Die Sparpolitik in Griechenland trifft Frauen erwartungsgemäß besonders stark – auf allen Ebenen. Unlängst verkündete die Regierung, dass sie nun auch noch die Einsparung des eigenständigen Gleichstellungssekretariats plane. GABI HORAK befragte zwei Expertinnen zur Situation in ihrem Land: MARIA MARINAKOU, Sozialexpertin beim Europäischen Armutsnetzwerk, und ANNA VOUYIOUKAS vom Zentrum für Forschung und Frauenfragen DIOTIMA.
Griechenland ist im Ausnahmezustand. Das Land muss sparen, sagt die EU. Das Land spart: an sozialen Leistungen, an Löhnen, an Chancen und Chancengleichheit. So beträgt das Arbeitslosengeld für alle – unabhängig vom bisherigen Einkommen – 360 Euro, und auch das läuft nach einem Jahr aus. Danach gibt es keine staatliche Unterstützung mehr. Das reale Durchschnittseinkommen ist zwischen 2010 und 2012 um 45 Prozent gesunken. Gespart wird überall, nicht zuletzt auch im Gesundheitssystem. Was bedeutet das alles für Frauen? Wir baten Expertinnen vor Ort, Maria Marinakou und Anna Vouyioukas, gemeinsam einige Fragen via E-Mail zu beantworten. Anfang März verschärfte sich die ohnehin schon angespannte Situation für Frauengleichstellung noch einmal: Die Regierung plant die Einsparung des eigenständigen Generalsekretariats für Geschlechtergerechtigkeit, was einem Kahlschlag der Förderung und Umsetzung von Frauenfördermaßnahmen gleichkommt.
an.schläge: Wie ist angesichts der aktuellen schwierigen Lebensbedingungen die Stimmung in Griechenland, speziell unter Frauen und jungen Griechinnen?
Maria Marinakou/Anna Vouyioukas: Es ist deprimierend. Frauen haben im Vergleich zu Männern eine viel höhere Arbeitslosenrate, sie hat sich im Vergleich zur Zeit vor der Krise auf 28 Prozent verdoppelt. Das sind aber nur die offiziellen Zahlen, in Wirklichkeit wird sie also noch wesentlich höher sein. Noch wichtiger ist aber: Die Arbeitslosenrate bei jungen Frauen (15 bis 24 Jahre) liegt bei 61 Prozent! Jene der jungen Männer macht 47 Prozent aus. Diese hohe Rate bildet aber nicht nur Frauen ab, die ihren Job verloren haben. Sie erklärt sich auch dadurch, dass viele junge Frauen nun (erstmals) auf Jobsuche sind, um das Familien-einkommen aufzubessern. Das Modell des brötchenverdienenden Mannes verliert an Bedeutung. Ist es die Frau, die einen Job ergattert, dann erhält sie mit dem Einkommen oft die ganze Familie. Trotzdem: Die Arbeitslosenrate galoppiert generell, aber besonders bei Frauen, in die Höhe. Nur drei bis vier von zehn jungen Frauen finden einen Job. Und selbst wenn sie Arbeit haben: Die Löhne sind niedrig, die Arbeitszeiten schlecht, die Frauen arbeiten meist weit unter ihrer Qualifikation und in prekären Arbeitsverhältnissen. Besonders betroffen sind hier Migrantinnen, Alleinerziehende, Romni und ältere Frauen. Die Armut zwischen arbeitenden und arbeitslosen Menschen ist oft kaum mehr zu unterscheiden. Das alles ist deprimierend.
Wie haben sich der Arbeitsmarkt, die rechtlichen Bedingungen, konkret verändert?
In den vergangenen zwei Jahren hat es eine unglaubliche Zerstörung fundamentaler Arbeits- und Sozialrechte gegeben: Arbeitsbedingungen wurden „flexibilisiert“, der Staat hat in kollektivvertragliche Gehaltsverhandlungen – die bis dahin alleinige Sache von ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen waren – eingegriffen, um die Löhne niedrig zu halten. Das ganze kollektivvertagliche System steht kurz vor dem Kollaps. Das Arbeitsrecht an sich wurde von der Regierung infrage gestellt. Zuletzt haben sie sogar angedacht, das Streikrecht abzuschaffen!
