Die europäische Politik spielt unterschiedliche Gruppen Geflüchteter gegeneinander aus. Für nicht-weiße Geflüchtete sind aktuelle Debatten besonders schmerzhaft. Von Maryam Al-Mufti
Seit Beginn des russischen Angriffskriegs am 24. Februar wurden Millionen Menschen aus der Ukraine auf die Flucht gezwungen. Sie suchten vor allem in den umliegenden Ländern Schutz – und siehe da, Polen, Rumänien, Ungarn, die Slowakei, und ja, auch Österreich empfingen die Fliehenden mit offenen Armen. Angesichts der Flüchtlingspolitik dieser Staaten in den letzten Jahren ziemlich verwunderlich.
Zutritt verboten. Ungarn etwa begann im Jahr 2015 mit dem Bau eines 175 Kilometer langen Grenzzauns aus Stacheldraht, um Geflüchtete aus Afghanistan, Syrien und dem Irak fernzuhalten.
Im selben Jahr hatte sich die Mehrheit der EU auf eine Umverteilung von 160.000 Geflüchteten auf die Mitgliedstaaten geeinigt. Damals weigerten sich besonders Tschechien, Polen und Ungarn, dieses Übereinkommen einzuhalten, weshalb schließlich ein Vertragsverletzungsverfahren gegen ebendiese drei Mitgliedstaaten eingeleitet werden musste.
Beata Szydlo, die ehemalige Ministerpräsidentin Polens, hielt eine Holocaust-Gedenkfeier 2017 in Auschwitz für den passenden Moment, um gegen Geflüchtete zu hetzen: „In unserer turbulenten Zeit müssen wir aus Auschwitz die Lehre ziehen, dass wir alles tun müssen, um die Sicherheit und das Leben unserer Bürger zu verteidigen.“ Heute scheint die Angst vor (bestimmten) Geflüchteten in Polen längst vergessen. Andrzej Duda, Polens Präsident, weigert sich sogar, von Flüchtlingen zu sprechen und beharrt darauf, Geflüchtete aus der Ukraine als seine „Gäste“ zu bezeichnen.
Laura Sachslehner, Generalsekretärin der ÖVP und Wiener Landtagsabgeordnete, schrieb indes Anfang Juni an ihre Twitter-Community: „Insgesamt 16.000 Asylansuchen wurden heuer bereits gestellt. Die allermeisten Asylwerber stammen aus Afghanistan & Syrien. Damit leidet Österreich an der pro Kopf zweithöchsten Belastung durch Asylanträge in der EU.“ Sachslehner bezeichnete also Menschen, die vor Taliban, Folter, Hunger, Krieg und Elend fliehen tatsächlich als Belastung, an der Österreich leide. Sachslehner geht aber noch einen Schritt weiter: „Zwischen den Kriegsvertriebenen aus der Ukraine & allen anderen Migranten, die meist aus wirtschaftlichen Gründen nach Österreich wollen, muss unterschieden werden.“ Damit spricht sie Menschen, die ihr Leben auf dem Mittelmeer riskieren, jegliche Fluchtgründe ab und relativiert das Leid, das diese Menschen tagtäglich erleben müssen.
Solche Aussagen wie von Sachslehner und Szydlo sind mittlerweile Alltag. Wenn ich die Nachrichten einschalte, um über die Entwicklungen des Ukraine-Krieges auf dem Laufenden zu bleiben, bin ich gleichzeitig auf mehrere Arten angewidert. Einerseits sind die Bilder, die uns täglich aus der Ukraine erreichen, unglaublich schmerzhaft anzusehen. Andererseits bin ich auch davon erschüttert, wie über die Folgen des Krieges berichtet wird.
