Frauen sind die Verliererinnen dieser Krise. Zeit für Umverteilung im großen Stil, sagt Veronika Bohrn Mena.
Um das Offensichtliche gleich vorwegzunehmen: 2020 war ein verdammt schlechtes Jahr, vor allem für Frauen. Doch die Durststrecke hat für sie keinesfalls erst im vergangenen Jahr begonnen, allerdings macht die Corona-Krise Missstände sichtbarer. Schon vor Corona waren die Erwerbstätigen und ihre Angehörigen in Österreich wie im Rest von Europa instabil und prekär Beschäftigte gespalten, der Arbeitsmarkt unsicher und die Mittelschicht im Zerfall begriffen. Ende 2019 befand sich bereits über ein Drittel der Erwerbstätigen nicht in „Normalarbeitsverhältnissen“, also unbefristet und in Vollzeit angestellt, sondern war atypisch beschäftigt. Für sie bedeutet das nicht nur wesentlich schlechter bezahlt zu werden, sondern auch in höherer Unsicherheit leben zu müssen. Das rächt sich spätestens im Alter.
Typisch atypisch. Frauen können ein Lied davon singen, weil für sie atypische Beschäftigung und die daraus resultierende Altersarmut seit Jahren die Normalität darstellt. Mehr als die Hälfte aller erwerbstätigen Frauen arbeiteten schon vor Corona in keinem unbefristeten Vollzeitjob mehr. Frauen stellten die Mehrheit der atypisch Beschäftigten dar, weil sie aufgrund der enorm ungleichen Verteilung von unbezahlter Arbeit viel weniger Zeit für bezahlte Erwerbsarbeit haben. Aber auch, weil viele von ihnen nur die Wahl zwischen einem miesen oder keinem Job hatten. Schließlich werden Frauen am Arbeitsmarkt nicht nur schlechter bezahlt, sondern auch in jeder anderen Hinsicht diskriminiert. Ihnen blieben jene Jobs, die Männer übrig gelassen hatten.
Mit ihrer Krisenpolitik verschärft die österreichische Bundesregierung nun diese fatale Entwicklung weiter. Aufgrund der Unwilligkeit, stärker in den Arbeitsmarkt einzugreifen, haben vor allem Frauen in den vergangenen Monaten ihre Jobs verloren. Während des ersten Shutdowns wurden knapp 55.000 Frauen arbeitslos, dem stehen rund 9400 Männer gegenüber.
Viele fallen dabei durch alle sozialen Netze. Denn geringfügig Beschäftigte, vorwiegend Studentinnen, (alleinerziehende) Mütter und Rentnerinnen, können weder Arbeitslosengeld noch Kurzarbeit beantragen. Sie sind es aber, die am häufigsten arbeitslos wurden.
Verdrängte Frauen. Und dann wären da noch jene Frauen, deren Arbeitgeberinnen ihnen zwar nicht gekündigt haben, die sich aber aufgrund der fehlenden Kinder-, Alten- und Krankenbetreuung dazu gezwungen sahen, ihre bezahlte Erwerbsarbeit zu reduzieren – oder sogar ganz einzustellen. Nur sehr selten reduzierten ihre besser bezahlten Partner die Erwerbsarbeit deutlich, um Homeschooling, 24-Stunden-Pflege, die Versorgung von Kleinkindern oder den Haushalt zu übernehmen. Selbst scheinbar progressive Paare begannen zu streiten, als ihre mit hoher Wahrscheinlichkeit weibliche Reinigungskraft, Pflegerin oder Kinderbetreuerin im Shutdown ausfiel. So gut wie alle Familienarbeiten, die zuvor auf schlecht bezahlte Frauen abgeschoben werden konnten, mussten und müssen in der Krise von Frauen geleistet werden. Das Resultat ist bitter. Frauen haben sich seit dem Beginn der Pandemie wieder ein Stück weit aus dem Arbeitsmarkt zurückgezogen und ihre bezahlten Arbeitszeiten wesentlich stärker reduziert als Männer. Natürlich sind auch die Gehaltseinbußen und die finanziellen Einschnitte bei ihnen viel größer. Frauen haben im Supermarkt, im Krankenhaus oder Altersheim für uns alle ihre Gesundheit riskiert – und auch noch die gesamte Last der zusätzlichen unbezahlten Arbeit aufgehalst bekommen. Belohnung gab es für sie keine, nicht einmal einen echten Rechtsanspruch auf Sonderbetreuungszeit, Ausgleichszahlungen oder das Recht, in ihr altes Erwerbsarbeitszeitausmaß zurückzukehren. Sie wurden und werden von der Regierung schlichtweg ignoriert. Zu Recht warnen Wissenschaftlerinnen vor einem Rückschritt bei der Gleichstellung am Arbeitsmarkt um rund dreißig Jahre. Die Rechnung dafür werden die betroffenen Frauen noch jahrelang zahlen müssen, vieles wird sich ohne einen radikalen Kurswechsel auch gar nicht kompensieren lassen.
