Auch die kulinarische Fleischeslust ist sexualisiert und in Fleischkonsum und Fleischverzicht spiegeln sich Geschlechterverhältnisse. Von LEA SUSEMICHEL
Gebräunte, ölige Frauenschenkel neben knusprig-fettigen Hühnerkeulen. Verzehrfertige Hühnchen, die mit Bikiniabdruck und gespreizten Beinen auf dem Teller präsentiert werden. Frauenkörper, die wie das Schweine-Schaubild beim Metzger in Zonen eingeteilt, die mit „Rippen, Brust, Schulter“ etc. beschriftet sind. Carol J. Adams kann auf eine Fülle von Werbesujets verweisen, die ihre These drastisch veranschaulichen: Frauen und Tiere werden auf vergleichbare Art und Weise zu Objekten gemacht. Zahllose Analogien der Sexualisierung von Fleisch und der Animalisierung von Frauenkörpern nennt Adams in ihrem 1990 erschienenen Buch „The Sexual Politics of Meat“, das immer noch als Standardwerk zum Thema Feminismus und Veganismus gilt. Die Werbung drapiert tote Tiere in pornografischen Posen, während Frauen weiterhin standardmäßig wie ein Stück Fleisch in Szene gesetzt werden. Die Befriedigung der sexuellen wie kulinarischen Fleischeslust bedient sich dabei einer Metaphorik des Verzehrs, Anknabbern und Verschlingen sind gängige Vokabeln obszöner Anspielungen. Diese Objektifizierung funktioniert laut Adams in beiden Fällen durch den „fehlenden Referenten“. Das konkrete Tier, der individuelle Mensch wird hinter dem als frei verfügbar inszenierten Fleisch zum Verschwinden gebracht. Nach Adam manifestiert sich hier männliche Macht, denn Fleischkonsum und Männlichkeit seien symbolisch eng miteinander verknüpft. Ihre ganz lebenspraktische Entsprechung fände diese symbolische Ebene in der Männerbündelei im Steakrestaurant und beim Barbecue.
Der Doppel-Whopper ist männlich. Carol J. Adams ist freilich nicht die Erste, die auf diese kulturhistorisch sehr stabile Verbindung von Männermacht und tierischer Kost hinweist. Wie die Butter aufs Brot war Fleisch bei Knappheit den männlichen Familienmitgliedern bzw. dem männlichen Familienoberhaupt vorbehalten (und ist es in bestimmten Kontexten bis heute). Der Mann als Jäger, der seine Manneskraft beim Erlegen der Beute unter Beweis stellt und sich danach beim Verzehr des Fleisches Potenz und Stärke sichert, ist ein gängiger Topos, dem nicht zuletzt boomende Männer-Magazine wie „Beef“ ihren Erfolg zu verdanken haben. Und auch wenn der mittlerweile über Geschlechtergrenzen hinweg grassierende Gesundheits- und Fitnesswahn anderes nahelegen: Umfragen zeigen, dass der Doppel-Whopper und das blutige Steak auch weiterhin für ein Bild entschlossener und heterosexueller Männlichkeit samt Lenden- und Muskelkraft stehen und Gemüse was für Mädchen und Schwule ist.
Tatsächlich essen Frauen durchschnittlich weniger Fleisch und verzichten auch viel häufiger als Männer ganz darauf: Etwa siebzig Prozent aller VegetarierInnen sind Frauen.(1)
Animal Studies und Anti-Speziesismus. Auch andere Statistiken legen nahe, dass Fleischkonsum und Geschlechterverhältnis etwas miteinander zu tun haben. Ethnologische Studien sollen belegen, dass patriarchale Strukturen oft mit ausgeprägtem Fleischkonsum einhergehen. Wo hingegen vornehmlich vegetarisch gelebt wird, gebe es mehr Geschlechtergerechtigkeit und weniger rigide Geschlechterrollen.
Die in den vergangenen Jahren im deutschsprachigen Raum zunehmend an Popularität gewinnenden Animal Studies lassen ebenfalls Zusammenhänge zwischen Geschlecht und Tierethik sichtbar werden. Denn der von TheoretikerInnen der Animal Studies häufig vertretene Anti-Speziesismus weist viele Parallelen zur dekonstruktivisti-schen Gendertheorie auf. Wo diese von einer willkürlichen Setzung von Geschlechtergrenzen ausgeht, postuliert jener eine völlig kontingente Abgrenzung zwischen den Arten. Sprich: Die hierarchisierte Unterscheidung zwischen Tieren und Menschen ist genauso wenig objektiv begründbar wie die Grenzziehung zwischen Frauen und Männern. Frauen wie Tiere werden also gemäß einer andro- und anthrozentrischen Kategorisierung dem Bereich der vernunftlosen Natur zugeordnet und als das Andere männlicher Rationalität gegenübergestellt.
