Gleich zu Beginn der „Corona-Krise“ wurde sichtbar, was feministische Ökonomie schon lange weiß: Ausgerechnet jene Arbeiten, die für die Gesellschaft besonders wichtig sind, werden oft schlecht oder gar nicht bezahlt. Und sie werden unter prekären Bedingungen vor allem von Frauen erledigt. Gabi Horak hat Ökonomin Katharina Mader im Homeoffice erwischt und sie gefragt, ob es nach der Krise besser wird.
an.schläge: MitarbeiterInnen im Gesundheitssystem werden dieser Tage beklatscht – plötzlich sind sie die Heldinnen der Krise. Aber wie sieht es mit ihren Arbeitsbedingungen und der bisherigen Anerkennung aus?
Mader: Typischerweise sind gerade die Pflegetätigkeiten im Gesundheitssystem weibliche Tätigkeiten und sie sind in einem Prozess der Kommodifizierung, also des „Zur-Ware-Werdens“ von unbezahlter Arbeit von Frauen in den eigenen Haushalten entstanden. In diesem Sinne ist die Bewertung und Anerkennung dieser Berufe ganz stark mit der Bewertung von unbezahlten Tätigkeiten verbunden. Es wird immer noch davon ausgegangen, dass es die Frauen ja auch zuhause machen könnten, also brauche es keine vernünftige Ausbildung, keinen vernünftigen Arbeitsschutz und keine anständigen Arbeitsbedingungen und anständigen Löhne. Denn im eigenen Haushalt werden diese Arbeiten auch nicht wertgeschätzt. Zudem können diese Arbeiten keiner oder kaum einer Rationalisierungslogik unterworfen werden, um eine höhere Produktivität zu erreichen. Auch hier liegt ein Grund für die fehlende Anerkennung und Wertschätzung.
Haben wir nun die Chance, dass sich etwas daran nachhaltig ändert?
Bisherige Krisen (vor allem Wirtschaftskrisen) haben immer „nur“ sichtbar gemacht, wie viel krisenresistenter diese typischen Frauenberufe im Vergleich zu den typischen Männerberufen sind. Die derzeitige Corona-Krise zeigt einmal mehr wie überlebensnotwendig diese Arbeit ist. Ich hoffe wirklich, dass Entscheidungsträger*innen nun insbesondere die Gesundheitsberufe endlich gebührend wertschätzen. In einem ersten Schritt würde das für mich heißen, dass nicht am 12-Stundentag festgehalten wird, sondern (Gefahren-)Zulagen und Überstunden, die jetzt notwendig sind, ausgezahlt werden. Und dass in einem zweiten Schritt – wenn wir den Höhepunkt der Krise überstanden haben – zumindest die gewerkschaftlichen Forderungen einer 35-Stunden-Woche umgesetzt werden. Es muss allen bewusst gemacht werden, dass unser Gesundheitssystem in den letzten Jahrzehnten neoliberalen Marktlogiken unterworfen wurde, die guten Arbeitsbedingungen nie zuträglich sind. Da müssen nach der Krise Veränderungen passieren.
Die Gewerkschaften versuchen ja derzeit im Zuge der Gehaltsverhandlungen die 35-Stunden-Woche durchzusetzen. Könnte das nach der Krise unter diesen neuen Vorzeichen gelingen, oder angesichts einer drohenden Rezession sogar noch schwieriger werden?
Der Pflegepersonalmangel und die prekären Arbeitsbedingungen sind schon lange bekannt, insofern fordern ja auch die Gewerkschaften mit einer 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich eigentlich zwei Dinge: bessere physische und psychische Arbeitsbedingungen. Denn unter den bisherigen Bedingungen kann kaum jemand vollzeiterwerbstätig sein. Zum anderen wird damit implizit auch ein Personal– und Kapazitätenausbau angestrebt. Die Corona-Krise zeigt nun, worauf feministische Ökonominnen seit Jahren – sogar Jahrzehnten – hinweisen: dass diese Arbeit (ebenso wie alle anderen Care-Arbeiten) für das Funktionieren der Gesellschaft systemrelevant ist. Ein wesentlicher Faktor hierbei wäre die Ausfinanzierung des Gesundheitssystems unabhängig vom Markt, doch ich befürchte, dass für beides nach der Krise „die wirtschaftliche Lage zu schwer“, „die Rezession zu schwerwiegend“, „die Probleme zurzeit andere“ sein werden.
Was auch wieder sichtbar wird: Für Care-Arbeit, Kinderbetreuung und Pflege Angehöriger sind großteils Frauen zuständig. Gibt es auch hier die Chance, dass die Forderung nach besserer Aufteilung der unbezahlten Arbeit Aufwind bekommt?
