Branchenverbände wie FC Gloria setzen sich dafür ein, dass filmschaffende Frauen auch hinter den Kulissen gefördert werden. Von FIONA SARA SCHMIDT
Gibt es in dem Film mehr als eine Frau? Haben sie Namen? Und sprechen sie miteinander über etwas anderes als Männer? Der „Bechdel-Test“ ist ein praktisches Mittel, um stereotype Rollenmodelle in Spielfilmen nachzuweisen – unabhängig von ihrer sonstigen Qualität und dem Geschlechterverhältnis auf der Produktionsseite. Die meisten Blockbuster, aber auch viele Indie-Produktionen, fallen durch. In Schweden wird seit 2013 ein Sticker auf das Filmplakat geklebt, wenn ein Film den von der Comiczeichnerin Alison Bechdel erdachten Test besteht, dreißig Kinos sind dabei. Die Auswirkungen sind enorm: Acht von zehn schwedischen Filmen bekamen letztes Jahr die A-Wertung. Zwei Jahre vorher waren es lediglich zwei von zehn.
1,50 pro Stunde. Nicht nur auf der Leinwand, auch hinter der Kamera müssten sich die Verhältnisse hierzulande ändern, meint die Regisseurin Katharina Mückstein: „Wie in anderen Sparten auch, ist beim Film in allen Bereichen, die mit großer, künstlerischer und monetärer Anerkennung (Regie, Produktion) und mit Technik (Kamera, Ton, Licht) verbunden sind, das Geschlechterverhältnis im Argen. Dazu kommt noch, dass im Bereich von Kurz- Experimental- und Dokumentarfilm, wo mit kleineren Budgets gearbeitet wird, Frauen viel eher arbeiten als im hochbudgetierten Spielfilm.“
Die Verwertungsgesellschaft der Filmschaffenden hat eine aktuelle Studie zur Arbeits- und Lebenssituation ihrer Mitglieder in Österreich beauftragt. Ein Drittel der Befragten ist demnach armutsgefährdet, Dieser Anteil ist viermal so hoch wie bei der gesamten erwerbstätigen Bevölkerung. Der Gender Pay Gap wird darin auf 17 Prozent beziffert. Viele Befragte leben allein und ohne Kinder, „die Vereinbarkeit beruflicher und privater Anforderungen ist für viele Befragte ein belastendes Thema“, heißt es in der Studie. Im Juni berichtete die „Wiener Zeitung“ von Stundenlöhnen von 1,50 Euro für eine Assistentin bei einer großen Produktionsfirma, die Aussicht auf Folgeprojekte lässt viele Einsteiger_innen bei derartigen Praktiken mitspielen, die Konkurrenz ist groß und bekannte Namen im Portfolio wichtig.
Den Trend zum unbezahlten Praktikum kann auch Maria Macic bestätigen: „Ich habe kaum von einer Branche gehört, in der das so prekär ist und gleichzeitig als legitim verteidigt wird. Produktionsassistent_innen arbeiten oftmals ganztags bei einer kollektivvertragswidrigen Bezahlung oder sogar teilweise ohne Bezahlung, und das bei Projekten, bei denen ausreichend Budget vorhanden wäre.“ Sie selbst ist erst seit einem Jahr hauptberuflich in der Filmbranche tätig und beim Startup Ringeck Film als Produktionsleiterin und Assistentin der Geschäftsführung angestellt. Zwar gebe es mehr Produzenten als Produzentinnen, dennoch sei es im Bereich der Produktion leichter einen Einstieg zu finden als in manch anderen Bereichen, berichtet Macic.
Geschlechterklischees spiegeln sich in den Abteilungen wider: „Frauen haben es im technischen Bereich (z. B. Kamera, Schnitt) schwerer als im gestalterischen und organisatorischen Bereich (z. B. Ausstattung, Produktion, Maske, Kostüm).“ Die Preise fallen wegen der vielen Einsteigerinnen in der Medienbranche weiter, ihnen steht eine geringe Nachfrage gegenüber: Nur fünf Prozent der Kinobesucher_innen gehen ins Kino, um einen österreichischen Film anzusehen.
