POLY STYRENE, die Sängerin von X-Ray Spex, war ihrer Zeit voraus: ein Punk unter Punx und Vorreiterin der Riot-Grrrl-Bewegung. Von KENDRA ECKHORST
Ihre Stimme war eine Waffe, erinnern sich einige ihrer ZeitgenossInnen. Schrill, kreischend und zugleich melodisch. Sie nistete sich im Kopf ein und gab der Band X-Ray Spex ihren unverwechselbaren Sound. Poly Styrene, die Frau mit und hinter dieser Stimme, verstarb im April an Brustkrebs. Mit 53 Jahren.
Als Punk-Ikone, Neon-Queen oder feministische Avantgardistin wird die Sängerin tituliert, die 1978 mit ihrer Band das legendäre Album „Germ Free Adolescents“ herausbrachte. Hits wie „Oh Bondage Up Yours“ oder „Identity“ gehören heute zu den Punk-Klassikern. Gegen Plastikwelten, Rollenklischees und identitäre Fesseln quietschte sie an – einer Alarm-Sirene nicht unähnlich. Und eroberte sich so ihren Platz in der Punkszene der 1970er Jahre.
„Das kann ich auch.“ Als Marianne Joan Elliot-Said kam sie 1957 in Südostengland als Tochter einer Britin und eines Somaliers zur Welt. In Interviews erinnert sie sich, dass sie schon mit fünf Jahren Protestsongs schrieb, weil sie Fleisch essen sollte. Mit 15 ging sie nach London und wollte Opernsängerin werden. Zum Glück kam alles anders, und sie landete bei einem schlecht besuchten Konzert der Sex Pistols. „Das kann ich auch“, sollen ihre paradigmatischen Gedanken gewesen sein. Sie setzte eine Anzeige in ein Musikmagazin und suchte „young punx who want to stick together“.
X-Ray Spex war geboren, eine Punkband mit Sängerin, Saxofon und ohne Nieten und Lederjacken. Dafür mit einer legendären Zahnspange, die jahrelang aus dem Mund von Poly Styrene blitzte, hellblauen Strickjacken und rosa Söckchen. Ein nettes Mädchen von nebenan, das dieses Bild mit den ersten Tönen jedoch zerstörte. Nicht rotzig abwehrend mit erhobenem Mittelfinger, eher überzogen, gefährlich süß und dadaistisch, wie die Songtexte von „I am a cliché“ oder „Art-I-Ficial“ zeigen. Glatte und künstliche Welten, wie vom Fließband, kamen zum Vorschein, die ihrem Künstlerinnennamen, in Anlehnung an Polystyren, einem Kunst- und Schaumstoff, alle Ehre machten.
Mit ihrer Stimme kratzte sie an den Fassaden, schmirgelte die Plastikbilder ab. Rollenerwartungen wie Sexyness erteilte sie eine Abfuhr und hätte sich lieber die Haare abrasiert, als dieses zweifelhafte Kompliment zu bekommen. In einem ihrer letzten Interviews, das sie dem „Missy Magazine“ gab, stellte sie aber auch nüchtern fest: „Wir waren mit X-Ray Spex Ende des 1970er genau an der Schnittstelle, eine der letzten Bands, die sich ein nicht sexualisiertes Image noch erlauben konnten. Nach uns kamen dann schon Acts wie Madonna.“
„Überlass nicht Kylie Minogue das Feld.“ Trotzdem oder deswegen stiegen X-Ray Spex schnell zu Sternen im britischen Punkhimmel auf, leuchteten auch in den USA und spielten im legendären New Yorker Punk-Club CBGBs. Schon 1979 löste die Band sich auf. Styrene spielte daraufhin das Soloalbum „Translucence“ ein und schloss sich der Hare-Krishna-Bewegung an, verließ diese aber aufgrund der dortigen Frauenfeindlichkeit wieder. Im Jahre 1995 gab es eine erste Wiedervereinigung der Band, zu der wohl eine Krankenschwester Anlass gab. Mit den Worten „Geh raus hier. Überlass nicht Kylie Minogue das Feld“, schob sie Styrene aus der Klinik, in der sie wegen angeblicher Persönlichkeitsstörungen behandelt wurde.
Das zweite Album „Conscious Consumer“, das erst 2005 erschien, konnte nicht an den Erfolg des Debüts anknüpfen. Eine Platte, die im Zuge der Riot Grrrl-Bewegung erneute Popularität und Vorbildstatus genoss. Für Kathleen Hannah von „Bikini Kill“ und „LeTigre“ war Styrene die Sängerin, die den Weg ebnete. Auch Beth Ditto von „Gossip“ führt sie als musikalischen Einfluss an, der ihr zum Selbstvertrauen verhalf, sie selbst zu sein.
Nach ihrem letzten Auftritt 2008 mit X-Ray Spex widmete sich Poly Styrene einer erneuten Soloplatte namens „Generation Indigo“, die im März diesen Jahres erschienen ist. Poppiger kommen die Songs daher, wenden sich aber immer noch, wie in „Kitsch“, gegen starre und sexualisierte Bilder von Frauen. Bis zum Schluss kritisierte sie diese Zurschaustellung, auch noch im Hospiz, wo sie weiterhin Interviews gab. Am Abend des 25. April schied sie aus dem Leben. Ihre Stimme bleibt uns auf den Tonträgern jedoch erhalten.