Frauen finden in dieser kritischen Situation übrigens manchmal leichter Jobs als Männer. Sie scheinen mit dieser Situation besser zurecht zu kommen und finden schneller Übergangsjobs, natürlich prekär, als Reinigungsfrauen, Restaurant-Aushilfen, Verkäuferinnen, Call-Center-Mitarbeiterinnen etc. Das erinnert an die Strategie von Migrantinnen in Griechenland und überhaupt in Europa: Einfach irgendeinen Job suchen, um Zugang zum Arbeitsmarkt zu haben, selbst wenn dieser weit unter dem eigenen Bildungsniveau, den Erfahrungen und Fähigkeiten liegt. Deshalb gibt es heute viele junge Frauen, die zwei oder drei Tage in der Woche arbeiten gehen und dennoch keine Möglichkeit haben, sich ein selbstständiges Leben aufzubauen. Eine ganze Generation von WissenschaftlerInnen, TechnikerInnen, ÄrztInnen, SozialarbeiterInnen, ArchitektInnen etc. wird ohne Zukunft zurückgelassen. Und dabei geht es nicht nur darum, einen angemessenen Job zu haben. Es geht auch um Zugang zu Sozialleistungen, Gesundheit, Kultur, Sport.
Gibt es ein Auskommen mit dem Einkommen? Und wie hat sich die Situation von Frauen verändert, was Frauenrechte generell betrifft?
Die Situation für Frauen auf dem Arbeitsmarkt war schon vor der Krise nicht zufriedenstellend. Einsparungen und steuerliche Verschlechterungen haben das nur noch viel schlimmer gemacht. Viele wichtige Fortschritte der vergangenen dreißig Jahre wurden zunichte gemacht. 2009 hatte die Erwerbsquote bei Frauen bereits 49 Prozent erreicht. 2011 waren wir bei 45 Prozent und damit auch weit unter dem EU27-Durchschnitt von 59 Prozent Frauenerwerbsquote. Alarmierend ist neben den vielen prekären Jobs auch die hohe Zahl von langzeitarbeitslosen Frauen. Viele unbefristete Dienstverhältnisse wurden in befristete umgewandelt, und allzu oft endet das in weiterer Folge in der Arbeitslosigkeit.
Zum Auskommen mit dem Einkommen: Im vergangenen Jahr wurde das Mindesteinkommen um 22 Prozent gekürzt (für junge Menschen unter 25 sogar um 32 Prozent) und liegt nun bei 586 Euro. Und dieser Wert ist noch dazu eingefroren bis 2016. All das hat selbstverständlich massive Auswirkungen auf das Leben von Frauen (und Männern), speziell was richtungsweisende Entscheidungen betrifft bei Fragen wie: Kann ich studieren? Kann ich eine eigene Familie gründen? Kann ich meinen Kindern Fremdsprachen, Musik und Kunst finanzieren? Beinahe alle Dinge des täglichen Lebens wurden empfindlich teurer: Gas, Strom, Benzin, Essen, … Nicht zu vergessen die vielen Steuern. Der gesamte Sozialstaat wurde zurückgefahren, Kindergärten, Zentren für ältere Menschen, für behinderte Kinder und Menschen mit psychischen Problemen wurden geschlossen, das Budget von Sozialzentren massiv gekürzt. Die Last für Frauen wurde dadurch viel größer, denn traditionellerweise sind sie diejenigen, die sich um die Versorgung der Kinder, der Kranken und der Alten kümmern.
Es gibt auch starke Einschnitte im Gesundheitssystem. Welche Auswirkungen hat das auf die medizinische Versorgung von Frauen, gerade auch bei Schwangerschaft und Geburt?
Eines der jüngsten und besten Beispiele für die Kürzungen im Gesundheitsbereich: Die neuen Regeln der „Nationalen Organisation für Gesundheits-Service“ (EOPPY) besagen, dass eine Frau, die zur Geburt in ein Krankenhaus geht, kein Recht auf die übliche finanzielle Förderung zur Geburt eines Kindes hat. Nur die Krankenhauskosten werden vom EOPPY übernommen. Bringt sie ihr Kind zu Hause zur Welt, erhält sie 900 Euro (1.200 Euro für Zwillinge). Die private Gesundheitsvorsorge ist sehr teuer und für viele Haushalte nicht leistbar, besonders für Frauen. Wer ohne Arbeit ist oder nur in prekärer Arbeit ohne soziale Absicherung, ist somit de facto von der Gesundheitsversorgung ausgeschlossen. Diese Situation lässt gewaltig viele Frauen verzweifeln.
Haben Frauen das Recht und die Möglichkeiten zum Schwangerschaftsabbruch?
Frauen dürfen abtreiben, wenn sie erwachsen sind oder die Eltern/Erziehungsberechtigten ihre Zustimmung geben. Abtreibungen sind aber mangels Aufklärung vor allem bei jungen Frauen oft eine Form der „Verhütung“. Zahlreiche Versuche, sexuelle Aufklärung und Informationen über Verhütung in Schulen unterzubringen, sind bisher gescheitert.
Wie ist die Situation für Frauen, die von Gewalt betroffen sind?
