Unsere Finanz- und Wirtschaftsordnung ist nicht nur frauenfeindlich, sie ist zerstörerisch. ELISABETH KLATZER, Vorstandsmitglied von Attac, erklärt DENISE BEER, warum eine Abkehr von der neoliberalen Wirtschaftspolitik nicht nur Ungleichheit beenden, sondern sogar den Aufstieg der Rechten stoppen könnte.
an.schläge: Frauen besitzen nur ein Prozent des weltweiten Reichtums. Doch es wird behauptet, die Finanzkrise habe zu mehr Geschlechtergerechtigkeit beim Einkommen und Vermögen beigetragen, da Männer deutlich mehr verloren hätten (bzw. zu verlieren hatten). Stimmt das? Und sind Finanzkrisen generell etwas Männliches?
Elisabeth Klatzer: Die Finanzkrise war und ist männlich vor allem in dem Sinne, dass sie von Männern verursacht wurde. Immer wiederkehrende Finanzkrisen sind ein fester Bestandteil des finanzgetriebenen Kapitalismus, der eng verwoben ist mit unserem patriarchalen Herrschaftssystem. Ganz besonders deutlich wird das am Beispiel der „Finanzmärkte“: Hier ist ein System entstanden, das mittlerweile eine große Bedrohung für unsere Gesellschaften darstellt. Männer waren zwar in der ersten Zeit nach der großen Finanzkrise verstärkt vom Verlust von Arbeitsplätzen betroffen. Ihnen wurde aber durch verschiedene politische Maßnahmen wie geförderte Kurzarbeit und Investitionsprogramme relativ rasch geholfen. Die längerfristigen Effekte hingegen gingen verstärkt zulasten von Frauen. Es gab viele Kürzungsmaßnahmen des Staates in Bereichen, wo besonders viele Frauen beschäftigt sind, wie Soziales, Bildung und Gesundheit. Außerdem wurde Frauen gesellschaftlich oft die Rolle als „Air Bags“ der Krise zugeteilt: Sie müssen sozialstaatliche Kürzungen im privaten Bereich, vor allem durch unbezahlte Arbeit, auffangen und ausgleichen.
Welche Auswirkungen hat das auf unser demokratisches System?
Das Finanzsystem hebelt unsere demokratischen Errungenschaften aus: Einerseits über die Effekte der zunehmenden Verschuldung der Staaten und deren Abhängigkeit von der Finanzierung durch Finanzmärkte – übrigens eine der zentralen Fehlentwicklungen unseres Systems. Damit werden Regierungen erpressbar und demokratische Entscheidungen ausgehöhlt. Aber anstatt das System infrage zu stellen und politische Maßnahmen zur Eindämmung der Finanzmärkte zu setzen, wird uns erzählt, dass wir über unsere Verhältnisse gelebt haben und drastische „Sparmaßnahmen“ nötig sind.
Andererseits kann über den Mechanismus der Rating Agenturen unliebsame Regierungspolitik sanktioniert werden, indem sie das Rating herabsetzen – dabei sind das private Unternehmen! Auch diese Entdemokratisierung hat eine starke geschlechterpolitische Dimension: Während Frauen sich endlich ein wenig Einfluss in Parlamenten und Regierungen errungen haben, entschwindet deren Macht zugunsten des Finanzsystems und transnationaler Konzerne, die fest in Männerhand sind.
Wie könnte der Reichtum gerechter verteilt werden? Sollte der freie Kapitalverkehr abgeschafft werden?
Es ist ganz wesentlich, nicht nur darauf zu schauen, wie die aberwitzig hohen Profite des Finanzsektors und der Konzerne verteilt werden, sondern das System an und für sich zu ändern. Die Einschränkung des freien Kapitalverkehrs gehört dazu. Nur so wäre progressive Politik möglich. Aber auch die Schließung der Steuersümpfe ist ein wesentliches Element, um mehr Gerechtigkeit bei der Finanzierung des öffentlichen Sektors zu erlangen. Die Spekulation muss eingedämmt werden, eine Besteuerung aller Finanztransaktionen wäre ein erster Schritt. Während die EU bei der Kürzung öffentlicher Haushalte rasch für ganz Europa strikte Regeln eingeführt hat, wird die Finanztransaktionssteuer von Jahr zu Jahr verschoben. Und ein weiterer Punkt: Wenn schon jemand spekulieren will, dann nur mit dem eigenen Geld. Und es ist ein Armutszeichen unseres Systems sondergleichen, dass Vermögens- und Kapitaleinkommenssteuern nicht schon lange umgesetzt sind.
Ist es eine grundsätzliche Forderung der feministischen Ökonomie, dass das derzeitige Finanzsystem umgebaut wird?
Ein wesentlicher Ausgangspunkt der Feministischen Ökonomie liegt darin, Wirtschaft ganz anders zu sehen. Im Mittelpunkt steht das, was in der traditionellen Ökonomie im Dunkeln liegt: nämlich, dass ein zentraler Pfeiler jeglichen Wirtschaftens die „Produktion“ von Leben ist. Jeder Mensch ist von Sorgearbeit und Pflege abhängig, besonders während der Kindheit, im Alter und während einer Krankheit. Diese Arbeit wird großteils von Frauen, unbezahlt oder unterbezahlt, geleistet. Sie muss sichtbar gemacht und aufgewertet, umverteilt und ins Zentrum wirtschaftlichen Handelns gestellt werden. Daraus ergibt sich logischerweise, dass dies nicht mit dem derzeitigen, ausbeuterischen und zerstörerischen Finanz- und Wirtschaftssystem vereinbar ist. Wir müssen endlich zur Kenntnis nehmen, dass diese Wirtschaft buchstäblich tötet, dass sie Natur und Menschen ausbeutet und zerstört. Und all das, um die Profite und den Reichtum von einigen wenigen ins Unermessliche zu steigern.