Offenkundig rassistisch. „Unzivilisiert.“ Ein Wort, das sich besonders muslimisch gelesene Migrant*innen und Geflüchtete seit Beginn des Ukraine-Krieges immer wieder anhören müssen. Selten hat mich ein Wort so verletzt. Auch meine Familie konnte es kaum glauben, als sie das Video eines NBC-Korrespondenten sah, der erklärte: „These are not refugees from Syria, these are refugees from Ukraine. They’re Christian, they’re white, they’re very similar.“
Ich denke, viele verstehen nicht, was es für Menschen, die Krieg erlebt haben, bedeutet, wenn ihr Leid immer wieder aufs Neue relativiert wird. All die Jahre, all die Angst, die Verzweiflung – und dann wird ihnen dieses Trauma auch noch abgesprochen. „Jahrelang hat man uns erzählt, dass Österreich und die EU ihr Bestmögliches tun, um Geflüchteten zu helfen. Heute wissen wir, dass wir von ‚bestmöglich‘ weit entfernt waren. Heute erleben wir, wie solidarisch die EU mit Menschen sein kann, die vor Krieg und Chaos fliehen müssen, wenn sie nur weiß und christlich genug sind“, sagte mir eine gute Freundin am Telefon. Ich hatte sie angerufen, weil ich jemanden zum Reden gebraucht habe. Eine, die mich wirklich verstehen kann.
Dass die Situation für sie genauso bedrückend war, hat sich, so komisch das auch klingen mag, gut angefühlt. Mir wurde zumindest in diesem Telefonat nicht das Gefühl gegeben, überreagiert zu haben oder gar ein schlechter Mensch zu sein, der es ukrainischen Schutzbedürftigen nicht gönnen kann, in Sicherheit zu leben. Spreche ich dieses Thema bei Menschen an, die das Privileg haben, noch nie mit Rassismus oder Krieg in Berührung gekommen zu sein, ist das anders. Es wird arabischen Geflüchteten wie meinen Freund*innen und mir gesagt, jetzt wäre nicht der richtige Zeitpunkt, um darüber zu sprechen. Uns wird Whataboutism vorgeworfen. Wir werden in Situationen gebracht, in denen uns das Gefühl gegeben wird, wir müssten uns rechtfertigen und klarstellen, dass wir den Krieg in der Ukraine „eh“ verurteilen. In meinen Augen ist das auch eine Form von Gewalt: Menschen, die vor Krieg geflüchtet sind, in so eine Lage zu bringen. Ihnen vorzuwerfen, sie würden das, wovor sie um ihr Leben gelaufen sind, nämlich den Krieg, auf irgendeine Weise gutheißen oder relativieren.
Sie könnten – wenn sie wollten. Wenn sich jemand rechtfertigen sollte, dann sind es weiße, westliche Medien und Politiker*innen, die im Ukraine-Krieg eine Möglichkeit sehen, eine Gruppe gegen die andere auszuspielen bzw. das Leid der einen zum Instrument zu machen, um das Leid anderer bewusst abzuwerten und ihnen das Recht auf Schutz abzusprechen. Wenn sich jemand rechtfertigen sollte, dann wohl Menschen, die jahrelang dafür verantwortlich waren, dass nicht-weißen Geflüchteten so viele bürokratische Hindernisse wie möglich in den Weg gelegt werden. Jenen, die nach der Flucht ohnehin am Ende waren, mit ihrer unzugänglichen Bürokratie noch den Rest gegeben haben.
Jetzt hingegen ist alles anders. Menschen mit ukrainischer Staatsbürger*innenschaft dürfen sich aussuchen, in welchem EU-Land sie Schutz suchen. Der Wohnungs- und Arbeitsmarkt steht ihnen offen und auch Bildungseinrichtungen werden mit ukrainischsprachigem Lehrpersonal ausgestattet, um den Kindern Unterricht in einer Sprache zu ermöglichen, die sie auch verstehen können. Gleichzeitig wird Personen asiatischer und afrikanischer Herkunft sehr häufig nicht einmal der Hochschulabschluss anerkannt.
Heute, am Beispiel der ukrainischen Geflüchteten, wird sichtbar, wie einfach, schnell und unkompliziert die EU handeln kann, wenn sie nur will. Es kommt anscheinend bloß darauf an, welche Menschen auf die Hilfe angewiesen sind, und je nachdem ist dann entweder alles möglich – oder nichts. •