Der Verein POIKA betreibt in und außerhalb von Schulen gendersensible Bubenarbeit. VINA YUN sprach mit den „Poikaistas“ PHILIPP LEEB und EMANUEL DANESCH über die Herausforderung, sich von patriarchalen Männlichkeitsbildern zu lösen.
an.schläge: im deutschsprachigen Feuilleton ist vor kurzem eine Debatte über die neuen „Schmerzensmänner“ aufgeflammt. Dabei wird immer wieder darüber geklagt, dass Männer heutzutage in der Krise seien. Findet denn aus eurer Sicht tatsächlich eine Erosion von Männlichkeit statt?
Philipp Leeb: Ich Finde es interessant, dass Männer immer dann eine Krise haben sollen, wenn das Patriarchat in Gefahr ist. Wovor sollen wir Männer Angst haben? Jegliche Abkehr von patriarchalen Strukturen kann nur ein Gewinn sein. Nicht nur Frauen profitieren davon, sondern auch all jene Männer, die in der Hegemonie keinen Platz haben. Und genauso alle Kinder, um etwas freier von Geschlechternormen entspannt aufwachsen zu können.
Emanuel Danesch: Das Problem, das ich bei dieser Debatte sehe, ist, dass sie wieder nur von zwei Männlichkeitstypen ausgeht: vom Macho und vom sogenannten Softie. Der Artikel von Nina Pauer in der Wochenzeitung „Die Zeit“, den du ansprichst, ist ein nicht besonders reflektierter, aber unterhaltsamer Versuch, dem Problem der „alternativen Männlichkeiten“ auf den Grund zu gehen. Ich persönlich kann dieser Panik und der Rede von einer Krise der Männlichkeit wenig abgewinnen außer, dass ein Diskurs gehalten wird, der aber an sich schon problematisch ist, weil damit die Gefahr einer Remaskulinisierung, also ein Rückgriff auf traditionelle Männlichkeitsmodelle, einhergeht.
Eine Erosion der Männlichkeit kann ich so gesehen nur begrüßen, weil damit auch Platz für alternative Männlichkeitskonstruktionen gemacht wird. Ich verstehe zwar die Angst vieler Männer, wenn sie zusehen müssen, wie ein Teil ihrer patriarchalen Identität flöten geht, aber die Formen des Zusammenlebens verändern sich nun einmal.
Von welcher Männlichkeit ist hier eigentlich die Rede?
Leeb: Es gibt nicht nur eine Männlichkeit, sondern eine Vielzahl …
Danesch: Von Männlichkeiten, die nicht mehr in tradierten Rollenbildern Anerkennung finden können. Von emanzipatorischen Männlichkeiten, die nicht mehr mit obsolet werdenden Attributen punkten wollen. Von Männlichkeiten, die sich von „der Männlichkeit“ emanzipieren. Emanzipation ist, wie wir wissen, ein Prozess, der nicht von heute auf morgen passiert. Ich finde es sehr spannend, die Diskussion um die „Schmerzensmänner“ zu verfolgen, weil sich daran sehr schön ablesen lässt, wo die Probleme eines Veränderungsprozesses in Richtung eines emanzipierten Zusammenlebens liegen.
Der Verein Poika steht für emanzipatorische Bubenarbeit. Was ist darunter zu verstehen, auf welchen Prinzipien beruht diese?
Leeb: Poika steht für gendersensible Bubenarbeit, die durchaus emanzipatorischen Charakter haben kann. „Haltungen“ finde ich ein weniger strenges Wort als „Prinzipien“. Unsere Haltung in den Workshops mit Jungs ist eine offene und respektierende. In Gesprächen erkunden wir ihre Lebenswirklichkeit: Was erleben sie als Burschen in der Gruppe? Wie ist ihr Kontakt mit Mädchen? Welche Sanktionen begegnen ihnen in ihrem Alltag? Wo fühlen sie sich unfair behandelt? Als junger Bursch wäre ich froh gewesen, wenn ich die Gelegenheit bekommen hätte, dass mir ein Mann zuhört und sich auch ehrlich für mich interessiert.
