Die gebürtige Schwedin ERIKA LUST macht feministische Pornos mit glücklichen HauptdarstellerInnen. JULIA PÜHRINGER hat mit ihr über Business und Begehren gesprochen.
an.schläge: Porno hat mit Macht zu tun, geben Sie mir da Recht? Beim feministischen Porno geht es doch auch darum, diese Macht wieder zurückzuerobern?
Erika Lust: Beim Sex an sich geht es immer in irgendeiner Form um Macht. Porno ist das Medium, das expliziten Sex zeigt, also ja, Macht gehört definitiv zu seinen Ingredienzien. Beim klassischen Mainstream-Porno ist die Struktur sehr klar: Der Mann hat die Macht, die Frau ist nur dafür da, dass er kommt, dass sie ihm Lust bereitet.
Aber auch Zusehen kann Macht verleihen, wenn man als Konsumentin ernst genommen wird …
Genau das war die Idee, als ich anfing. Für mich waren Pornos etwas Negatives, das hatte nichts mit mir zu tun, mit meiner Lust, meinen Bedürfnissen, ich war ganz offensichtlich nicht die Person, um die es ging. In meinen Filmen wollte ich eine positive Vorstellung von Sexualität vermitteln. Im Hollywood-Kino gibt es ja quasi keinen Sex, die Leute gehen ins Bett und verschwinden unter der Decke. Und im Independent-Kino ist Sex zwar wichtig, wie in „Nine Songs“ oder „Nymphomaniac“, aber Sex ist immer kompliziert, freudlos, schwierig. Doch Sex sollte Spaß machen, großartig sein! Wenn es in den Medien, der Werbung, den Magazinen um Sex geht, dann geht es da im Grunde immer um eine gewisse Art Sexiness. Ich wünsche mir, dass es bei Sexualität endlich wieder um Sex geht.
Wie hat das Pornobusiness anfangs auf Ihre Filme reagiert?
Recht kritisch. Man erklärte mir, dass niemand braucht, was ich mache, und allein der Gedanke völlig lächerlich ist, dass Frauen Geld für sexuelle Inhalte ausgeben würden, weil sie sich sowieso nur für Kleider und Make-up interessierten. Dann gab es noch die Leute, die meinten, das, was ich mache, kann gar kein Porno sein, weil sex-positive oder feministische Ansichten dem Konzept Porno widersprechen, eine klare Anti-Frauen-Haltung quasi schon in der Definition von Porno beinhaltet wäre. Mittlerweile fragt man öfter bei mir an. Und auch größere US-Unternehmen beginnen mit Filmen für Frauen und Paare, man hat erkannt, dass es da einen Markt gibt.
Dass Frauen als Publikum nicht ernst genommen werden, kennt man ja auch vom Mainstream-Kino.
Das war so in der Politik und in der Medizin, überall. Und natürlich gibt es noch nicht viele Frauen, die Pornos drehen – auch wenn es sich für mich anders anfühlt, weil ich natürlich jede Einzelne von ihnen kenne. Machen wir uns nichts vor, letztlich sind wir nur ein kleiner Prozentsatz. Und ich bekomme täglich Mails von Leuten, die gerade erst entdeckt haben, dass unsere Filme überhaupt existieren. Erst kürzlich erzählte Emma Watson in einem Interview, dass sie ein Abo von einer Website namens „omgyes.com“ hat, und forderte mehr feministischen Porno. Plötzlich waren da all diese Filmemacherinnen auf Twitter, die riefen, hey, hier sind wir!
Macht eine neue, weibliche Sicht im Porno Männer nervös, wenn doch bis jetzt immer die männliche Perspektive im Vordergrund stand?
Es ist durchaus möglich, dass weibliche Sexualität für manche beängstigend ist, weil sie ja auch tatsächlich sehr mächtig ist und eine Möglichkeit, sich auszudrücken. Da sind wir quasi wieder am Anfang unseres Gesprächs. Es geht um Macht und auch darum, Frauen diese Macht zurückzugeben. Diese Idee macht natürlich manchen Leuten Angst. Aber eine befriedigte Frau ist eine glückliche Frau (lacht).

Wie casten Sie DarstellerInnen? Rufen Leute bei Ihnen an, die in Ihren Filmen mitspielen wollen?
