Nach einem massiven Rechtsruck bei der Nationalratswahl steht Österreich vor einer reaktionär-autoritären Wende. Verhindern kann das nur eine starke feministische Bewegung. Von HANNA LICHTENBERGER
26 Prozent für eine Partei, die mittlerweile mehr Deutschnationale als Frauen unter ihren Abgeordneten hat und deren Chef einst mit Neonazis im Wald Krieg spielte: Selbst für österreichische Verhältnisse ist nach dieser Nationalratswahl von einem massiven Rechtsrutsch zu sprechen. Und der Stimmenzuwachs für die FPÖ ist nur ein Ausdruck davon. Denn die gesamte politische Debatte in Österreich und die meisten Parteien sind mitgerutscht. Forderungen, die früher aus der Mitte der Gesellschaft kamen, etwa die soziale Absicherung aller oder der freie Hochschulzugang, gehören mittlerweile zum linken Rand. SPÖ und ÖVP haben in der Regierung die Politik der FPÖ gemacht und ganz massiv dazu beigetragen, das gesamte politische Spektrum nach rechts zu verschieben. Wie sehr sich die Debatte zugespitzt hat, zeigen etwa Vergleiche der Positionen von Werner Faymann und Sebastian Kurz während des Sommers der Migration 2015 – und Kurz’ antimuslimische Positionen heute. „Wahlen zeigen: Fremdenfeindlichkeit und Angstmache zahlen sich nicht aus. Gut so!“, twitterte der Integrationsstaatssekretär im März 2013, der als Kanzler-Kandidat während des Wahlkampfs nun für jedes Problem die „Schließung der Mittelmeerroute“ als Lösung parat hatte.
Ohne Grüne. Dass die Grünen den Einzug in den Nationalrat nicht geschafft haben, liegt am Alleingang von Peter Pilz und der Abwanderung der Stimmen zur SPÖ – aber auch daran, dass sie in der Zeit des langen Präsidentschaftswahlkampfes wenig politisches Profil zeigten. „Die Grünen hätten beispielsweise stärker kommunizieren müssen, warum es Grüne Frauenpolitik dringend braucht. Wer niemandem wehtun will, macht sich letztendlich verzichtbar“, sagt die Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle.
Auch der völlig inakzeptable Rausschmiss der eigenen Jugendorganisation hat das Nötige dazu beigetragen, dass der neue Nationalrat ohne die Grünen tagen wird. Ein großer Verlust, denn gerade im Menschenrechtsbereich, in Fragen von Geschlechtergerechtigkeit, Asyl, Migration und Antifaschismus waren die Grünen eine sichtbare Kraft im Parlament mit einer alternativen Erzählung. Die FPÖ feierte indes das Grüne Scheitern, für Gegner am rechten Rand symbolisierte Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek das Feindbild schlechthin: Pro-Europäerin, antirassistisch positioniert, Feministin, eine lesbische Frau.
Sebastian Kurz: autoritäres Wunderkind? Schon durch die Ausrufung von Neuwahlen zeichnete sich ab, dass Sebastian Kurz’ öffentliche Erpressung der ÖVP zur Maximierung seines persönlichen Handlungsspielraumes nicht nur durchdacht war, sondern auch eine grundlegende Richtungsentscheidung bedeutete. Eine Richtungsentscheidung für ein autoritär-neoliberales Staatsprojekt, das Kurz als Bundeskanzler einer schwarz-blauen Regierung umsetzen könnte. Mitfinanziert wurde sein Wahlkampf von Großspendern, der größte unter ihnen ist KTM-Chef Stefan Pierer, der laut „Trend“ über ein Privatvermögen von 860 Millionen Euro verfügt. Auch auffallend viele Immobilienbesitzer spenden für Kurz – klar, denn die versprochene Überarbeitung des Mietrechts im Sinne der „Marktkonformität“, die Mieter_innenrechte schwächen wird, ist auch Teil des Programms der „Neuen ÖVP“.
Fast schon süffisant resümierte FPÖ-Obmann Strache am Wahlabend, sechzig Prozent der Wähler_innen hätten für ein FPÖ-Programm gestimmt. Tatsächlich ähneln sich die Programme enorm. In den zahlreichen TV-Duellen konnten Differenzen lediglich in der Frage ausgemacht werden, wer noch stärker gegen den Islam auftrete und wer mehr Flüchtlinge abschieben wolle. Beide setzten in der Kommunikation auf eine rassistische Umdeutung sozialer Themen. Beide verknüpften etwa die Frage der Differenz zwischen Löhnen und Mindestsicherung, aber auch die grundsätzliche Sicherung des Sozialstaates mit den Themen Migration, Integration und Flucht. Der Blick auf die Wirtschaftsprogramme zeigt aber schnell: Fairness und Gerechtigkeit soll es nur für die oberen fünf Prozent geben.