Danesch: Emanzipatorisch bedeutet, Möglichkeiten anzubieten, um Prozesse der Loslösung von verkrampften Rollenbildern und ihren Ausdrucks- und Denkarten zu unterstützen. Raewyn Connells Modell der „hegemonialen Männlichkeit“ beschreibt sehr gut, warum es so schwer ist, sich als Mann von alten Rollenbildern zu lösen. Es ist im Prinzip und vereinfacht gesagt wie bei der Mafia: Es gibt eine Übereinkunft, welche Art der Männlichkeit das Sagen hat, und diese hat ihre Unterstützer und Mitläufer. Wer sich nicht dem Diktat einer heteronormativen Chefmännlichkeit fügt, wird – und das ist systemimmanent – sofort bewusst oder unbewusst von seinen männlichen und weiblichen Kolleg_innen sanktioniert. Es handelt sich also um ein sich selbst erhaltendes System, das schwer zu durchbrechen ist.
Die Tätigkeiten unseres Vereins umfassen die Bereiche Gewalt(-prävention), Sexualität, Berufsorientierung, Vaterschaft und Medien. In diesen Bereichen arbeiten wir an Schulen, in Jugendzentren, in der Erwachsenenbildung und auch in Frauenhäusern daran, erfahrbar zu machen, dass es nicht mit Angst verbunden sein muss, neue Sichtweisen auf ein Mannsein zu entwickeln und neue Wege zu gehen.
Wie wird euer Angebot angenommen?
Leeb: Den meisten Jungs machen die Workshops Spaß, und viele wünschen sich ein Follow Up. Natürlich gibt’s auch manchmal Bröseln, wenn die Gruppe überhaupt keine Mitte hat und ständig geflucht und gerempelt wird. Da können wir nichts ausrichten, das ist ein Problem der Gruppenbildung innerhalb von Schulen. Im Großen und Ganzen aber sind die Jungs ganz lieb und kämpfen halt mit den Rollenerwartungen von innen und außen. Das ist nicht leicht. Mädchen geht es da überhaupt nicht anders.
Danesch: Unsere Arbeit wird, abgesehen von einigen Angsthasen des rechten Randes, durchwegs positiv angenommen. Es bedarf einer eingehenden Auseinandersetzung und auch einer Offenheit, um Neues in sich zu entdecken, aber wir machen oft sehr gute Erfahrungen.
Die Rede vom „neuen Mann“ wird derzeit vor allem als Opferdiskurs geführt – da geht es etwa um die „entsorgten“ Väter oder Jungs als die neuen „Bildungsverlierer“. obwohl die Männerbewegung der 1970er Jahre einem emanzipatorischen Gedanken entsprungen ist, tummeln sich heute zahlreiche Männeraktivisten und -forscher im Umfeld rechter Maskulinisten, die erfolgreich lobbyieren und den medialen Diskurs bestimmen. Wie sehen hier die Interventionen linker, pro-feministischer Männer aus?
Leeb: Die „Männerbewegung“ ist immer noch sehr klein. Die Zahl der Männer, die versuchen, sich von herkömmlichen Rollenbildern zu emanzipieren, wird dagegen stets größer. Natürlich gibt es nicht wenige Männeraktivisten; die aber einer „Männerbewegung“ zuzuschreiben, Finde ich seltsam, da ihre ganze Energie in die entgegengesetzte Richtung geht. Die einzige Männerforschung, die seriös ist, ist die kritische Männerforschung, die sich eben auch mit Gender- und Queer-Theorien beschäftigt. Herrschende Diskurse werden natürlich von seltsamen Protagonist_innen aus konservativen Kreisen dominiert, da sie mit ihren „Erziehungsratgebern“ gern und schnell Zuschreibungen am Geschlecht festmachen. Bis auf wenige Ausnahmen in der Erziehungsliteratur besteht der Eintopf Buben aus Fußball spielenden, raufenden, machtorientierten und triebgesteuerten Kreaturen. Ich sehe diese Buben auch, aber gar nicht so häufig, wie das Werbungen und Gazetten ständig suggerieren. In unseren Workshops gibt es natürlich übergriffige Jungs, aber auch intellektuelle, verschlossene, fröhliche, interessierte und reflektierte Burschen.
