VIV ALBERTINE, Musikerin, Autorin und Gitarristin der feministischen Ikonen The Slits, war in Wien zu Gast. IRMI WUTSCHER traf sie zum Gespräch über weibliche Breitbeinigkeit, verängstigte Männer und ihren proletarischen Stolz.
an.schläge: Das Thema dieser Ausgabe ist: Wie ist es als Frau im Musikbusiness? Ich bin beim Stellen der Frage immer zwiegespalten. Einerseits müssen sich Musikerinnen im Gegensatz zu Männern immer erklären. Andererseits gibt es sexistische Strukturen in der Popkultur und die sollte man ansprechen. Wird Ihnen diese Frage oft gestellt?
Viv Albertine: Ja. Meine Antwort ist immer: Ich habe das Musikbusiness aufgegeben. Aus einem feministischen Grund: Als ich vor ein paar Jahren mit fünfzig zum ersten Mal wieder eine Gitarre in die Hand nahm, wusste ich, dass keine Plattenfirma an mir und meiner Musik interessiert sein würde. Selbst wenn meine Musik besser ist als alles, was sie auf ihren Indielabels vertreiben – von den Majors gar nicht zu reden. Ich halte die Musikindustrie mittlerweile für komplett belanglos. In den Siebzigern war Rock’n’Roll noch einer der wenigen Wege für arme, gewöhnliche Leute, sich auszudrücken. Und damit auch für arme Frauen. Aber das ist heute nicht mehr so. Ich habe also gespart und innerhalb von drei Jahren Schritt für Schritt mein Album selbst aufgenommen. Das mag ich an der heutigen Zeit, am Internet: In gewisser Weise ist es egal, ob du eine Frau bist, arm oder die „falsche“ Hautfarbe hast. Du kannst dein Sachen selbst produzieren. Ohne bezahlt zu werden natürlich. Aber gut bezahlt wurden immer nur die ganz oben. Und die Leute ganz oben, die machen keine Kunst, die machen Unterhaltung.
Eine Kollegin von mir ist überzeugt, dass heute nur noch reiche Kinder im Pop erfolgreich sind. Und auch in anderen Künsten …
Das sehe ich auch so, ich habe gerade einen Artikel darüber geschrieben. Ich habe das Gefühl, im Westen sind die Künste tot! Sie wurden von den Kindern der herrschenden Klasse eingenommen. Mittelklasse-Menschen regieren also die – westliche – Welt und deren Kinder die Künste. Denn die hatten Musikstunden, Geld um Equipment zu kaufen und Festivals zu besuchen, Zeit zu spielen und zu üben. Das Ergebnis ist keine radikale Kunst. Rock’n’Roll gehörte den Armen – das wurde ihnen genommen.
Gehen wir einen Schritt zurück. Warum haben Sie sich eine Gitarre gekauft und in Bands gespielt?
Darauf gibt es nicht die eine sexy Antwort, den Aha-Moment. Sondern viele Fäden, die zusammengelaufen sind. Als ich jung war, war ich verrückt nach Musik, verliebt in Popkultur. Ich begann mir die Rückseiten von Plattencovern durchzulesen, auf der Suche nach Frauennamen, und versuchte herauszufinden, wie ich ein Teil dieser Welt werden könnte. Ich habe nie gedacht, dass ich Musikerin werden könnte, denn ich war arm, hatte nie Musikstunden. Und in diesen Plattentexten tauchten Frauen immer nur bei so was wie „Danke an meine Freundin“ auf oder „Danke an soundso, die uns Tee gemacht hat“.
Später habe ich dann in Bars gearbeitet, mich langsam an die Musikszene herangetastet. Ein wichtiger Moment war, als ich das Cover der Patti-Smith-Platte „Horses“ zum ersten Mal sah, noch ohne die Musik zu kennen. Diese junge Frau sah aus, wie ich mich fühlte: halb Junge, halb Mädchen! Das war eine Offenbarung. Dann hörte ich das Album und darauf geht sie so richtig ab, das war sehr sexuell! Dazu muss man sagen: Als Mädchen war es in den Siebzigern fast wie in den Fünfzigern. Man sollte als junge Lady Sex nicht genießen, keine Geräusche machen. Pattis Musik war dagegen so, als würden wir ihr beim Ficken zuhören! Solche Geräusche konntest du vorher nur hören, wenn du in Soho in eines dieser kleinen Kinos gingst, wo alte Männer in Regenmänteln saßen – beim Wichsen! Patti Smith so loslegen zu hören, war schockierend und fantastisch und befreiend.
