Die Rechte feiert quer durch Europa Erfolge – an der Spitze der radikalen Parteien stehen immer öfter Frauen. Ist das ein Widerspruch? Von BRIGITTE THEISSL
Monsieur Macron ist der Kandidat der entfesselten Globalisierung und der sozialen Brutalität, der Kandidat eines Jeder gegen jeden.« Die Attacke auf den französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron, den „kalten Business-Banker“, kommt nicht von links. Es ist Marine Le Pen, die ihm im TV-Duell vor der Präsidentschaftswahl lächelnd gegenübersitzt. 21,3 Prozent wird sie im ersten Wahldurchgang 2017 erreichen und in die Stichwahl einziehen – in der schließlich Macron triumphiert. Die Mauer gegen rechts hält, auch 2024, als Konservative und Linke gemeinsam einen Sieg des Rassemblement National (RN) verhindern.
Für die einstige rechtsextreme Splitterpartei dennoch ein Erfolg. Der Aufstieg zur Massenpartei mit Anspruch aufs Präsidentenamt ist vor allem einer – mächtigen – Frau zu verdanken. Marine Le Pen, Tochter des berüchtigten Gründers Jean-Marie, führte die Partei von 2011 bis 2022, im Ringen um den Chefposten setzte sie sich gegen Bruno Gollnisch durch, ein Universitätsprofessor, der Antirassismus einst als „geistiges Aids“ bezeichnet hatte. Le Pen räumte intern auf und verordnete dem Front National einen neuen, gefälligeren Kurs – und setzt schließlich den eigenen Vater vor die Tür.
FüR FRAUEN ATTRAKTIV MACHEN. Wenn Marine Le Pen den neoliberalen Kurs Macrons kritisiert, hat sie freilich kein sozialistisches Frankreich im Sinne, das allen Bürger*innen ein Leben in Würde ermöglicht. „Franzosen zuerst“, so das Credo der Rechtspopulist*innen, die gebetsmühlenartig vor einer drohenden „Islamisierung“ warnen und verklausuliert vor dem „großen Austausch“ warnen. Für Typen wie Gollnisch ist aber kein Platz mehr in der Partei – Le Pen hat den RN modernisiert. „Marine Le Pen hat die sehr einfache Rechnung angestellt, dass sie die Macht in Frankreich nur erringen kann, wenn es ihr gelingt, die extreme Rechte von einem Männerclub in eine auch für Wählerinnen attraktive Partei zu verwandeln“, so formuliert es Politikwissenschafterin Dorit Geva in ihrem Aufsatz über „eine starke Frau“. Le Pen gelang es, den „Gender Voting Gap“ weitgehend zu schließen: Immer mehr Wählerinnen wandten sich dem RN zu.
OHNE QUOTE. Frauen sind in rechten Parteien quer durch Europa längst keine Randfiguren mehr – das beweisen Giorgia Meloni, Alice Weidel oder auch Riikka Purra von den „Wahren Finnen“. Sie alle profitieren von tief verankerten, sexistischen Klischees: Frauen gelten als fürsorglicher, als empathischer – letztlich als harmloser. Radikale Rhetorik wird so verdaulicher und wählbarer. Zugleich verkörpern die Partei-Chefinnen aber auch männliche Eigenschaften – ohne die patriarchale Ordnung jemals infrage zu stellen. „Diese Parteien lehnen Quoten strikt ab, die Spitzenfrauen haben sich also nur mit Leistung durchgesetzt. Das ist ein ganz wichtiges Narrativ“, sagt Politikwissenschafterin Judith Goetz im an.schläge-
Interview. Die Strategie, Frauen gezielt in Positionen zu bringen, würden Rechtsextreme schon seit Jahrzehnten verfolgen. „Ein modernes, moderates Image macht es Wähler*innen leichter, die in den vergangenen Jahren noch gezweifelt haben. Frauen können sich außerdem als fürsorgende Mütter inszenieren, die für das Volk sorgen“, sagt Goetz.
MANN DES JAHRES. Ein Rezept, auf das auch Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni setzt. „Ich bin Giorgia. Ich bin eine Frau, ich bin eine Mutter, ich bin Italienerin, ich bin eine Christin“, so ihr berühmt gewordener Satz. Meloni ist Mutter – und eine Politikerin, die Konkurrent*innen aus dem Weg räumt. Schon im Studentenbund aktiv, wurde sie 2004 als erste Frau zur Präsidentin der Jugendorganisation der Alleanza Nazionale gewählt, jener Partei, die aus dem neofaschistischen Movimento Sociale Italiano hervorgegangen war. 2012 gründete sie gemeinsam mit zwei Kollegen die Fratelli d’Italia – und ließ rechte Platzhirsche wie Matteo Salvini von der Lega Nord bald alt aussehen. Meloni will Italien zu neuer Bedeutung verhelfen und spielt dabei gekonnt auf der Klaviatur des rechten, christlich-fundamentalistischen Kulturkampfs: Für die traditionelle Familie und gegen LGBTIQ-Rechte, für die Erhöhung der Geburtenrate und gegen die Liberalisierung von Abtreibung. „Wir kümmern uns um die Realität, nicht um Utopien“, so charakterisiert sie im Interview mit „Fox News“ den Unterschied zwischen Konservativen und Linken. Dass sie mit Feminismus nichts am Hut hat, beweist die Ministerpräsidentin bei jeder Gelegenheit: Meloni lehnt die weibliche Bezeichnung ab und will als „il presidente del consiglio” angesprochen werden, die rechtskonservative Tageszeitung „Libero“ erhob sie 2023 zum „Mann des Jahres“.