Gewalt gegen Frauen ist ein stark wachsendes Problem in Griechenland. Es gibt zwar keine offiziellen Daten und Statistiken, aber alle NGOs, die mit Frauen arbeiten, sind sich einig: Während der Krise hat sich Gewalt gegen Frauen dramatisch verschlimmert. Der wohl wichtigste Grund dafür ist die Tatsache, dass Frauenrechte und demokratische Institutionen, die für Gleichberechtigung kämpfen, sukzessive infrage gestellt und im Zuge der Einsparungen ausgehungert werden. Gleichzeitig gibt es eine starke Gegenbewegung des Patriarchats, das Frauen lieber wieder zurück im privaten Bereich sehen möchte. Da gibt es ein Revival von traditionellen Stereotypen der Frau und Mutter.
Wie geht es NGOs, speziell jenen mit feministischen Anliegen oder Fokus auf Frauenrechte?
Die feministische Bewegung in Griechenland war – abgesehen von einigen Ausnahmen – noch nie sehr stark. Trotzdem gab es einige Erfolge bei der Bewusstseinsarbeit, im Einfluss auf die politische Agenda, etwa in einem neuen Familienrecht, im Umgang mit Sexualität und Gewalt gegen Frauen. Interessanterweise gab es bei groben Verletzungen von Frauenrechten riesige Demonstrationen, viel Aufmerksamkeit und Medienberichterstattung. Alles in allem konnte der Feminismus vor allem im akademischen Umfeld und in universitären Gender-Studies-Abteilungen aufblühen. Aber es gibt einige NGOs, die in unterschiedlichen Bereichen Arbeit für und mit Frauen leisten, dafür Fördertöpfe anzapfen und Ressourcen freimachen. Ein Beispiel ist das Zentrum für Forschung und Frauenfragen DIOTIMA, gegründet vor 23 Jahren in Athen.
Welche politischen Institutionen sind für Frauenpolitik zuständig und wie zufrieden seid ihr mit deren Arbeit?
Das obliegt dem Generalsekretariat für Geschlechtergerechtigkeit (GSGE) im Innenministerium, das es seit 1985 gibt. GSGE ist verantwortlich für die Planung, Umsetzung und Evaluierung aller Gleichstellungsmaßnahmen. Zuletzt war das der Nationale Aktionsplan für die Gleichstellung der Geschlechter 2010–2013, der Maßnahmen für alle Regionen und viele unterschiedliche Bereiche beinhaltet. Die vier großen strategischen Ziele sind: Erstens der Schutz von Frauenrechten für alle Frauen in Griechenland und die Förderung von Geschlechtergerechtigkeit, speziell für mehrfach diskriminierte Frauen. Zweitens: Prävention und Kampf gegen alle Formen von Gewalt an Frauen und Mädchen. Drittens: Unterstützung für Frauenbeschäftigung und ökonomische Unabhängigkeit sowie viertens die Förderung von Kunst und Kultur im Sinne der Frauenförderung.
Lange Zeit hat das GSGE eine eher eingeschränkte Rolle im politischen Prozess gespielt. Seit Anfang 2010 wird das Sekretariat aber finanziell gefördert und hat nun die Möglichkeit, eigene Programme zu planen und umzusetzen – etwa den Aktionsplan gegen Gewalt an Frauen (s. auch Artikel auf S. 13). Die große Sorge feministischer Organisationen war schon immer, dass nach Ende des Aktionsplans 2013, wenn die finanziellen Förderungen durch die Regierung enden, aufgrund der Sparpolitik alle Aktivitäten eingestellt werden. Und tatsächlich hat die Reformgruppe der Regierung am 1. März, wenige Tage vor dem Internationalen Frauentag, die Abschaffung des Gleichstellungssekretariats GSGE angekündigt. Stattdessen soll es bestenfalls eine „Abteilung für Chancengleichheit“ geben. Das hätte weitreichende Auswirkungen auf die Gleichstellungsarbeit, zumal damit bis zu achtzig Prozent der Referate und Agenden des GSGE ersatzlos gestrichen würden. Die Ironie daran ist: Am selben Tag, am 1. März, veröffentlichte das UN-Komitee CEDAW seine abschließenden Beobachtungen für Griechenland. Darin zeigt es sich unter anderem darüber besorgt, dass Budgetkürzungen und andauernde Umstrukturierungen in Administration und Regierung den unabhängigen Status des GSGE und somit seine finanziellen Ressourcen im Kampf gegen Geschlechterungerechtigkeiten gefährden könnten.
Übersetzung aus dem Englischen von Gabi Horak
Links:
Generalsekretariat für Geschlechtergerechtigkeit GSGE: www.isotita.gr
Kampf gegen Gewalt: www.womensos.gr
Diotima: www.genderissues.org.gr
1 Kommentar zu „Die Verzweiflung der Griechinnen“
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