In ihrem neuen Buch schreibt Autor*in und Aktivist*in Laurie Penny über den antifeministischen Backlash und eine sexuelle Revolution, die nicht aufzuhalten ist. Verena Kettner hat sie in Wien zum Gespräch getroffen.
an.schläge: Aus einer feministischen Perspektive zu schreiben bedeutet auch auf andere Formen von Wissen, beispielsweise auf verkörpertes Wissen oder Erfahrungen, zurückzugreifen. Welche Rolle spielt Ihr Aktivismus in Ihren Büchern?
Laurie Penny: Ich versuche immer, auch persönliche Erfahrung in meine Bücher zu bringen. Es ist bei allen Arten der Wissensproduktion sehr wichtig, sie in ihrem historischen und sozialen Kontext zu betrachten. Frauen wird beispielsweise beigebracht, ihre Erfahrungen nicht als Fakten zu interpretieren, sondern als Gefühle, die weniger wichtig ist. Wütende weiße Männer hingegen mussten nie lernen, Gefühle und Fakten auseinanderzuhalten, weshalb sie einerseits auf ihre Rationalität pochen können und andererseits ihre eigenen gefühlsgeleiteten Handlungen gar nicht als solche wahrnehmen. Diese unbeleuchteten Flecken aufzudecken ist Teil meines Schreibens und auch meines neuen Buches.
Glauben Sie, dass Emotionen wie Wut, wie wir sie beispielsweise in der #MeToo-Bewegung gesehen haben, feministische Bewegungen über einen längeren Zeitraum hinweg nähren können?
Ja, durchaus. Ich denke, dass Wut sehr mächtig sein kann. Die eigentliche Frage ist allerdings, was wir mit der Wut tun – und mit all den anderen Gefühlen wie Traurigkeit oder Verzweiflung. Und wo und wann kann auch Freude zugelassen werden in Bewegungen? Ich denke, dass Freude die Emotion ist, die momentan am wenigsten erforscht und diskutiert wird. Es wäre wichtig, auch ihr mehr Raum zuzugestehen. Was die Wut betrifft, wäre es falsch, alle Handlungen so zu setzen, wie sie sich aus dem Affekt heraus gerade richtig anfühlen. Wenn Wut aber mit einer gewissen Reflexion begegnet wird, kann sie mobilisierend wirken.
In einem Interview haben Sie die heteronormative Kleinfamilie einmal als „lächerliche Sache“ bezeichnet. Was macht sie so lächerlich?
Die nukleare heteronormative Familie ist eine historische Verkürzung. Sie ist schlichtweg Bullshit. Die soziale Norm der Zwei-Generationen-Familie, bestehend aus einem Mann, einer Frau und 1,5 Kindern, die in ihrem Eigentum zusammenleben, traf nur für etwa eineinhalb Dekaden auf die Mehrheit der angelsächsischen Bevölkerung zu, und das war direkt nach dem Krieg. In allen anderen Zeiten lebten die meisten Menschen ganz anders, beispielsweise in Mehrgenerationenhaushalten oder Single-Haushalten. Aber selbst in den 1950ern und 1960ern war diese Norm nur für weiße Haushalte Realität, die sich oft die Arbeitskraft von Schwarzen Frauen kauften, um das Bild der perfekten Kleinfamilie aufrechtzuerhalten. Die Erzählung der Kleinfamilie war also immer schon eine Lüge. Heute ist sie sogar noch schwieriger zu erreichen, wenn wir uns die aktuellen Löhne und Wohnungspreise ansehen.
Wie könnten Menschen auf andere Weise Familien bilden, zusammenleben und Fürsorge füreinander übernehmen?