Kurswechsel. Wenn wir nicht wollen, dass Frauen weiterhin die Leidtragenden sind, müssen wir an so manchen Konzepten rütteln, die als einbetoniert galten. Denn all das ist nicht einfach so passiert, sondern wurde politisch ermöglicht. Der wesentliche Grund für zig Millionen prekäre Jobs, einen riesigen, stetig wachsenden Niedriglohnsektor in Europa und den Gender Pay Gap liegt in der jahrzehntelangen Deregulierung des Arbeitsrechts. Begleitet von der Zerschlagung von flächendeckenden Branchentarifverträgen, der Schwächung von Gewerkschaften und den Rechten der Beschäftigten. Quer durch Europa wurde dem Dogma der Arbeitsmarkt-„Flexibilisierung“ gehorsam Folge geleistet. Dabei hätte die bezahlte wie unbezahlte Arbeit schon vor Jahrzehnten viel gleichmäßiger auf alle Köpfe aufgeteilt werden müssen. Gleiche Voraussetzungen und Rahmenbedingungen mit den gleichen soliden Rechten für alle Beschäftigten unabhängig von Geschlecht und Herkunft müssten im 21. Jahrhundert längst eine Selbstverständlichkeit sein. Eine soziale Absicherung mit Zugang zu einer angemessenen medizinischen Versorgung für alle ist das Um und Auf, um eine Pandemie zu bekämpfen. Doch von all diesen Grundvoraussetzungen sind wir ein ordentliches Stück entfernt. Ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft, schließlich können gleichzeitig große Konzerne, Handelsriesen und Spekulanten durch die Krise ihre obszönen Gewinne auf Kosten der Allgemeinheit noch weiter steigern. Wie wir es drehen und wenden: Wir kommen nicht daran vorbei, im großen Stil umzuverteilen. In der Finanzwirtschaft wie auch am Arbeitsmarkt.
Her mit der 30-Stunden-Woche. Wie wir Zeit, Geld und Arbeit neu verteilen und wie wir die Maßnahmen gegen die Krise finanzieren, ist die zentrale (wirtschafts-)politische Herausforderung der Zukunft. Das alte Ideal der Vollbeschäftigung bröckelt und es stellt sich die Frage, ob sie unter den heutigen Bedingungen überhaupt noch erreicht werden kann – und ob wir das denn überhaupt wollen. Wir arbeiten in Österreich ohnehin viel zu lange, zumindest diejenigen, die noch einen Vollzeitarbeitsplatz haben. Unser Lohnniveau ist zu niedrig und die Arbeitsmarktentwicklung gibt wenig Anlass zur Hoffnung. Das Mindeste müsste jetzt eine gesetzliche Verkürzung der Normalarbeitszeit auf dreißig Stunden pro Woche sein – und zwar bei vollem Lohn- und Personalausgleich. Aber auch das alleine wird nicht reichen. Es braucht gleiche Rechte für alle Beschäftigten am Arbeitsmarkt und eine bedingungslose soziale Absicherung, von der es sich sicher und in Würde leben lässt. Jede kleinere Maßnahme dient einer temporären Symptombekämpfung, aber löst unsere Probleme nicht. Ein Zurück zur alten Normalität können wir gar nicht wollen. Es ist höchste Zeit, es endlich besser zu machen.
Veronika Bohrn Mena ist Autorin und Arbeitsmarktexpertin. Ihr erstes Buch „Die neue ArbeiterInnenklasse – Menschen in prekären Verhältnissen“ ist im Jänner 2020 in der dritten Auflage erschienen, ihr zweites Buch „Leistungsklasse – Wie Frauen uns unerkannt und unbedankt durch alle Krisen tragen“ ist im November 2020 erschienen, beide im ÖGB-Verlag.