Eine neue Achse der Rechtspopulist_innen in der EU stellt europäische Grundwerte radikal infrage. Eine zukunftsfähige europäische Zusammenarbeit benötigt dringend linke Visionen. Von BERNADETTE SCHÖNANGERER
Seit 1. Juli hat Österreich die EU-Ratspräsidentschaft inne – für Kanzler Kurz eine weitere Gelegenheit, sich und seine „Achse der Willigen“ international in Szene zu setzen. Migrations- bzw. Asylpolitik dominiert nicht nur die Innenpolitik, sie hat sich zur drängendsten Frage europäischer Bündnispolitik entwickelt und hat dementsprechend Sprengkraft. Kurz, neuer Gegenspieler der deutschen Kanzlerin Angela Merkel, hat mit deren Innenminister Horst Seehofer und dem italienischen Innenminister Matteo Salvini von der rechtsextremen Lega seine wichtigsten Bündnispartner gefunden.
Nach einem gemeinsamen Treffen auf Einladung des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán mit Vertreter_innen der Visegrád-Staaten Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn erweiterte Kurz seine „Achse“ ausgerechnet um jene Länder, die sich seit Jahren der Aufnahme von Schutzsuchenden verweigern und geltende Vereinbarungen der EU-Asylpolitik de facto aussetzten. Gemeinsam ist ihnen allen eine autoritäre Politik der „starken Männer“, vom dynamischen Jungpolitiker bis zum väterlichen Beschützer, die vermeintlich im Alleingang endlich durchgreifen.
Rechtsextreme Parteien vernetzen sich derzeit bestens über die Institutionen der EU. Sebastian Kurz, der sich gerne als „Brückenbauer“ inszeniert, trägt im Namen des Zusammenhalts dazu bei, ihre Positionen zu legitimieren. Welche linken Perspektiven kann es angesichts dieses sich nun institutionalisierenden Rechtsrucks für die EU geben?
„Festung Europa“. Kurz möchte dafür sorgen, dass die EU-Außengrenzen endlich „ordentlich“ gesichert werden, dabei ist die kontinuierliche Aufrüstung und Militarisierung ihrer Außengrenzen eine Konstante in der Geschichte der Europäischen Union. Das Sterben an den Rändern der EU hängt unmittelbar mit der europäischen Integration und dem Schengen-Abkommen zusammen. Die Reisefreiheit und der Fall der Grenzen im Inneren wurden auf Kosten der immer stärkeren Abschottung nach außen vollzogen – und Tote dabei stets in Kauf genommen. Der ursprünglich aus dem Nationalsozialismus kommende Begriff der „Festung Europa“, der die Stärke des von der Achse beherrschten Kontinents im Kampf gegen die Alliierten ausdrücken sollte, wird seit den 1990er-Jahren von den Gegner_innen der europäischen Abschottungspolitik in kritischer Absicht verwendet. Lange Zeit bezogen sich lediglich rechtsextreme Gruppierungen wie Pegida oder die Identitären positiv-affirmativ auf die „Festung Europa“. Im Jahr 2015 war es schließlich die ehemalige österreichische Innenministerin und heutige Landeshauptfrau von Niederösterreich Johanna Mikl-Leitner, die sagte: „Wir müssen um Europa eine Festung bauen.“ Rechtsextreme Positionen, gestärkt durch die „konservativen“ europäischen Volksparteien, kommen immer mehr in der Mitte der Gesellschaft an. „Ich kann partout keinen großen Unterschied zwischen den Aussagen der Identitären und jenen von Kanzler Kurz sehen“, so verteidigte Bernhard Lehofer, Anwalt der rechtsextremen Gruppe, in einem Gespräch mit dem „Standard“ seine Mandant_innen, die in Graz vor Gericht standen.
Fragiles Friedensprojekt. Die mächtige Erzählung von der EU als Friedensprojekt und die Sorge über einen weiteren Aufstieg rechtsextremer Kräfte macht es vielen Menschen unmöglich, die EU grundlegend kritisch zu hinterfragen. Dabei ist gerade in der Flüchtlingspolitik die oft beschworene „europäische Lösung“, „die mehrheitsfähig und durchsetzbar ist, […] ein widerliches Grenzregime“, wie es der Politikwissenschaftler Andreas Novy in einem Beitrag im von Attac herausgegebenen Sammelband „Entzauberte Union” formuliert, in dem vermeintlich „europäische Werte“ wie Rechtsstaatlichkeit und Menschenwürde über Bord geworfen werden. Die Autor_innen des Buches plädieren für einen pragmatischen Umgang mit der EU dafür, Spielräume innerhalb der EU-Strukturen auszuloten und „strategischen Ungehorsam“ zu üben: So sollen einerseits die Spielregeln innerhalb der EU verändert und andererseits politisches Handeln auf der Ebene von Städten sowie Gemeinwesen und europäische Zusammenarbeit auch unabhängig von der EU gefördert werden.