Es müsste vor allem andere Möglichkeiten geben, verantwortungsvolle und fürsorgliche Beziehungen kulturell anzuerkennen, die nicht unbedingt romantisch sind. Andere Arten von Familie und Gemeinschaft müssten auch rechtlich abgesichert werden können. Ich bin ein großer Fan von feministischer Science-Fiction, vor allem von Ursula Le Guin. Sie schrieb eine Serie von zwölf Büchern, in denen ganz unterschiedliche Ideen stecken, wie Familie aussehen könnte. In „The Hanish Cycle“ gibt es zwar auch so etwas wie die Ehe, allerdings besteht eine Ehegemeinschaft aus zwei Männern und zwei Frauen, die alle romantische und sexuelle Beziehungen miteinander führen. In einem anderen Buch geht es viel um Vaterschaft, Väter werden auch Brüder der Mütter genannt, was zeigt, dass Eltern nicht unbedingt eine romantische Beziehung miteinander haben müssen. Weder Le Guin noch ich wollen damit sagen, dass wir Beziehungen diesen Ideen folgend leben sollten, aber dass wir es könnten, wenn wir wollten. Das finde ich das Faszinierende an Science-Fiction, sie öffnet Möglichkeiten.
In Ihrem neuen Buch beschreiben Sie die sexuelle Revolution. Was ist denn das Neue daran und wie könnte sie besser funktionieren als 1968?
Die sexuelle Revolution von 1968 war vor allem eine der queeren sexuellen Befreiung und der neuen Reproduktionstechnologien, und natürlich auch eine Rebellion gegen die heteronormative Kleinfamilie. Das hauptsächliche Ziel davon war aber leider immer noch sexuelle Freiheit für Männer – Frauen sollten einfach mitmachen. Darauf folgten heftige Reaktionen der feministischen Bewegungen in den 1970er-Jahren. Mittlerweile sehen unsere Bewegungen und Forderungen anders aus, doch eine tatsächliche sexuelle Revolution benötigt ein stärkeres Hinterfragen der gesamtgesellschaftlichen Machtstruktur und des Kapitals. Ansonsten wird sich nicht viel verändern. Heute sehen wir uns mit einem großen rechten und antifeministischen Backlash konfrontiert. Dessen Akteur*innen verlautbaren, dass die sexuelle Revolution der 68er ein riesiger Fehler gewesen sei, dass wir zur monogamen Ehe zurückkehren sollten und dass Scham eine gute Sache sei. Gleichzeitig stecken wir aber schon lange mittendrin. Es ist wichtig zu sehen: Der verstärkte Angriff auf queere und sexuelle Befreiung sowie auf Frauenrechte kommt daher, dass unsere sexuellen sozialen Normen nicht mehr funktionieren und langsam durch neue ersetzt werden. Dagegen bäumen sich Patriarchat und Kapitalismus nochmals mit aller Kraft auf, aber sie haben diesen Kampf längst verloren.
In Ihrem Buch thematisieren Sie auch Sex und Konsens. Was ist aus Ihrer feministischen Perspektive denn guter Sex und welche Rahmenbedingungen brauchen wir, um ihn leben zu können?
Niemand sollte einer anderen Person vorschreiben oder auch nur beschreiben, was guter Sex ist. Guter Sex ist einfach Sex, den du genießt – und natürlich ist er auch immer konsensuell und alle deine involvierten Sex-Partner*innen sollten ihn ebenso genießen. Es gibt nichts „Falsches“ beim Sex unter diesen Bedingungen. Sex ist etwas sehr Weites und Veränderliches: Ich selbst bin beispielsweise nicht besonders kinky, aber dennoch habe ich schon einige wunderbare Nächte in Kink-Clubs genossen, einfach weil ich die Menschen und die Atmosphäre dort sehr anziehend fand. Also ja, guter Sex kann alles sein, was sich gut anfühlt und einvernehmlich ist. Aber schon diese beiden kleinen Dinge sind im heterosexuellen Mainstream-Sex von heute für viele Menschen nicht erreichbar. Momentan gilt alles bereits als guter Sex, wo keine Übergriffe und Vergewaltigungen vorkommen. Das sollten wir echt besser hinbekommen. Das müssen wir besser hinbekommen. •
Laurie Penny: Sexuelle Revolution. Rechter Backlash und feministische Zukunft
Edition Nautilus, 2022, 24.95 Euro