In den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen finden Rechtsextremismus, Esoterik und Antifeminismus zusammen. Judith Rahner über Hetze, Homöopathie und menschenfeindliche Ideologien.
Je länger die Corona-Pandemie andauert, umso größer wird der wahrnehmbare Unmut über die Verordnungen und Maßnahmen zur Eindämmung des neuartigen Virus. In dieser gesellschaftlichen Stimmungslage gewinnen menschenverachtende Ideologien, Verschwörungsmythen und antidemokratische Ideen an Boden. Es ist ein kleiner, aber lautstarker und sich zunehmend radikalisierender Teil der Bevölkerung, der sich in den sozialen Medien und auf der Straße eine verschwörungsideologische und demokratieskeptische Gegenöffentlichkeit geschaffen hat. Rechtsradikale Alternativmedien und rechtsextreme Akteur*innen wittern ihre Chance, und heizen diese Stimmung durch die kampagnenartige Verbreitung von Desinformationen und Verschwörungsmythen an. Corona wird als Vorwand genutzt, um menschenfeindliche Ideologien und antidemokratische Ideen voranzutreiben.
Verschwörungsideologisch. Der rechtsextreme Vlogger und Holocaust-Leugner Nikolai Nerling, der als „Volkslehrer“ vor seiner Sperre auf Youtube 60.000 AbonnentInnen erreichte, Heiko Schrang der sehr erfolgreich esoterische Lebenshilfe mit antisemitischen Verschwörungsmythen kombiniert oder der Bestsellerautor veganer Kochbücher und Verschwörungsideologe Atilla Hildmann haben eins gemein: Sie erfahren seit der Corona-Pandemie großen Zulauf und bekommen viel mediale Aufmerksamkeit. Sie spielen auf der gesamten Klaviatur – ideologisch motivierter – Verzerrungen der Wirklichkeit, sie verharmlosen das Corona-Virus und behaupten, Menschen würden vorsätzlich in Angst und Panik versetzt. Gewarnt wird vor einer „Gesundheitsdiktatur“. Die entscheidende Frage dabei sei, wer von dieser Angst der Menschen profitiere. Verschwörungserzählungen berichten von einem geheimen Plan, um eine „Neue Weltordnung“ (NWO) zu errichten: ein beliebter Verschwörungsmythos in rechtsesoterischen und rechtsextremen Kreisen, in dessen Zentrum die vermeintliche Versklavung der Menschheit durch eine „Geheimorganisation“ – eine antisemitische Chiffre – steht. Als Drahtzieher dieser neu anzustrebenden Weltordnung gilt Bill Gates, dessen Stiftung zahlreiche Programme zur Bekämpfung von Krankheiten wie Malaria und Tuberkulose finanziert. Gates profitiere von den Impfungen und würde Menschen zugleich vergiften, gefügig machen und ihnen einen Chip zur Überwachung implantieren, so die abstruse, aber erstaunlich verbreitete Erzählung.
Antifeministisch. Impfkritische Argumentationen verbinden sich nicht nur mit Verschwörungsmythen, sondern werden auch mit antifeministischen Positionen vermengt: So würde Bill Gates die Bevölkerung durch Impfungen bewusst reduzieren wollen. Beweise will man darin erkennen, dass er und sein Vater im Vorstand der Non-Profit-Organisation Planned Parenthood, sitzen, die neben diversen medizinischen Leistungen auch Schwangerschaftsabbrüche anbieten. Diese über Telegram hundertfach verbreiteten Lügen werden auch von reaktionären Kirchenvertretern und radikalen Abtreibungsgegner*innen verbreitet. Ihre antifeministische Lebensschutzrhetorik findet sich nun in diversen Corona-Mythen wieder, beispielsweise wird behauptet, dass der Impfstoff an abgetriebenen Föten getestet würde. Es ist kein Zufall, dass sich verschwörungsideologisches und antidemokratisches Gedankengut mit antifeministischen Ideen mischt. Denn Zeiten der Krise werden immer auch für reaktionäre Geschlechterpolitiken genutzt: Dann sollen, so die AfD im Bundestag, „die vielen Millionen für dekadente Genderprofessuren“ eingespart werden, es brauche „mehr Mediziner und Naturwissenschaftler und keine Gender-Gaga-Experten“. Der coronabedingte Rückzug ins häusliche Umfeld wird zugleich als Chance zur Rückbesinnung auf die traditionelle Kleinfamilie gefeiert. Den traurigen Höhepunkt antifeministischer und homofeindlicher Hetze zeigte die Corona-Demonstration der Initiative Querdenken in Wien Anfang September. Auf der Hauptbühne wurde unter tosendem Applaus die Regenbogenflagge mit dem Hinweis zerrissen, dass diese ein Symbol von „Kindeschändern“ sei.
