Wir müssen nur kurz das Patriarchat zerstören. Ein Kommentar von Marty Huber
Was ist eine Frau? Was ist ein Mann? Gibt es nur zwei Geschlechter und wer braucht Schutz vor wem? So die heftig debattierten Fragen der letzten Monate. Dabei geht es jedoch nicht um eine „Debatte“, sondern um Menschenleben, auf deren Rücken politisches Kleingeld gemacht werden soll. Es werden Ängste geschürt, Falschmeldungen mit verzerrten Statistiken belegt und das Ende von „Frauen“ postuliert. In schon lange nicht mehr dagewesener Intensität wird unter dem Deckmantel des Gewalt- und des Jugendschutzes essenzialistische Politik betrieben, die viele von uns schon von vor Jahrzehnten kennen und überwunden glaubten. Alte Vorwürfe werden neu hochgekocht: Jugendliche werden zu einem queeren Leben „verführt“ und cis Männer dringen in Frauenräume ein, indem sie sich als Frauen verkleiden.
Wenn wir den Feminismus weniger als Welle, sondern als Schraube begreifen, dann ist es kaum verwunderlich, wenn wir immer wieder mal das Gefühl haben, uns beim Bohren harter Bretter zwar vorwärts, aber auch irgendwie im Kreis zu drehen. Eine Naturalisierung der Geschlechterverhältnisse steht also wieder hoch im Kurs. Nicht nur von „wertekonservativer“ Seite, sondern insbesondere durch – nicht nur, aber mehrheitlich – weiße Feministinnen. Wir kennen diese Diskussionen nur zu gut, wenn es um das Erringen von Reproduktionsrechten für lesbische Paare oder die Öffnung der Ehe ging: „Das hat die Natur, das hat Gott nicht so vorgesehen!“ Die Grundfeste der Macht ließen sich mit künstlicher Befruchtung erschüttern, das Ende der Männer würde eingeläutet.
Warum gibt es dieses Beharren auf der Determiniertheit durch Biologie? In diesem hegemonialen Kampf um die Geschlechterverhältnisse gibt es wohl kaum eine radikalere Attacke als die Änderung der Geschlechtsidentität. „Selbstbestimmung“ steht auf den Fahnen, wohl auch Befreiung von der Gefangenschaft der zugeschriebenen Rollen, eben jenen Vorstellungen, die Männer als Profiteure und Frauen als Opfer des Patriarchats verfestigen.
Ja, nicht jede Emanzipation spielt sich im Feld der Geschlechtsidentität ab und nicht jede trans Person ist per se Revolutionär:in. Aber jede:r dieser Grenzgänger:innen verweist auf die Möglichkeit des ultimativen Versagens einer Geschlechterdoktrin.
Für die einen bedeutet dies eine Infragestellung ihrer eigenen Kompliz:innenschaft mit den Verhältnissen, andere wiederum vermuten nur eine weitere Finte des Patriarchats. Manchen bereitet es Angst, andere sehen ihr wohlgenährtes Weltverklärungsmodell, mit dem sie sich gewisse Felle der Macht an Land gezogen haben, wieder davonschwimmen. So liegt der Verdacht nahe, dass es etwa Alice Schwarzer in der Trans-„Debatte“ mehr um Diskursmacht als um Solidarität geht. Da ist es einfacher, die Verhältnisse zu reproduzieren und trans Frauen als Invasor:innen in geschlechtersegregierte Räume zu bezeichnen oder trans Männer als misogyne Verräter, die sich der Pflicht zum Frausein entzogen hätten. Plötzlich treten cis „Feministen“ auf den Plan, die in ihrem Leben noch nie etwas für ein Frauenhaus getan haben, um trans Frauen den Zutritt dort verbieten zu wollen. Sonst schweigen sie, bei den Witzen, die gemacht werden, bei den Übergriffen im Büro.
Dabei ist die Gewalt durch die Geschlechterverhältnisse eine dermaßen umfassende, dass wir angesichts der Übergriffe auf trans Personen und allen, die nicht den gesellschaftlichen Normen entsprechen, innehalten und dem die Stirn bieten müssen, was uns alle kaputt macht.
Wir sollten trauern um die ermordeten Frauen, trauern um Malte, der in einer queerfeindlichen Attacke erschlagen wurde, weil er als trans Mann mit seiner anderen, fürsorglichen Männlichkeit für andere eingetreten ist. Trauern auch um Nuradi, dem Täter, der seine Maskulinität nur im Kampf bestätigt sieht?
Alle müssen vor dieser Gewalt des Patriarchats geschützt werden, insbesondere heranwachsende Jungs. Kein „Boys will be boys“ mehr, sondern viele Generationen zärtlicher, fürsorglicher Männlichkeit, die mehr Emotionen zur Verfügung hat als Wut oder Depression. Die Gefahr geht nicht von trans Personen aus, sondern von biologistischen, reaktionären Festschreibungen, von denen cis Jungs massiv betroffen sind. Die Existenz von trans Personen erinnert uns in fundamentaler Art und Weise daran, dass eine andere, nicht-patriarchale Maskulinität möglich ist.
Marty Huber wurde in queer-feministischen-antirassistischen Kontexten alphabetisiert und arbeitet bei Queer Base – Welcome & Support for LGBTIQ Refugees.