Antifeminismus wird als Tabubruch inszeniert und von Medien begeistert aufgegriffen. Die Politikwissenschaftlerin Alexandra Weiss will Spaltungstendenzen mit einer notwendig solidarischen Politik begegnen. Ein Interview von JUDITH GOETZ
an.schläge: In der Auseinandersetzung mit Antifeminismus werden die Begriffe „Maskulinismus“ und „Maskulismus“ immer wieder synonym verwendet. Welche Vorteile bringt eine solche Begriffsdifferenzierung?
Alexandra Weiss: „Maskulismus“ ist eine Selbstbezeichnung von Aktivisten der Männerrechtsszene und wurde in Abgrenzung zum „Maskulinismus“ eingeführt. Die Intention ist eine Kritik am oder vielmehr ein Angriff auf den Feminismus, da sich Männerrechtler ja als Opfer eines „überzogenen“ Feminismus und einer „einseitigen“ Geschlechterpolitik betrachten. „Maskulinismus“ ist hingegen ein Begriff aus der feministischen Theorie, der eine politisch, symbolische und ideologische Übersteigerung von Männlichkeit, eine Herrschaftsstruktur und eine Ideologie der (natürlichen) Dominanz von Männern über Frauen bezeichnet. Insofern macht eine Differenzierung der beiden Begriffe Sinn, weil sie mit einer bestimmten Positionierung verbunden sind.
Seit einiger Zeit wird in journalistischen und wissenschaftlichen Kontexten eine Krise der Männlichkeit(en) als Erklärungsmuster für aktuelle Entwicklungen beschworen. Auf welche Männlichkeit(en) bezieht sich die Rede von der „Männlichkeitskrise“?
Diskurse über eine „Krise der Männlichkeit“ tauchen im Kontext von tiefgreifendem gesellschaftlichen Wandel immer wieder auf und sind insofern nicht neu, ebensowenig wie die Verschränkung mit der Rede über die negativen Folgen für die Gesamtgesellschaft. Komplexe ökonomische, soziale und politische Transformationen werden als Folge von Feminismus und „egoistischer“ Frauenemanzipation umgedeutet.
Ich denke, dass der Diskurs um die „Männlichkeitskrise“ weitgehend ein Mittelschicht-Phänomen ist, also eine Krise bürgerlicher, weißer Männlichkeit – auch wenn man beobachtet, in welchen Medien sie vor allem rezipiert wird. Männer in qualifizierten Positionen fühlen sich durch die nachziehenden und ebenso gut qualifizierten Frauen bedroht. Gerade im öffentlichen Dienst gibt es seit geraumer Zeit Gleichstellungsmaßnahmen, die – wenn auch langsam – Wirkung zeigen. Insofern ist es kein Wunder, dass sich insbesondere Wissenschaftler und hochqualifizierte Männer in diesem Diskurs engagieren – die Selbstverständlichkeit der Reproduktion des männlichen Wissenschaftsbetriebes ist gestört. Ähnliches können wir auch bei der Diskussion um Quoten für Aufsichtsräte beobachten, wenngleich das noch weitgehend rein männliche Räume sind. Die Politik ist hingegen ein Feld, das sich für Frauen und homosexuelle Männer geöffnet hat. Hier hat ein Strukturwandel stattgefunden, die Rede von der Krise verweist also vielmehr auf einen Abwehrmechanismus, der die gefährdeten Positionen absichern soll.
Welche Gründe sehen Sie für den antifeministischen Backlash der letzten Jahre und das Erstarken männerrechtsbewegter Gruppen?
Konservative männer- und väterrechtsbewegte Gruppen erhalten angesichts der Krise verstärkt mediale Aufmerksamkeit, weil sie Antifeminismus als Tabubruch inszenieren. Insbesondere das Thema „Väterrechte“ hat eine breite Anschlussfähigkeit. Dabei spielt auch die Veränderung von Medienorganisationen eine Rolle: Zum einen sind sie Unternehmen geworden, die auf „Kapitalversorgung“ durch Unternehmen und Institutionen angewiesen sind. Zum anderen stehen sie heute unter einem verschärften Konkurrenzdruck. Auch sogenannte Qualitätsmedien entfernen sich immer deutlicher vom Ideal der „Information von StaatsbürgerInnen“ und setzen vermehrt auf Unterhaltung. Das geht mit einer Zunahme der Skandalisierungskommunikation einher, in der geschlechterpolitische Fragen im Stil eines Ringkampfes inszeniert werden – eine ernsthafte Auseinandersetzung ist damit kaum intendiert.