QAnon. Die Pandemie hat auch derVerschwörungslegende QAnon zu einem rasanten Aufstieg verholfen, deren Ursprung in rechtsextremen Imageboards liegt. Deren Anhänger*innen sind davon überzeugt, dass es eine geheime Schattenregierung, bestehend aus Politik und Hollywood-Prominenz gebe, die Kinder in Folterkellern hält, um sich an ihnen zu vergehen und massenhaft Adrenochrom – ein Stoffwechselprodukt von Adrenalin – abzuzapfen, das ewige Jugend verleihe. Dieser Verschwörungsmythos greift auf die alte, im mittelalterlich europäisch-christlichen Antijudaismus verwurzelte Ritualmordlegende zurück, die gegenwärtig neu verpackt wird. Das Symbol ‚Q‘ ist on- und offline zu einem Kult und regelrechten Massenphänomen mutiert.
Bei der viralen Verbreitung spielen auch Wellness-, Gesundheits- und Lifestyle-Influencer auf Instagram, beispielsweise von Luvbec mit 124.000 AbonnentInnen, dr.josepharena oder littlemisspatriot (ab 50.000 Follower) und anderen Onlinediensten eine Rolle. Sie nutzen die Verunsicherung ihrer vornehmlich weiblichen Follower und lenken über COVID-19 Traffic auf ihre Seiten. So finden sich auf einflussreichen Wellness-Blogs falsche Informationen, die in pseudowissenschaftlicher Sprache verpackt Wellness-Tipps und homöopathische Behandlungsmethoden gegen Corona anbieten. In einer Instagram-Ästhetik in lindgrün und altrosa werden verschwörungsideologische QAnon-Ideen weichgezeichnet. Einige Influencer erklären sich als Mütter dazu verpflichtet, diesen vermeintlich wahren Geschichten von Kindesmissbrauch nachzugehen. Gruppen wie „QAnon-Moms on mission“ oder „Moms for QAnon“ verbreiten ihre verstörenden Verschwörungsideen als „besorgte Mütter“ äußerst sendungsbewusst unter ihren vielen tausend Followern.
Rechtsextrem. Nicht nur auf Social-Media-Plattformen, auch auf der Straße treffen breite Teile der Gesellschaft auf rechtsextreme Deutungsangebote. So beispielsweise auf den Demonstrationen Ende August in Berlin, organisiert von der Initiative Querdenken. Dort traf sich eine obskure Allianz aus Pandemie-Populist*innen, Verschwörungsgläubigen, Naziversteher*innen, Impfgegner*innen, Corona-leugner*innen, Esoteriker*innen und Bürgerlichen. Die Demonstration war zugleich einer der größten rechtsextremen Aufmärsche der letzten Jahre. Alle waren vertreten: Rechte Parteien, rechtsalternative Publikationsorgane, das neurechte Spektrum, Burschenschaften, Identitäre, ReichsbürgerInnen, Nazihools, Divisionen, Kampsportler und Holocaust-LeugnerInnen. Diese Allianz ist kein Zufall, schließlich weisen rechtspopulistische Erzählungen, Anti-Corona-Proteste, esoterische Lehren und Verschwörungsmythen einige Schnittmengen auf: Sie wenden sich populistisch gegen „die da oben“, geben einfache, irrationale Antworten auf komplexe gesellschaftliche Fragen, vertreten dabei einen alleinigen Wahrheitsanspruch, diffamieren die Presse, bedienen den Opfermythos, wähnen sich im Kampf gegen einen (übermächtigen) Gegner und wollen das politische System – mit einer eigenen verfassungsgebenen Versammlung – überwinden.
Auch wenn auf den Demonstrationen die viel beschworenen Bürger*innen aus der gesellschaftlichen Mitte mitmarschieren – auf den Demonstrationen treffen sie auf rechtsextreme Deutungsangebote. Überdies sind die Corona-Protest-Demonstrationen eine perfekt inszenierte rechtsextreme Raumnahme vor einer vermeintlich friedlichen Massenkulisse, bestehend aus Kindern, Familien und „Besorgten“, inklusive Hand-aufs-Herz-Rufen und öffentlicher Meditation. Ihren Höhepunkt fand diese Strategie bei der Erstürmung der Treppen des Reichstagsgebäudes, die eine regelrechte Euphorisierung der rechtsextremen Szenen nach sich zog, und all jene bestärkt, die von einem langersehnten Umsturz der verhassten liberalen Demokratie träumen. Es sollte niemanden wundern, wenn der nächste rechtsterroristische Anschlag aus genau jenem radikalisierten Milieu erfolgt.
Judith Rahner leitet die Fachstelle Gender, GMF und Rechtsextremismus bei der Amadeu Antonio Stiftung, die mit einem Fokus auf Gender Bildungsarbeit, Politik und Medien im Umgang mit Rechtsextremismus, Rechtspopulismus und Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit berät und schult.