Weibliche Figuren im Bühnenkanon sind sexualisiert, sprechen wenig und müssen meist die Opferrolle bedienen. Doch #MeToo hat auch in der Theaterszene etwas verändert, sind die Schauspielerinnen BIRGIT STÖGER und KATHARINA KLAR überzeugt. KATHARINA FISCHER und ULLI KOCH haben mit ihnen über ihr neues Stück „Gutmenschen“ und die gesellschaftspolitische Dimension von Theater gesprochen.
Bereits 2015 hat sich die Regisseurin Yael Ronen in engagierter Ensemblearbeit in ihrer Inszenierung „Lost and Found“ mit dem Thema Flucht aus der Sicht von in Österreich lebenden und helfenden Menschen auseinandergesetzt. Zwei Jahre später kommt dieses Ensemble erneut zusammen. Der Anlass: Einer der Protagonisten des ersten Stücks, dessen Cousine Schauspielerin am Wiener Volkstheater ist, hat im realen Leben einen negativen Asylbescheid erhalten.
an.schläge: Warum ist ein Stück wie „Gutmenschen“ gerade jetzt so wichtig?
Katharina Klar: Weil es wichtig ist, auch als Theater Haltung zu zeigen. Wir haben das neulich beim Publikumsgespräch besprochen, dass es interessant ist, dass dieses Stück wie ein relativ radikales Statement daherkommt, wo es doch im Grunde nur ein Statement für die Umsetzung von Menschenrechten ist.
Birgit Stöger: Konkreter gesagt war es für uns notwendig, Stellung zu beziehen und einfach irgendwie mit der Situation umzugehen, dass das Asylgesuch von Yusuf abgelehnt wurde.
Ist es der Original-Asylbescheid, den ihr im Stück vorlest?
Stöger: Wir haben nur ein bisschen von der Absurdität verändert. Der ist eigentlich noch widersprüchlicher, das haben wir vereinfacht.
Klar: Wir haben auch die persönliche Geschichte weggelassen und nur das vorgelesen, was auch in jedem anderen Ablehnungsbescheid stehen könnte. Die Formulierungen sind sehr zynisch, es werden Normen gesetzt, wie eine Geschichte rübergebracht werden soll. Und was dann als glaubwürdig gilt.
Ihr erarbeitet mit Yael Ronen die Stücke selbst und es steckt auch viel Persönliches darin.
Stöger: Als wir das Stück geplant haben, hatten wir ein ganz anderes Thema vorgesehen – und dann war der Asylbescheid da.
Klar: Ronen verteilt immer kleine Aufgaben ans Team. Es ergeben sich auch Themen, die einer Figur zugewiesen werden.
Stöger: Und wir recherchieren dann.
Klar: Eine Aufgabe von Ronen war es zum Beispiel, die Klischees über „Gutmenschen“ zu sammeln. Oder zu überlegen, was rechte Leute in Österreich klischeemäßig sagen. Das haben wir zusammengetragen und es wurde relativ offenkundig, was gerade alles so im Raum schwebt.
Zum Beispiel gibt es bei den Figuren verschiedene Positionen, wie mit Menschen umzugehen sei, die eine rechte Haltung haben.
Stöger: Es gab zum einen die Probenarbeit und zum anderen gab es fast gleichwertig diese Überlegung, was wir konkret tun können.
Wie wird im Theater mit dem Thema Flucht umgegangen? Wie werden Personen mit Fluchterfahrungen repräsentiert?
Klar: Ich denke bei Yael Ronen ist die Gefahr eines elitären Zugangs zum Thema nicht allzu groß, da sie eine andere Perspektive hat und selbst nach Deutschland migriert ist. Yusuf ist ja kein Schauspieler, und das war für Yael auch klar. Es ist absurd, was für ein Akt es ist, eine Person ohne Asylstatus irgendwo arbeiten zu lassen, es war also gar nicht möglich, dass er sich selbst in größerem Ausmaß spielt. Außerdem wollte sie ihn nicht in die Lage bringen, das tun zu müssen. Wir haben aber drüber diskutiert, dass wir in dem Stück ständig über ihn reden und er selbst nicht zu Wort kommt. Doch die Figuren des Stücks haben eine konkrete Beziehung zu ihm, er ist im ganzen Stück spürbar. Und es geht ja auch darum, exemplarisch einen Fall zu zeigen, der für viele stehen kann.