Und dann kamen die Sex Pistols. Das war das erste Mal, dass ich mir dachte: „Fuck it, das kann ich auch!“ Johnny Rotten vor allem, der konnte nicht spielen, nicht singen. Und alles, wofür ich mich schämte: arm zu sein, aus dem Sozialbau zu kommen, keine gute Bildung zu haben – darauf war er stolz! Das hat mir geholfen, nicht Suzie Quattro oder Joni Mitchell. Du musst dich selbst da oben sehen!
Später habe ich dann in Bars gearbeitet, mich langsam an die Musikszene herangetastet. Ein wichtiger Moment war, als ich das Cover der Patti-Smith-Platte „Horses“ zum ersten Mal sah, noch ohne die Musik zu kennen. Diese junge Frau sah aus, wie ich mich fühlte: halb Junge, halb Mädchen! Das war eine Offenbarung. Dann hörte ich das Album und darauf geht sie so richtig ab, das war sehr sexuell! Dazu muss man sagen: Als Mädchen war es in den Siebzigern fast wie in den Fünfzigern. Man sollte als junge Lady Sex nicht genießen, keine Geräusche machen. Pattis Musik war dagegen so, als würden wir ihr beim Ficken zuhören! Solche Geräusche konntest du vorher nur hören, wenn du in Soho in eines dieser kleinen Kinos gingst, wo alte Männer in Regenmänteln saßen – beim Wichsen! Patti Smith so loslegen zu hören, war schockierend und fantastisch und befreiend.
Und dann kamen die Sex Pistols. Das war das erste Mal, dass ich mir dachte: „Fuck it, das kann ich auch!“ Johnny Rotten vor allem, der konnte nicht spielen, nicht singen. Und alles, wofür ich mich schämte: arm zu sein, aus dem Sozialbau zu kommen, keine gute Bildung zu haben – darauf war er stolz! Das hat mir geholfen, nicht Suzie Quattro oder Joni Mitchell. Du musst dich selbst da oben sehen!
Als „The Slits“ wollten Sie sich aber nicht männlichen Standards in der Rockmusik anpassen, Sie wollten eigene schaffen. Wie?
Wir haben viel nachgedacht. Zum Beispiel: Ich will nicht wie die Jungs breitbeinig dastehen, als hätte ich dicke Eier. Ich möchte so stehen, wie ich mich wohlfühle. Aber was sieht gut aus? Wir hatten noch nie jemanden mit Minirock und Gitarre gesehen. Wir sprachen darüber, wie wir stehen, spielen, in welcher Höhe wir die Gitarre halten, was für eine Haltung wir einnehmen … Alles war neu und wir haben monatelang diskutiert!
Welche Rolle hat Mode für Sie gespielt? In der Punkszene, als Band?
Ein wichtiger Teil davon, eine junge Frau im Punk zu sein, war, deine Haltung auf dem Körper zu tragen. Wir kauften nur bei einem Shop: Vivienne Westwoods „Sex“. Die Sachen hatten eine politische Aussage. Für den Rest nahm ich lauter Mädchenkram, ein Tutu zum Beispiel oder eine Pfadfinderinnen-Uniform. Dazu trug ich schwarze Latexstrümpfe von „Sex“ und eine Lederjacke. Wir schmissen alles zusammen, wie Frauen sein sollten, und machten uns darüber lustig. Wenn wir in diesem Aufzug auf die Straße gingen, griesgrämig und spuckend, waren die Männer komplett verängstigt! Sie hassten es so sehr, dass wir angegriffen wurden. SM-Kleidung hat man vorher nie auf der Straße gesehen, nur in Männermagazinen. Heute kannst du in jedem Geschäft ein Hundehalsband mit Nieten kaufen. Aber damals ein T-Shirt mit Titten drauf zu tragen, das war unerhört! Es sagte: „Ich hole mir meinen Körper zurück, du Wichser.“ Die Männer glaubten damals, du gehörst ihnen, deine Sexualität gehört ihnen. Mit uns konfrontiert wussten sie nicht, was sie tun sollten. Sie wussten nicht, ob sie uns töten oder ficken wollten.
Die Slits sind wie eine Straßengang aufgetreten. Was können Sie über Freundschaft oder vielleicht sogar weibliche Solidarität in der Band berichten?