Momentan wird die Vereinbarung von Homeoffice und Kinderbetreuung ganz automatisch als Frauensache abgetan, überall erscheinen Texte dazu, wie die Mütter die Aufgaben aus der Schule leichter in den Griff bekommen, welche neuen Spiele-Ideen es für Mütter von Kleinkindern gibt. Immerhin wird aber nun darüber geredet und damit vielleicht die unbezahlte Care-Arbeit endlich ein bisschen sichtbarer gemacht. Außerdem scheinen wir zu realisieren – wenn Schulen, Kindergärten und Großeltern nicht mehr zur Verfügung stehen (können) – was für Netzwerke an un(ter)bezahlter Care-Arbeit eigentlich sonst notwendig sind, wenn es um die Betreuung von Kindern geht. Anekdotisch nehme ich aber auch wahr, dass diese Zeit von Homeoffice und zeitgleich notwendiger Kinderbetreuung Vätern durchaus auch das Volumen und die Komplexität dieser Arbeiten vor Augen führt. Unter Umständen können zumindest nach dieser Krise Routinen und Abläufe, die jetzt zwischen heterosexuellen Paaren neu verhandelt werden (müssen), aufrechterhalten werden.
In welchem Ausmaß wird unbezahlte Care-Arbeit in Österreich geleistet?
Die unbezahlte Care-Arbeit hat in Österreich fast dasselbe Volumen wie die bezahlte Erwerbsarbeit: Während Österreicherinnen und Österreicher im Jahr neun Milliarden Stunden unbezahlte Care-Arbeit verrichten, sind sie 9,5 Milliarden Stunden erwerbstätig. Im Schnitt machen Frauen zwei Drittel der unbezahlten, Männer zwei Drittel der bezahlten Arbeiten. Wenn wir diese unbezahlte Arbeit mit einem monetären Wert bemessen, dann entsprechen diese neun Milliarden Stunden bei einem Durchschnittslohn der personenbezogenen Dienstleistungen 100 bis 105 Milliarden Euro, das sind zwischen 27 und dreißig Prozent des BIP.
Wie krisenanfällig ist der neoliberale Kapitalismus?
Der Kapitalismus ist inhärent krisenanfällig, das zeigen Wissenschafter*innen seit Karl Marx. In den unterschiedlichsten Wohlfahrtsstaaten werden diese Krisen über die Jahrzehnte unterschiedlich gut durch den Staat abgefangen und werden damit oft gar nicht in ihrem tatsächlichen Ausmaß gesehen. Auch im Moment zeigt sich, dass diejenigen Staaten mit stärkeren Wohlfahrtsstaaten „besser“ auf die Corona-Krise reagieren können.
Jedenfalls aber sind dem Kapitalismus auch Abhängigkeits– und Ausbeutungsverhältnisse inhärent. Und wenn die Annahmen stimmen, dass es die illegalen chinesischen Textilarbeiter*innen waren, die den Corona-Virus nach Italien gebracht haben und dass diese aufgrund ihres illegalen Aufenthaltstitels auch keine gesundheitliche Versorgung bekommen oder gar ihre Krankheits- und Todeszahlen erhoben werden können, dann müsste in der (Nach)Bearbeitung dieser Krise der Kapitalismus massiv infrage gestellt werden.
Könnte die Corona-Krise den Forderungen der feministischen Ökonomie generell einen Aufwind bescheren?
Krisen können Lernerfahrungen ermöglichen. Ich habe mir nach der letzten großen Wirtschaftskrise angesehen, ob feministische Lehren daraus gezogen wurden und die feministische Ökonomie aufgewertet hatten – dem war nicht so. Insofern bin ich auch bei dieser Krise eher pessimistisch, dass die feministische Ökonomie danach substanziell mehr gehört wird. Eine der wesentlichen Ideen der feministischen Ökonomie ist es, Wirtschaftssysteme von der bezahlten und unbezahlten Care-Arbeit aus zu denken, zu analysieren und zu modellieren. Hierfür wird die Corona-Krise jedenfalls viele Anknüpfungspunkte geben. Weitere feministische wirtschaftspolitische Forderungen der letzten Jahre und Jahrzehnte wie eine generelle Arbeitszeitverkürzung, Besteuerung von Vermögen und damit das gesellschaftliche gerechte Verteilen von Gewinnen und nicht nur das Sozialisieren von Verlusten, scheinen schon mitten in der Krise unmöglich machbar zu sein.
Katharina Mader ist Ökonomin am Institut für Heterodoxe Ökonomin der WU Wien und forscht unterrichtet zu Care-Arbeit und feministischer Ökonomie. Zurzeit betreut sie zwei Kleinkinder zeitgleich zum Home-Office – dies jedoch, wie sie findet, in einer äußerst privilegierten Lage gemeinsam mit ihrem Partner.