Ob Unibrow, Achsel- oder Beinhaar: Trotz jahrzehntelanger feministischer Fürsprache und Bodypositivity bis in die Gilette-Werbung ist beim Kampf mit den Körperhaaren kein Ende in Sicht. Von Sam Osborn und Julia Proksch
Augenbrauen, Achseln, Beine, Bart. Wie viele unterschiedliche Phasen ich mit meinen Körperhaaren schon durchgemacht habe, kann ich gar nicht mehr sagen. Ich habe relativ jung Körperbehaarung bekommen, aber erst relativ spät begonnen, sie zu entfernen. Mit dem Rasierer (pink, Einweg) konnte ich nie gut umgehen, ich verwendete ihn dennoch jahrelang. Mit der Pinzette schaffte ich es gerade mal, meine Unibrow zu trennen. Bald folgte die feministische Politisierung und alles spross wieder. Ich mochte die Pflegeleichtigkeit des Nichtrasierens, gleichzeitig ging damit ein gewisses Unbehagen einher: Finde ich mich selber noch schön mit behaarten Beinen, oder ist es nur ein politisches Statement?
Dann die selektive Entfernung, Achseln mal ja, mal nein, Beine nein, Augenbrauen jein, Bart gab’s noch nicht. Die Jahre vergehen, ich beschäftige mich wenig damit, in meinem Umfeld wird Körperbehaarung kaum mehr thematisiert, die meisten haben für sich einen guten Umgang gefunden – keineswegs alle den gleichen.
Erst mit meinem trans*Outing sind sie plötzlich wieder Thema, die alten Körperhaare. Als ich anfange, Hormone zu nehmen, werden meine Beinhaare länger und dichter. Langsam wächst auch mein Bart, zum ersten Mal seit Langem greife ich wieder zum Rasierer (schwarz, elektrisch). Plötzlich ist alles umgekehrt. Kann ich meine Haare am Bein jetzt mehr lieben, weil mich niemand mehr schief anschaut? Möchte ich jetzt erst recht meine Augenbrauen zupfen (lassen), um mit hegemonialer Männlichkeit zu brechen? Was passiert, wenn ich plötzlich mit Behaarung an Stellen zu kämpfen habe, die ich glatt viel lieber mochte?
Und dann auch noch die Wechselwirkungen! Während die Haare am ganzen Körper plötzlich auftauchen, verabschieden sich die dichten Locken auf dem Kopf. Höre ich mit dem Testo auf, kann ich den Haarverlust aufhalten, aber der Bart wird nie dichter, die Menstruation setzt wieder ein. Jetzt steht also meine Eitelkeit meiner Genderdysphorie gegenüber – in einem Kampf ohne Gewinnerin.
Sam Osborn lässt sich gern die Kopfhaare von anderen schneiden und kann es – trotz Lockdowns – leider immer noch nicht selber.
Jede soll und darf mit dem eigenen Körper und den Haaren machen, was sie möchte. Das zumindest gaukelt uns inzwischen die Werbung vor.
Selbst Kosmetikgroßkonzerne erfinden derzeit den Feminismus neu und rufen die Autonomie von Frauen bei den Schönheitsstandards aus. Auch in den Sozialen Medien präsentiert frau ihr Haar immer häufiger in schönster Natürlichkeit – niedliche, feine, blonde Härchen, die sich wie leichter Teint unter die Achsel schmiegen. Meine Körperbehaarung sah mit zwölf schon wilder aus. Dunkel, lang, dicht. Überall kamen sie hervorgeschossen. Meine Sozialisation ließ mir keine Wahl, schnell musste der Rasierer her. Ich merkte allerdings bald: Erstens macht mir das keinen Spaß, vor allem weil, zweitens, nach zwei Tagen alles wiederkommt. Ich will doch nicht viermal die Woche eine halbe Stunde in der Badewanne sitzen und mit meinen Beinhaaren kämpfen!
In der Fernsehwerbung sitzen sie auf der Kante der Badewanne (wie unbequem!) und rasieren ihre pfirsichfarbenen Beine, die allerdings paradoxerweise auch vor der Rasur schon superglatt und haarlos sind.
Diese Werbungen sind weiterhin die Norm, wohlgeformte schlanke Beine, glatt und lang und kein Ende in Sicht. Kein Wunder also, dass rund 98 Prozent der Frauen sich weiterhin rasieren – es wird einfach erwartet. Das machen die Blicke auf der Straße unmissverständlich deutlich, die Kommentare von Verwandten oder die Tinder-Dates, mit denen man sofort eine feministische Grundsatzdebatte führen muss.
Ich habe eigentlich keine Lust, meine kostbare Lebenszeit in die Sisyphusarbeit der Haarentfernung zu stecken. Aber jetzt ist es Sommer, es hat 35 Grad und ich bin zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen. Ich trage mein luftiges Schlabberkleid, in dem ich am liebsten den ganzen Sommer verbringen möchte, aber es reicht mir nur bis zu den Knien – darunter der Urwald.
Trotz zahlloser Empowerment-Gespräche mit meinen Freund:innen fühle ich mich al naturelle noch immer nicht wohl. Vor allem nicht beim Kellnern in hohen Schuhen und im kurzen Rock, wenn ich so die High Society mit unrasierten Beinen zum Tisch führen müsste. Nach all den Jahren und Auseinandersetzungen: Es bleibt ein haariges Thema.
Julia Proksch mag rasieren genauso wenig wie blöde Blicke.