Worin besteht für euch generell die gesellschaftspolitische Dimension von Theater?
Stöger: Die Geschichten, die erzählt werden, müssen sich verändern. „Gutmenschen“ ist da so ein einzelner, leuchtender Stern, aber sonst erzählen wir immer wieder die gleichen Geschichten. Wir hatten (im Rahmen des RRRiot Festival, Anm.) einen Abend namens „Die Spielplan“ in der Roten Bar, den die Regisseurin Berenice Hebenstreit mit uns gemacht hat.
Klar: Es ging dabei um die Quote von Regisseur_innen und Autor_innen an österreichischen Theatern. Es gibt auf der großen Bühne in einer Spielzeit Stücke von höchstens einer oder manchmal sogar gar keiner Autorin und eine oder zwei Regisseurinnen. Davon ausgehend haben wir mit verschiedenen Texten einen größeren Bogen gespannt, über die Situation von Frauen am Theater. Dadurch, dass an den Stadttheatern ewig dieser Klassikerkanon gespielt wird, ist es fad, was über Frauen erzählt wird.
Stöger: Fad und falsch. Wir haben den Bechdel-Test gemacht und sind damit einige Stücke durchgegangen. Viele bestehen ihn nicht. Wird etwas von Schnitzler vorgelesen, das den Test an sich besteht, reden Frauen aber über Kleidung oder lästern über eine dritte, nicht anwesende Frau.
Klar: Natürlich enthält ein hundert Jahre altes Stück ein hundert Jahre altes Frauenbild. Selbst wenn du versuchst, dagegen anzugehen oder es nicht zu reproduzieren. Ich kann das Gretchen total widerständig spielen, aber die Handlung ist ja trotzdem so, wie sie ist, und selbst wenn ich tausend Signale aussende, dass da eine starke, selbstbestimmte Frau steht, macht sie sich dann halt selbstbestimmt zum Opfer.
Stöger: Wir hatten noch einen anderen Abend mit Yael Ronen namens „Community“, bei dem ich aufgezählt habe, wie oft ich schon auf der Bühne vergewaltigt worden bin. Oder zumindest zu Boden geschmissen oder an den Haaren gezogen. Katha hat dann gesagt, ihre Rollen seien auf der Bühne ständig dabei, „Ja, ich liebe dich“ zu sagen und zuzuhören.
Klar: Das liegt auch daran, dass es immer wieder die gleichen Stoffe sind. Es ändert sich ja, aber langsam. Jede Stückentwicklung ist eine Chance, etwas erzählen zu können, was eine wirklich umtreibt. Das Theater kann politischer sein, wenn es sich aus der Gegenwart bedient, dann hat es auch automatisch mehr zur Gegenwart zu sagen und ist zwangsläufig politischer. Theater ist extrem politisch – einfach dadurch, wie Geschichten erzählt werden und was erzählt wird.
Warum wird das von den großen Bühnen nicht beherzigt?
Klar: Das hat damit zu tun, dass sich das Theater wie ein Wirtschaftsunternehmen verhält, das einen Markt bedienen muss. Es gibt halt eine starke Nachfrage nach den immer gleichen Sachen.
Stöger: Andererseits, wenn du diese immer bedienst, dann kommt das Publikum ja auch nicht auf den Gedanken, dass es anders interessanter sein könnte.
Lasst uns noch über #MeToo und den Burgtheater-Brief reden, in dem Ensemblemitglieder des Burgtheaters Machtmissbrauch, sexuelle Belästigung und Grenzüberschreitungen während der Intendanz von Matthias Hartmann angeprangert haben.
Stöger: Ich habe mich über den Brief sehr gefreut. Und ich kann den Vorwurf, dass er zu spät gekommen ist, nicht nachvollziehen. Ich kenne es selbst, dass eine auch erst später realisiert, was eigentlich passiert ist. Und die Sachen, die darin stehen, gehören einfach benannt.
Klar: Ich habe auch das Gefühl, dass #MeToo einiges geändert hat. Ich fühle mich dadurch auch bestärkt.
Stöger: Zu meiner Anfangszeit hat ein Regisseur mal zu mir gesagt, dass ich als verliebte Figur auf der Bühne „wie eine reife, feuchte Mango“ spielen soll. Solche Sachen würde sich heute niemand mehr trauen.