Sichtbare Vorbilder. In Deutschland wird jeder zehnte Primetime-Fernsehfilm und jeder fünfte Kinofilm von einer Frau inszeniert. Der Verein Pro Quote Regie will das ändern, er kann prominente Unterstützerinnen vorweisen. In Schweden funktioniert eine Förderung über die Quote gut, der Verein FC Gloria fordert ein ähnliches Modell, er setzt sich für „die Wahrnehmung und Förderung der künstlerischen, wirtschaftlichen, rechtlichen und kulturellen Interessen aller Frauen, die in der Filmbranche tätig sind“, ein. Regisseurin Mückstein, die sich bei FC Gloria engagiert, hätte nicht erwartet, dass ihr Geschlecht im Beruf einen so hohen Stellenwert haben würde: „Als Kinoregisseurin wird man aber ständig darauf hingewiesen, dass man sich als Frau in der Minderheit befindet. Ich hatte keine Rolemodels, kannte nach dem Studium keine Regisseurinnen. Im Kanon der Filme, die in meinem Studium besprochen wurden, kamen Filme von Regisseurinnen nicht vor.“ Von den Erfahrungen von Kolleginnen zu profitieren, erlebt sie als sehr bestärkend, derzeit werden Sponsor_innen für einen eigenen Filmpreis gesucht. Österreich hat eigentlich eine gute Ausgangsposition: „Das Standing österreichischer Filmemacherinnen ist gemessen an der Überschaubarkeit der Produktionslandschaft und der Mittel international herausragend“, sagt Isabella Reicher, Filmkritikerin und Mitarbeiterin des Experimentalfilmvertriebs Sixpackfilm. Das gelte für den Kinospielfilm (Jessica Hausner oder Veronika Franz) oder die Dokumentaristin Ruth Beckermann, „vor allem und am längsten aber für den experimentellen Film: Da gibt es mit VALIE EXPORT oder Maria Lassnig Weltstars.“
Angebot und Nachfrage. Sophie Charlotte Rieger betreibt in Berlin das feministische Online-Magazin „Filmlöwin“. Quoten und reine Frauenfilmfestivals und selbst die Idee ihres Blogs sieht sie durchaus kritisch, schreibt Rieger. „Doch ist eine Phase der dezidierten Förderung und Sichtbarmachung der ‚Filmfrauen‘ notwendig, um zu demonstrieren, welche Vielfalt an Erfahrungen und Perspektiven uns verloren geht, wenn wir weiterhin mehrheitlich Filme von und über Männer ansehen.“ Katharina Mückstein sieht das ähnlich: „Mir geht es weniger darum, dass eine strenge Quote durchgesetzt wird. Viel eher sehe ich, wie die Quotendiskussion Problembewusstsein schafft und zum Nachdenken anregt, ob es wirklich okay sein soll, wenn das kraftvolle Medium Film so stark männer- und stereotypendominiert ist.“ Wien hat mit dem zweijährigen Festival Identities seit etwas mehr als zwanzig Jahren ein queer-feministisches Forum, an dem auch Isabella Reicher die filmhistorischen Funde schätzt, „ebenso wichtig finde ich, dass bei großen heimischen Festivals wie Crossing Europe oder der Diagonale selbstverständlich ein großer Teil der Filme von Regisseurinnen stammt und regelmäßig europäische weibliche Filmschaffende unterschiedlicher Generationen mit Retrospektiven gewürdigt werden, etwa Elfi Mikesch, Agnès Godard, Helena Trestikova, Ursula Meier“, sagt Reicher. Hierzulande erleben wir bei den Festivals gerade einen Generationenwechsel, „Transition – Das International Queer Minorities Film Festival“, das unter diesem Namen zum zweiten Mal im November stattfindet, und „this human world“ mit den beiden jungen Leiterinnen Djamila Grandits und Julia Sternthal setzen neue Impulse. Solche Initiativen sorgen nicht nur für eine Diskussion über den Frauenanteil in der Branche, sondern schaffen ein Bewusstsein dafür, dass es insgesamt mehr Diversität vor und hinter der Kamera braucht. In den USA wurde zuletzt nach jahrelanger Kritik von Schwarzen Filmschaffenden die Academy neu besetzt, die die „Oscars“ vergibt. Online-Anbieter wie Netflix, aber auch Fernsehsender können heute schneller auf das Sehverhalten ihrer Nutzer_innen reagieren. Nicht nur der Weg ins Kino, auch das Glotzen auf dem eigenen Sofa hat also Einfluss auf Produktionsbedingungen und die Geschichten, die wir uns erzählen lassen.