Inwiefern tragen die durch die Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise bedingten Veränderungen zur Stärkung antifeministischer Politiken bei?
Die Krise ist ein wesentlicher Auslöser dafür, dass die „Männlichkeitskrise“ verstärkt rezipiert wird und antifeministische Positionen mehr Gehör finden – sie hat sich in den letzten Jahren drastisch verschärft. Zunehmend sind auch Männer von atypischer Beschäftigung betroffen, die seit Jahren sinkenden Löhne sind auch für immer mehr Männer keine „Familienlöhne“ mehr, prekäre Arbeits- und Lebensverhältnisse dehnen sich auf Männer aus.
Vor dem Hintergrund dieser Erschütterungen soll die Familie ein von Frauen herzustellender Ort der Sicherheit sein, Frauen sollen quasi als „Sozial-Puffer“ den Rückzug des Staates aus der sozialen Verantwortung abfedern. Angesichts der steigenden Arbeits-marktintegration von Frauen und auch, weil Existenzsicherung mit nur einem Einkommen kaum zu machen ist, kann das nicht mehr gelingen. Diese Anforderungen an Frauen sind widersprüchlich und auf individueller Ebene nicht zu lösen.
Was macht den Antifeminismus heute so anschlussfähig und populär?
Antifeministische Denkmuster können in unseren von Individualisierung, Entsolidarisierung und Spaltungspolitiken geprägten Gesellschaften leicht Anschluss finden. Statt Gesellschafts- und Kapitalismusanalyse und -kritik wird eine einfache und monokausale Schuldzuweisung vorgenommen, deren Argumentation logisch und selbstverständlich klingt. Für die Bildungsmisere und zunehmende Gewaltbereitschaft ist dann die „Feminisierung der Erziehung“ verantwortlich und nicht verfehlte Arbeitsmarkt-, Ausbildungs- und Wirtschaftspolitik und die daraus resultierende Perspektivenlosigkeit ganzer Generationen. Der Geburtenrückgang ist auf die zunehmende Erwerbstätigkeit von Frauen und ihr Selbstverwirklichungsbedürfnis und nicht auf eine mangelhafte institutionelle Kinderbetreuung zurückzuführen usw.
Außerdem wird Gleichberechtigung in vielen populären Publikationen permanent als längst erreichtes Ziel dargestellt. Wir haben es, wie Angelika Wetterer schon vor zehn Jahren feststellte, mit einer widersprüchlichen Entwicklung zu tun: Während die geschlechtsspezifische Arbeits-teilung und die ungleiche Verteilung der unbezahlten Arbeit bestehen bleibt, verschwindet die Ungleichheit aus dem zeitgenössischen Wissen über die Geschlechterdifferenz. Sie ist nicht mehr als Ergebnis einer geschlechtshierarchischen Struktur thematisierbar. Anti-Emanzipatorische Männerpolitik hat Eingang in Regierungspolitik gefunden und die Position der Männer- und Väterrechtler gestützt.
Welche politischen Maßnahmen könnten den antifeministischen Entwicklungen entgegenwirken?
Ich denke, es geht hier nicht nur um einzelne Maßnahmen, sondern um eine grundsätzlich solidarische Politik, eine, die die Lebensbedingungen für alle Mitglieder der Gesellschaft lebenswert gestaltet. Antifeminismus ist, wie andere Spaltungspolitiken, eine Tendenz, die den Kern der Probleme unserer Gesellschaften verdeckt und traditionelle Herrschaftsstrukturen stützt. Um dem zu begegnen, braucht es nicht nur einen ausgebauten Sozialstaat, der das Konzept sozialer Inklusion um die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Frauen und ImmigrantInnen erweitert und der angesichts der Veränderungen von Arbeitsverhältnissen den neuen Gegebenheiten anzupassen ist. Es braucht auch eine emanzipatorische Kulturpolitik. Politik kann nicht nur auf Maßnahmen, Gesetze, Ver- und Gebote setzen, sondern muss solidarische Werte vermitteln, sie lebbar machen. Sie muss also politische und soziale Teilhabe ermöglichen und unterstützen.
Alexandra Weiss ist Politikwissenschaftlerin und Koordinatorin des Bereichs Gender Studies im Büro für Gleichstellung und Gender Studies der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck.
Judith Goetz ist Politik- und Literaturwissenschaftlerin und Mitglied der Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit (www.fipu.at).
1 Kommentar zu „„Die Selbstverständlichkeit ist gestört““
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