Auch als „il presidente“ profitiert Meloni freilich von der „Normalisierung von Frauen in Spitzenfunktionen“, wie Judith Goetz es formuliert. Mächtige Frauen – allen voran konservative – werden heute weniger infrage gestellt. „In der Ära Merkel wurde noch viel stärker ihre Kleidung diskutiert, welche Emotionen sie zeigt – bei Meloni stehen die politischen Inhalte im Zentrum“, sagt die Politikwissenschafterin.
So beobachteten Medien jeden Schritt der zaghaften Annäherung Melonis an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen – der Meloni am Ende doch die Stimme verweigerte. Mit ihrer Unterstützung der Ukraine und einem scheinbar gemäßigten Kurs errang die „Postfaschistin“ auf europäischer Bühne Anerkennung, bei der EU-Wahl im Juni triumphierten ihre Fratelli d’Italia.
Homosexuell, aber nicht queer. Grund zum Jubeln hatte auch Alice Weidel. Die rechtsextreme Alternative für Deutschland (AfD) landete bei der Europawahl hinter der CDU auf dem zweiten Platz. Ein beachtlicher Erfolg für die Parteivorsitzende, die im Jänner den Brexit als ein „Modell für Deutschland“ bezeichnet hatte.
Seit 2017 steht Weidel, die sich als wirtschaftsliberale Euro-Skeptikerin der Partei anschloss und strategisch nach rechts rückte, der AfD als Doppelspitze vor. Weidel führe die Bundestagsfraktion mit „harter Hand“, schrieb der „Spiegel“ 2018 – wer ihr nicht folgt, bekomme Ärger. Die ehemalige „Goldman Sachs“-Analystin macht keine Politik für den „kleinen Mann“, als ihr politisches Vorbild bezeichnete sie einst Margaret Thatcher. Intern hat Weidel alle Hände voll zu tun, den ultrarechten Flügel rund um den Faschisten Björn Höcke in Zaum zu halten, im Frühjahr kündigte der Rassemblement National der AfD die Zusammenarbeit auf: zu rechts, zu extrem.
Und dennoch: Alice Weidel verkörpert das moderne Gesicht der AfD.
Weidel ist nicht nur eine Frau – sie ist lesbisch, lebt mit ihrer aus Sri Lanka stammenden Partnerin zusammen. Gemeinsam haben sie zwei Söhne. „Die AfD will, dass sich die Familienpolitik des Bundes und der Länder am Bild der Familie aus Vater, Mutter und Kindern orientiert“, so steht es im Grundsatzprogramm. Wie passt das zusammen mit dem Lebensmodell der Vorsitzenden? „Ich denke, es ist wichtig, rechten Parteien nicht immer ihre Widersprüche vorzuwerfen, sondern mehr darauf zu achten, wie sie es schaffen, vermeintliche Widersprüche zu überbrücken“, sagt Judith Goetz.
Weidel selbst lehnt die Bezeichnung „queer“ ab, stellt Zweigeschlechtlichkeit und die Orientierung an der heterosexuellen Kleinfamilie nicht infrage. „Sie setzt sich nicht für Diskriminierungsschutz ein. Stattdessen wird in der rechten Szene die LGBTIQ-Szene häufig in Gut und Böse aufgespaltet“, sagt Goetz. Die „Guten“ hingegen würden Homosexualität als Privatangelegenheit betrachten und ein gemeinsames Feindbild pflegen: Homo- und queerfeindlich sind immer die (muslimischen) Anderen.
FRAUEN SCHÜTZEN. Eine Strategie, die alle rechten Parteien eint: Gewalt gegen Frauen, ob in den eigenen vier Wänden oder auf der Straße, wird stets auf Zugewanderte projiziert. Das konstruierte Wir, die Dominanzgesellschaft, hat nichts mit Patriarchat und Frauenunterdrückung am Hut, es sind die „heimischen“ Frauen, die vor dem Zugriff der Migrantisierten, vor einem Kopftuchzwang und männlicher Verachtung geschützt werden müssen. „Und Politikerinnen sind in diesem Fall als vermeintlich Betroffene wieder die authentischeren Sprecherinnen“, sagt Judith Goetz.
Eine rechte Partei, die hingegen schon seit Jahrzehnten ohne Spitzenfrauen auskommt, ist die FPÖ. „Sie ist bei Weitem nicht so modernisiert wie andere Rechte und auch stärker völkisch verankert. Die Partei ist so gefestigt, sie hat das offenbar gar nicht nötig“, sagt Goetz. Am 29. September wird in Österreich gewählt, seit Monaten führt die FPÖ die Umfragen an und könnte bald den ersten freiheitlichen Kanzler stellen. Anfang August überraschte die Partei, die Quoten strikt ablehnt, mit ihrer bundesweiten Wahlliste. Nach dem Reißverschlussprinzip folgt jedem Mann eine Frau. „Das Vorurteil, die FPÖ sei eine männerdominierte Partei, ist mit dieser Bundesliste endgültig Geschichte”, sagt Herbert Kickl.
Brigitte Theißl fragt sich, ob sie noch eine österreichische Bundeskanzlerin erleben wird, die keiner rechts(konservativen) Partei angehört.