Ran an die Fleischtöpfe. Dass angesichts all dieser Aspekte Feminismus und Vegetarismus/Veganismus Hand in Hand gehen, ist dennoch nicht selbstverständlich. Denn nicht nur die problematische Parallelsetzung von Tieren und Frauen, wie sie etwa bei Carol J. Adams implizit geschieht, fordert feministische Kritik heraus. Opponiert werden sollte zudem gegen die Klischees von weiblicher Naturverbundenheit, Empathiefähigkeit oder gar moralischer Überlegenheit, die in einen respektvollen Umgang mit Tieren münden sollen. Und zu guter Letzt kann der moralische Appell zum Verzicht auf tierische Produkte bloß als weiteres Kapitel der leidvollen Geschichte weiblicher Ernährungsrestriktionen interpretiert werden.
In diesem Sinne als Aufbegehren gegen solch Selbstbeschränkung und -beschneidung könnte Lady Gagas Kleid aus rohen Rindfleischlappen, mit dem sie 2010 bei den MTV Video Music Awards für Diskussionen sorgte, verstanden werden. Der Tabubruch bestand dabei nicht nur in der entlarvenden Verdoppelung sexistischer Fleischbeschau durch das Kostüm, sondern auch im provokanten „Frauen, ran an die Fleischtöpfe“-Statement, als das es gelesen werden kann. Doch genauso wenig wie die sich um ethische Fragen nicht scherende Fleischvöllerei per se feministisch subversiv ist, ist umgekehrt männlicher Fleischverzicht grundsätzlich emanzipatorisch. Das hat etwa die Tierrechtsorganisation PETA mit ihrer Form inszenierter Tabubrüche wiederholt gezeigt. In den schlimm sexistischen Spots wird z.B. mit einer nach einer Nacht mit ihrem veganen Freund übel zugerichteten Frau für pflanzliche Ernährung geworben. Pflanzenkraft macht potent, so die Message, die den Jungs wohl die Angst vor Virilitätsverlust durch vegane Kost nehmen soll.
Fleischfragen. Ein feministisches Plädoyer für Vegetarismus oder Veganismus sollte sich dieser Zusammenhänge bewusst sein und sie berücksichtigen.
Denn eine zentrale Kritik an Carol J. Adams ist, dass sie zwar die Überwindung sämtlicher Unterdrückungsformen verspricht, eine differenzierte Analyse ethnisch bedingter oder milieuspezifischer Ernährungsgewohnheiten aber vermissen lässt. Dabei ist es offensichtlich, dass Veganismus/Vegetarismus im Westen in erster Linie ein gut vermarktbares Elitenprojekt ist, das nicht selten mit klassistischem Dünkel einhergeht und gleichermaßen Distinktionsgewinn sowie individuellen gesundheitlichen Nutzen verspricht. Andernorts ist eine fleischfreie Ernährung hingegen oft eine nicht selbstgewählte Notwendigkeit, die überdies keineswegs zwangsläufig gesund ist, weil es nicht überall das Privileg eines Zugangs zu Produkten gibt, die eine adäquate Versorgung gewährleisten.
Dennoch darf es dieses Plädoyer für Fleischverzicht und Tierrechte selbstverständlich auch von FeministInnen geben. Solange der feministische Kampf um die Fleischtöpfe, zumindest im symbolischen Sinne, dabei nicht aufgegeben wird.
Fußnote:
(1) Die Zahlen beziehen sich vor allem auf Europa und die USA.
2 Kommentare zu „Fleisch und Feminismus“
“während Frauen weiterhin standardmäßig wie ein Stück Fleisch in Szene gesetzt werden.”
Solange sich Frauen freiwillgi unf für Geld dafür hergeben, wird es das geben. Wir sollten nämlich nicht erwarten, dass Männer unsere Probleme lösen.
Es gibt Leute die für Geld alles tun.
Es gibt Leute die für Geld alles tun müssen.
Die Frage lautet vielmehr; Sollte das ein Argument sein.
Zu sagen: “Das ist nicht mein Kampf denn es betrifft mich nicht.” ist grundlegend verkehrt.
Die Bekämpfung der Sklaverei wurde auch nicht ausschließlich von den Versklavten getrieben.
Soziale Kämpfe müssen holistisch verstanden werden, kollektiv getragen werden und immer wieder verteidigt werden.
Ich bin ein biodeutcher, weißer, heterosexueller, Cis Mann. Aber ich versuche mich nicht auf meinen Privilegien auszuruhen.
#Intersektionalität #UnityOfOppression