinderungen haben am Arbeitsmarkt die schlechtesten Chancen, so eine Studie des österreichischen Sozialministeriums aus dem Jahr 2009. Manche werden in sogenannte Tagesstruktureinrichtungen gesteckt, auch gegen ihren Willen, manche kämpfen um Nachteilausgleiche wie besondere Infrastrukturen und Assistenzen am Arbeitsplatz, andere trauen sich nicht, diese einzufordern. Wer einen Job hat, kann diesen oft nur in Teilzeit ausüben. Gerade Menschen mit Be_hinderungen und chronischen Erkrankungen leiden oft unter dem sogenannten Perfektionismus – der Mangel, der dem be_hinderten Menschen permanent unterstellt wird und der verinnerlicht wurde, wird damit auszugleichen versucht. Die Folge dieser massiven Anpassungsleistung sind Selbstausbeutung und Erschöpfungszustände – und das oft bei Armutsgefährdung und geringen Pensionen. Häufig können medizinische, psychotherapeutische oder prothetische Aufwendungen nicht (ausreichend) bezahlt werden; Krankenkassen decken diese meist nicht vollständig oder gar nicht ab.
Eltern und vor allem Mütter be_hinderter Kinder, die auf bestimmte Hilfsmittel und Assistenzen angewiesen sind, sehen sich oft alleine gelassen – als wäre Be_hinderung ein individuelles Schicksal, doch Menschen werden erst durch die gesellschaftlichen Umstände be_hindert. Nicht das be_hinderte Kind macht die Eltern also unglücklich, sondern die Art, wie eine Gesellschaft wie unsere damit umgeht.
Mitleid und Exklusion. Altsein, Krankheit und Be_hinderung werden in unserer Gesellschaft als Unglück definiert. Die_der Betroffene erfährt als „vom Schicksal Gebeutelte_r“ gleichermaßen Mitleid wie Exklusion. Das Anstößige dabei ist, dass jeder Mensch eigentlich jederzeit krank oder be_hindert werden kann. Diese Erkenntnis könnte den Umgang mit Krankheit und Be_hinderung normalisieren, enttabuisieren und damit einen großen Teil zum Glück der Betroffenen beitragen. Doch die Abgrenzung von „mangelhaften“ Be_hinderten, „bedrohlichen“ Sterbenden und „nutzlosen“ Alten erschwert auch das Lebensglück nichtbetroffener Menschen: Zu begreifen, dass das alles zum Leben dazugehört, kann auch das Erleben nichtbe_hinderter oder gesunder Menschen in einer neoliberalen Gesellschaft ändern – kein Mensch kann und muss über alle Maßen perfekt, funktionstüchtig und effizient sein.
Akzeptanz statt Beschönigung. Ein positiver Umgang mit Be_hinderung und Krankheit meint nicht zwangsläufig, alles zu beschönigen. Viele Kalendersprüche und Selbsthilfebücher spiritualisieren und euphemisieren die schmerzhaften Erfahrungen, die man als be_hinderter oder kranker Mensch macht, indem sie etwa Be_hinderung als „besondere Gabe“ oder Krankheit als „Möglichkeit, über sich hinauszuwachsen“ stilisieren. Stattdessen braucht es einfach die Akzeptanz, mit der eigenen (schweren) Erkrankung oder Be_hinderung umzugehen, sie ist für Betroffene oft der einzige Weg, gut zu leben. Die mit der Be_hinderung oder Erkrankung in Zusammenhang stehenden positiven Erfahrungen, die eine_n selbst glücklich machen, zu extrahieren, kann dabei ein echter Gewinn sein: „Vielleicht wissen manche Menschen mit DisAbility manche Dinge oder Möglichkeiten im Leben mehr zu schätzen. Viele sehr, sehr schöne Dinge hätte ich ohne meine Be_hinderung nicht erlebt“, erklärt Elisabeth Magdlener. Ganz sicher ist sie sich mittlerweile, dass „es nicht unbedingt glücklich macht, krampfhaft irgendwelchen gesellschaftlichen Normen zu entsprechen“. Auch Sabrina A. zieht klare Schlüsse aus ihrer Situation: „Mit der beschissenen Diagnose, die meine Erkrankung nun einmal ist, macht es mich heute glücklich, wenn ich auf mich höre. Ich weiß, was mir guttut. Vor der Erkrankung lief das meiste so nebenbei, im Stress. Seit der Erkrankung hat sich vieles entschleunigt, ich mache die Dinge in Ruhe und bewusster. Ich wünsche das eigentlich allen Menschen in dieser heutigen getriebenen Welt. Ich bin früher von einem Termin zum anderen gehetzt, heute mache ich die Dinge mit Bedacht. Jede_r sollte jederzeit sagen können: Du, das ist mir jetzt zu viel. Ich glaube, viele wären dann glücklicher.“
(1) Die Schreibweise Be_hinderung verweist auf das Problem des Behindertwerdens.