Wie könnten wir das Finanz- und Wirtschaftssystem verändern?
Wir müssen an vielen Ecken anfangen, um ein Wirtschaftssystem zu bauen, in dem das „gute Leben für alle“ im Zentrum steht. Ein wesentlicher Ankerpunkt ist es, die Herrschaftliche Arbeitsteilung grundlegend zu verändern. Frigga Haug schlägt ein Leben im 4/4-Takt vor: Alle Menschen widmen sich den vier zentralen Bereichen gleichermaßen – Erwerbsarbeit, Sorge um das Leben, Muße und Arbeit an der eigenen Entwicklung sowie politischen Tätigkeiten. Das beinhaltet das Potenzial, die gegenwärtige Unterordnung von Frauen und die Abwertung ihrer Tätigkeiten aufzulösen. Und wirkt emanzipatorisch für alle.
Außerdem sollte das Finanzsystem nicht gewinnorientiert, sondern gemeinwohlorientiert arbeiten. Das Finanzkasino muss geschlossen werden. Die wesentlichen gesellschaftlichen Bereiche werden außerhalb von Finanzmärkten organisiert, so zum Beispiel auch die Finanzierung des öffentlichen Sektors. Und auch die Geldpolitik sowie Zentralbanken als zentrale Akteure des Finanzsektors werden demokratisch kontrolliert und unterliegen dem Ziel des guten Lebens für alle.
Ein Problem ist auch, dass „die Öffentlichkeit“ allzu vergesslich ist. Die Auswirkungen der großen Finanzkrise sind noch allgegenwärtig, verschlimmert durch die falschen wirtschaftspolitischen Rezepte. Aber die Krisenverursacher sitzen fester im Sattel als zuvor. Die Finanzindustrie und die Politik sind eng verbandelt: Nicht nur in den USA sind jetzt Finanzmanager an den Hebeln der Macht, auch innerhalb der EU.
Mehr denn je müssen wir Widerstand leisten und für emanzipatorische Alternativen kämpfen! Die weltweiten Aktionstage #TaxJustice for Women’s Rights sind ein aktuelles Beispiel.
Ein Bereich der Finanzwelt, in dem vermehrt über Geschlecht diskutiert wird, ist der Bereich der Mikrokredite. Diese werden bevorzugt an Frauen vergeben. Welche Auswirkungen hat das?
Mikrokredite wurden lange Zeit als Auswege aus der Armut gehypt. Besonders jene an Frauen werden als das „Wundermittel“ zum „Empowerment“ von Frauen gepriesen. Ein genauerer Blick zeigt allerdings, dass Mikrokredite ein Instrument sind, um Frauen in die neoliberale Wirtschaft einzubinden und ein gutes Geschäft auf Kosten der Ärmsten zu machen – denn die Kredite werden regelmäßig zu schlechten Bedingungen, vor allem sehr hohen Zinsen vergeben. Oft geht damit einher, dass ein ärmliches Stück Land aufgegeben wird, das zumindest schlecht und recht die Ernährung sicherte. Die Frauen wechseln nun in den Dienstleistungssektor, zu schlechtesten Bedingungen und mit noch größerer Abhängigkeit. Die Schuldenfalle lauert. Gleichzeitig hat sich gezeigt, dass angesichts bestehender patriarchaler Strukturen Ungleichheiten durch Mikrokredite noch vergrößert werden können. Männer nutzen das Geld der Frauen oder zahlen nicht mehr ihren Beitrag, beispielweise für das Schulgeld der Kinder. Eine profitable Beruhigungspille – was will der neoliberale Kapitalismus mehr?
Neoliberale Wirtschaftspolitik wird auch immer wieder mit dem Aufstieg der (extremen) Rechten und dem Erstarken reaktionärer Frauenbilder verknüpft.
Ja, wir sehen deutlich, dass diese neoliberale Wirtschaftspolitik im Interesse der Konzerne und Finanzwirtschaft die Spaltung der Gesellschaft vorantreibt. Parallelen zu den 1930er-Jahren sind erschreckend. Reiche werden immer reicher und der Rest der Gesellschaft hat mit immer größeren Problemen zu kämpfen. Diese Situation nutzen rechte und rechtsextreme Parteien, um Feindbilder aufzubauen. Gefühle der Unsicherheit und Angst vor der Zukunft werden bewusst geschürt. Gleichstellungspolitik wird gezielt delegitimiert, denken wir nur an den Begriff „Genderwahn“. Wir wissen, dass Männer viel anfälliger als Frauen für die rechte Propaganda sind. Der wirtschaftspolitische Kurs der FPÖ ist einer, der perfekt mit neoliberalen Konzepten zusammenpasst. Die Regierung unter Schwarz-Blau hat diesbezüglich gut harmoniert. Eine Abkehr von der neoliberalen Wirtschaftspolitik wäre ein ganz wichtiges Element im Kampf gegen den Rechtsruck. Solidarische Wirtschaftspolitik, die auf die Verbesserung des Lebens aller ausgerichtet ist, würde den Rechten den Wind aus den Segeln nehmen.