Außenzonen. Die österreichische EU-Ratspräsidentschaft fokussiert unter dem Motto „Ein Europa, das schützt“ ganz auf das bewährte Thema Asyl/Migration. Als Prioritäten nennt Kurz die Stärkung des Subsidiaritätsprinzips und die Reform des EU-Budgets. Die EU solle sich lediglich „den großen Fragen“ widmen, sprich: vor allem der stärkeren Kontrolle der Außengrenzen. Ähnlich wie auf nationaler Ebene setzt sich Kurz dafür ein, die EU „schlanker und effizienter“ zu gestalten und sie noch stärker als bisher ganz auf die Bedürfnisse des Marktes auszurichten. Das Programm des österreichischen Ratsvorsitzes bleibt dabei frei von politischen Visionen mit Blick auf soziale Gerechtigkeit und gemeinsame Standards in der Umwelt- und Gleichstellungspolitik.
Im Interview mit Ö1 betonte Kurz, er wolle „Brückenbauer“ sein und dabei „nicht nur mit den Guten“ sprechen. Europa müsse die Grenzschutzagentur Frontex stärken und „härter gegen NGOs vorgehen“, die vermeintlich das Geschäft der Schlepper unterstützten. Beim EU-Asylgipfel im Juni habe man sich darauf verständigt, „Schutzzentren“ außerhalb Europas zu errichten. Der legale Zugang zu Asyl hingegen wird drastisch ausgehöhlt: Flüchtlinge sollen „nicht automatisch“ in Europa um Asyl ansuchen können.
Nach dem EU-Asylgipfel wurde der Testbetrieb sogenannter „Ausschiffungszentren“ beschlossen, in die gerettete Bootsflüchtlinge gebracht werden sollen. Dort können sie keinen Asylantrag in der EU stellen – was der Genfer Flüchtlingskonvention klar widerspricht. Die Ausdehnung europäischer Grenzregime in Nachbarstaaten und bis weit in den afrikanischen Kontinent hinein ist dabei keine neue Entwicklung. Christian Jakob und Simone Schlindwein legen dazu in ihrem Buch „Diktatoren als Türsteher Europas“ eine umfassende Recherche vor. Um Schutzsuchenden den Weg möglichst bereits abzuschneiden, bevor sie europäischen Boden erreichen, schließt die EU Deals mit failed states wie Libyen oder dem Sudan. Wenn von der „Bekämpfung der Fluchtursachen“ und „Hilfe vor Ort“ gesprochen wird, bedeutet dies in der Praxis zunehmend, dass Gelder der Entwicklungszusammenarbeit immer stärker an Grenzschutzmaßnahmen und an die Bereitschaft der Länder geknüpft werden, Rücknahmeabkommen für ihre aus der EU abgeschobenen Staatsbürger_innen zu unterzeichnen.
Seebrücken und solidarische Städte. Im Sommer 2018 schreitet indes die Kriminalisierung von Fluchthilfe und von NGOs, die sich in der Seenotrettung engagieren, immer weiter voran. In Mainstream-Medien wird nicht diskutiert wie, sondern ob (!) Menschen vor dem Ertrinken gerettet werden sollen. Rettungsschiffe von Organisationen wie Sea-Watch oder Lifeline werden am Auslaufen gehindert oder dürfen nicht in europäischen Häfen anlegen. Angelehnt an das Konzept der Sanctuary Cities in den USA erklärt sich nun ein Netzwerk sogenannter „Solidarity Cities“, darunter Städte wie Athen, Barcelona und Zürich, bereit, Schutzsuchende aufzunehmen. Zwar können Städte die Aufnahme von Asylwerber_innen nicht ohne die Zustimmung der nationalen Regierungen entscheiden, aber sie haben Handlungsspielräume, ihre Beihilfe zu Abschiebungen zu verweigern und Menschen unabhängig von ihrem Aufenthaltstitel Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung oder kulturellen Angeboten zu ermöglichen. Im Juli gab es in vielen deutschen Städten Proteste gegen die Politik der Abschottung („Seebrücke statt Seehofer“), unter dem Motto #ausgehetzt gingen in München Zehntausende gegen die CSU und die Verrohung der Sprache in der Asylpolitik auf die Straße. Auch in Österreich wird nun über die Aktion „Seebrücke – schafft sichere Häfen“ dafür mobilisiert, Solidarität und nicht den Grenzschutz zu stärken. Angesichts dramatisch steigender Todeszahlen im Mittelmeer und der deutlichen Verrohung der öffentlichen Debatte, die diese Toten hinnimmt, wenn nicht sogar feiert, während gleichzeitig rechtsnationale bis rechtsextreme Bündnisse immer stärker werden, ist es dringend an der Zeit für solidarische und zukunftsorientierte Gegenentwürfe einer europäischen Zusammenarbeit. Im Licht der internationalen Aufmerksamkeit für die österreichische EURatspräsidentschaft bieten im Herbst der EU-Flüchtlingsgipfel in Wien und der informelle EU-Gipfel am 20. September besonders gute Anlässe, Widerstand gegen die tödliche Abschottungspolitik zu zeigen.
Bernadette Schönangerer ist Redakteurin der Zeitschrift „MALMOE“.