Ja, das ist ein paarmal passiert, aber ich bin nicht die Sorte Produzentin, die dir einredet, mitzumachen, ich bin eher die, die es dir ausredet (lacht). Ich habe da eine große Verantwortung. Wenn man einmal ein explizites Video im Internet stehen hat, kann man den Inhalt nicht mehr kontrollieren, dafür gibt es einfach zu viel Piraterie. Ich kann niemandem garantieren, dass das Video dann nur auf meiner Website steht. Ich frage also immer, ob sich die Leute wirklich sicher sind, ob sie mit den Menschen in ihrem Leben geredet haben, ihrer Mutter, ihrer Schwester, ihrem Freund oder dem zukünftigen Ehemann. Es heißt nicht, dass die Sache schlecht laufen wird, aber man sollte einfach gewappnet sein.
Es gibt immer noch erstaunlich viel Scham, wenn es um Sex geht.
Ja, definitiv. Es gibt so viel Scham und Negativität, wenn es um Sex geht, das beeinflusst uns natürlich, deshalb brauchen wir da einfach positivere Bilder, damit wir entspannter daran herangehen können. Vielleicht gibt es ja auch andere Leute, die gern an Füßen nuckeln, vielleicht bin ich gar nicht so komisch. Sexualität ist fließend. Nur weil du die ersten 25 Jahre deines Lebens eine heterosexuelle Frau warst, heißt das nicht, dass du dich nicht mit 26 plötzlich zu einer Frau hingezogen fühlst.
Sie und Shonda Rhimes sind die Fachfrauen zum Thema Diversity.
Ich habe ein Publikum, das Vielfalt fordert, das verschiedene Hautfarben, Altersstufen, Körperformen sehen will. Ich versuche immer Leute zu finden, die nicht die perfekte Blondine sind. Aber es gibt auch wunderbare perfekte Blondinen.
Reden wir über Orgasmen …
Ich werde oft gefragt, ob die DarstellerInnen in meinen Filmen wirklich kommen, und ich sage immer, das ist wie im echten Leben, manchmal schon, manchmal nicht, manchmal wird vorgetäuscht (lacht). Hinter der Kamera sind wir nur Frauen, manchmal versuchen wir’s zu erraten, man kann das schon ganz gut erkennen an der Gesichtsfarbe, roten Flecken am Hals oder großen Pupillen …
Was wollten Sie eigentlich werden, wenn Sie groß sind?
Ich war immer sehr interessiert an Menschen- und Frauenrechten, deshalb hab ich auch Politikwissenschaften studiert. Ich wollte ursprünglich in einer internationalen Organisation arbeiten.
Im Grunde arbeiten Sie doch für Menschen- bzw. Frauenrechte …
Ja, das finde ich auch. Die Filme, die ich mache, sind auf einer gewissen Ebene durchaus politisch. Sie bewegen etwas im Leben der Menschen. Feministischer Porno ist ja nicht nur für Frauen, er richtet sich an alle erwachsenen Menschen. Es gibt auch viele Männer, die mir dankbare Mails schreiben. Die zum ersten Mal einen erotischen Film gefunden haben, den sie mit ihrer Frau teilen können. Der sie verbindet, sie reden darüber, sie sprechen über ihre sexuelle Beziehung in einer Art, wie sie es schon länger nicht mehr taten. Ich bekomme solche Mails tatsächlich relativ oft. Und das macht mich jedes Mal glücklich.
Es gibt viele Bewegungen, die sicherstellen wollen, dass ihre Produkte fair hergestellt wurden: das Fairtrade-Gütesiegel, die Slowfood-Bewegung – sehen Sie sich als Teil davon?
Es geht um Verantwortung, den Produktionsprozess, ob man sich um die Leute kümmert, mit denen man arbeitet, das steckt in allen Details und Entscheidungen, die man treffen muss, wenn man einen Film auf Schiene bringt. Es gibt diese Tendenz in unserer Gesellschaft allgemein, ich möchte im Supermarkt wissen, wo die Eier oder das Fleisch herkommen. Beim Porno ist das schwierig – wenn man bei einer Website versucht herauszufinden, wer den Film gemacht hat, ist das oft gar nicht so einfach. Das Porno-Business braucht da dringend mehr Transparenz, damit die KonsumentInnen bewusste Entscheidungen treffen können.
Erika Lust, Geburtsname Erika Hallqvist, studierte Politikwissenschaft. Sie lebt in Barcelona und dreht Pornofilme (u. a. „Five Hot Stories For Her“ und „Cabaret Desire“). Für ihr aktuelles „Projekt XConfessions“ verfilmt sie die Fantasien ihres Publikums. Weiters verfasste sie eine Anleitung zum Pornodrehen und erotische Bücher. http://erikalust.com
Julia Pühringer schreibt für diverse Medien über Bewegtbild.