Ich würde ja gerne sagen, wir waren wie Schwestern … naja, so ähnlich: Wir haben uns gestritten wie Schwestern! Wir hätten es nicht durchziehen können, wenn wir vier nicht eine Gang gewesen wären. Wir haben immer beieinander übernachtet, denn in unserem Aufzug konnten wir nicht alleine nach Hause gehen, wir wären attackiert oder vergewaltigt worden. Aber es war auch schwierig, weil wir vier sehr starke Persönlichkeiten mit großen Egos waren und es viel Streit gab.
Weswegen?
Zum Beispiel darüber, ob unsere Drummerin Palmolive auf der Bühne einen BH tragen sollte. Sie spielte so wild, dass ihre Brüste herumhüpften. Und die Typen starrten darauf. Damals sah man keine Frauen in Aktion. Jetzt joggen alle, aber damals machte niemand irgendwas Körperliches! Ich sagte ihr also, sie solle sie ein bisschen einfangen. Sie sagte: Ich bin Feministin, ich trage keinen BH! Mein Argument war: Wegen deiner Titten geht die Tatsache unter, dass du richtig gut Drums spielst. Wir stritten ständig – außer, wenn jemand uns attackierte. Das passierte bei jedem Gig: Wenn Typen, meistens Skinheads, versuchten, Ari von der Bühne zu zerren oder sie zu schlagen, zogen wir denen die Gitarre über den Kopf. Wenn man das heute machen würde, käme man ins Gefängnis! Wir wurden attackiert, auch mit Messern. Aber damals ging man nicht zur Polizei.
Gab es auch Angriffe von Frauen?
Ja, aber wenig körperliche Gewalt. Ältere Frauen waren sehr missbilligend, auch die ganzen jamaikanischen Mädchen aus der Reggaeszene. Eigentlich mochte uns niemand, auch die Feministinnen nicht. Wir bekamen einen Brief von schwedischen Feministinnen, die mochten das Plattencover von „Cut“ nicht. (Anm.: die Slits sind darauf nackt, in Lendenschurzen und mit Schlamm beschmiert) Wir begannen uns damals mit Tribal Music auseinanderzusetzen. Wir dachten: Warum schämen wir uns so für unsere Nacktheit? Holen wir sie uns zurück! Für uns war das eindeutig ein aggressives Cover. Jungs sagten, sie hätten Angst vor uns. Und als junges Mädchen nackt und furchteinflößend sein zu können, ist eine fantastische Leistung! Aber niemand hat das kapiert. Die Feministinnen nicht, die Journalistinnen nicht. Dreißig Jahre später beginnen die Leute, es zu verstehen.
Hatten Sie sonst etwas mit feministischen Bewegungen zu tun?
Ich hatte schon ein feministisches Bewusstsein. Aber grundsätzlich waren wir sehr gegen Zuschreibungen. Weil niemand vorher etwas wie die Slits gesehen hatte, wollte uns die Presse zu einer feministischen Band machen. Doch wir verweigerten das, weil wir wussten: Sobald sie uns in eine Schublade gesteckt haben, brauchen sie sich nicht mehr mit uns auseinanderzusetzen. Wir wollten nicht Punks genannt werden, nicht Feministinnen, nicht Rock’n’Roll. Wir versuchten diese ganzen Labels zu bekämpfen.
Würden Sie jungen Frauen raten, eine Band zu gründen?
Als ich in den Siebziger Jahren mit der Musik anfing, gab es keine weiblichen Vorbilder. Bei meiner Tochter, sie ist jetzt fast 17, ist das anders. Sie denkt: Ich könnte in einer Band spielen oder ich werde Architektin oder vielleicht lebe ich ein Jahr lang am Strand! Sie hat so viel mehr Möglichkeiten als ich damals. Mit diesen Optionen hätte ich mich vielleicht gar nicht dazu entschieden in einer Band zu spielen! Um heutzutage als Frau etwas Radikales zu machen, würde ich mich nicht auf eine Bühne stellen und etwas singen, das drei Minuten dauert und sich ständig wiederholt. Daran ist nichts Rebellisches. Bei den Slits war es rebellisch, weil es noch keine Frau vorher gemacht hatte. Aber heute finde ich eine Frau, die Menschenrechtsanwältin oder Aktivistin ist, wesentlich interessanter, als eine, die breitbeinig auf der Bühne steht.
Viv Albertine ist Musikerin, Autorin, Regisseurin und Schauspielerin. Sie war von 1976 bis 1982 Mitglied von „The Slits“. Seit 2009 macht sie wieder Musik. Ihre Autobiografie „Clothes, Clothes, Clothes. Music, Music, Music. Boys, Boys, Boys“ erschien 2014, sie lebt mit ihrer Tochter in London.