Wer hat, dem wird gegeben. Mit der nächsten schwarz-blauen Wende droht vor allem ein sozialer Kahlschlag. Die Abgabenquote soll auf vierzig Prozent gesenkt werden, finanziert werden soll dies unter anderem mit Einsparungen im Gesundheits- und Sozialsystem, konkret 3,8 Milliarden. Um diese für Österreich gigantische Summe erreichen zu können, muss das schwarzblaue Projekt die großen Finanzposten des Sozialbudgets angreifen – das Arbeitslosengeld, die Mindestsicherung und die Pensionen. Frauen betreffen Kürzungen im Sozialbereich überproportional, da sie aufgrund von Kinderbetreuungspflichten, Fürsorgearbeiten, Teilzeit und niedrigeren Löhnen stärker von sozialen Sicherungsnetzen und Formen der Umverteilung profitieren. Das Einsparungspotenzial bei den Sozialversicherungen, von dem Schwarz und Blau sprechen, ist ebenfalls ohne Leistungskürzungen unmöglich. Mieter_innen sollen nicht entlastet werden – von der Mietpreisobergrenze oder der Abschaffung von Makler_innengebühren für Mieter_innen kann keine Rede sein. Kurz will stattdessen Eigentum fördern – aber wer kann sich das schon leisten, wenn selbst die Mieten immer unerschwinglicher werden. Und natürlich wird es auch eine sozial gerechte Erbschafts- oder Schenkungssteuer unter Schwarz-Blau nicht geben.
NEOliberal. Im Wahlkampf forderten vor allem die Neos und die FPÖ immer wieder die Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft in Arbeiterkammer (AK) und Wirtschaftskammer (WKO). An der Frage der Kammerpflichtmitgliedschaft hängt auch die 97-prozentige Kollektivvertragsabdeckung, an die die Unternehmer_innen in Österreich gebunden sind. Diese Bindung wäre aufgehoben, wenn die WKO-Pflichtmitgliedschaft fällt. Das wäre der massivste Angriff auf Arbeitnehmer_innenrechte in der Zweiten Republik. Abzuwarten bleibt, ob die Neos der Steigbügelhalter der schwarz-blauen Koalition werden und durch die Schwächung einer starken Stimme für Arbeitnehmer_innen anderen neoliberalen Einschnitten Tür und Tor öffnen.
Was tun? Im Jahr 2000 war der Start von Schwarz-Blau von massiven Protesten begleitet, die 2003 in den politischen Streiks gegen die Pensionskürzungen ihren Höhepunkt fanden. Zweifelhaft ist, ob die Zivilgesellschaft noch einmal eine solche Widerstandsbewegung auf die Beine stellen kann, die viele Aktivist_innen ins politische Burn-out trieb. Angesichts der drohenden Kürzungen im Sozialbereich, die Frauen besonders hart treffen werden, und dem Erstarken reaktionärer, deutschnationaler Kräfte wird es jedenfalls eine laute, feministische Bewegung brauchen. So eine Bewegung muss die Gemeinsamkeiten vor das Trennende stellen – ohne unterschiedliche Betroffenheiten dabei unsichtbar zu machen. Dieser Aushandlungsprozess wird eine große Herausforderung – aber er wird notwendig sein, um die schlimmsten Angriffe auf die 95 Prozent zu verhindern, die uns mit dem autoritär-neoliberalen Umbau der Republik ins Haus stehen.
Hanna Lichtenberger ist Lektorin für Internationale Politische Ökonomie am Institut für Politikwissenschaft und parlamentarische Mitarbeiterin einer SPÖ-Abgeordneten.
1 Kommentar zu „Feministinnen gehen, Burschenschafter kommen“
Bezüglich des “Rauswurfs” der Grünen: Es gab keinen “Alleingang” von Peter Pilz – er ist von den Delegierten auf keinen Listenplatz gewählt worden. Das war deren freie Entscheidung und Pilz hat die Konsequenz gezogen. Das war sicher der größte Fehler der Gründen und hat die meisten Stimmen gekostet. Die “jungen Grünen” waren letztlich nur ein paar hundert Kasperln ohne Wähler wie man dann auch am Ergebnis der KPÖ gesehen hat. Das Grundproblem war wohl dass viele im grünen Klub mehr damit beschäftigt waren gegen Pilz zu intrigieren (Stichwort “Schatzi”) als irgendetwas Vernünftiges zu leisten mit dem man Wähler ansprechen könnte.