Unsere Interventionen sind unsere Arbeit und unsere Haltung. Besser, als etwa ein Buch zu schreiben, finde ich nachhaltige Gespräche mit den Menschen meiner Umgebung und den Leuten, mit denen wir arbeiten. Das führt gar nicht selten zu Umdenkprozessen.
Danesch: Es stimmt schon, dass es im rechten Lager rumort und die Angstmaschine angelaufen bzw. nie ausgelaufen ist. Aber wir sind guter Dinge, weil die Notwendigkeit einer Veränderung nicht mehr wegzuleugnen ist und es glücklicherweise zunehmend mehr Männer und Frauen gibt, die das ähnlich sehen.
Mir scheint, dass die (rhetorische) Distanzierung von bestimmten Männlichkeitsbildern zunehmend als klassenspezifische Distinktion funktioniert: gewaltbereit und traditionellen Rollenbildern verhaftet – das wird aktuell insbesondere Männern mit Migrationshintergrund und aus „bildungsfernen“ Schichten angelastet. Demnach beinhaltet die Kritik an „hegemonialer Männlichkeit“ nicht nur die Auseinandersetzung mit Geschlechterverhältnissen …
Leeb: Stimmt, wenn ein österreichischer Mann seine Familie ausradiert, wird das „Familiendrama“ genannt. Ein türkischer Mann begeht „Blutrache“. Die Hintergründe sind nicht immer ganz unähnlich. Das sollte uns sehr wohl zu denken geben. Ich finde den Begriff „gewaltbereit“ auch recht furchteinflößend, da müsste ich in jeder Schulklasse Angst haben, weil solche Jungs gibt es ja angeblich überall. Ich kann den Umstand nicht leugnen, ein biologischer Mann zu sein. Die Zuschreibungen, die mir begegnen, beziehen sich recht schnell auf mein Äußeres. Ein Beispiel: Wenn ich mit meinen Kindern unterwegs bin, gelte ich als liebevoller und sorgender Vater. Würde ich äußerlich als Frau identifiziert werden, würde ich in derselben Rolle wahrscheinlich nicht einmal auffallen.
Welche Rolle spielen soziale und andere Herkünfte in eurer Praxis mit den Jungs?
Leeb: Für mich keine. Wenn mich einer nicht gut versteht, muss ich Rücksicht nehmen.
Danesch: Es ist zwar mit einer gewissen Herausforderung verbunden, die Lebenswelten der jungen Männer generell und ganz unabhängig ihres sozialen Hintergrundes zu verstehen, aber die Jugendlichen lehren uns sehr viel. Es ist ja nicht so, dass die jungen Männer nichts zu sagen hätten, ganz im Gegenteil, sie gestalten ihre Lebenswelt aktiv mit.
Was bedeutet denn Männlichkeit bzw. Mannsein für euch persönlich?
Leeb: Dass ich biologisch ein Mann bin. Meine Geschlechtsidentität bekommt jedoch mehr Raum.
Danesch: Die Frage sollte eher lauten: Was nicht?
Philipp Leeb ist Obmann des Vereins Poika und u.a. als Portalbetreuer für Gender und Bildung beim Unterrichtsministerium tätig.
Emanuel Danesch arbeitet u.a. als Filmemacher, ist Vorstandsmitglied und Trainer zu gendersensibler Bubenarbeit bei Poika sowie als Vorstandsmitglied beim Verein EXIT in unterschiedlichen Projekten gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution aktiv.