Ein packendes Epos über das Leben der chinesischen Feministin JIÀNHÚ NUXIÁ ist nun auf DVD/Blu-ray erhältlich. Von ELISABETH STREIT
Die im „World Cinema“ inszenierten Frauenfiguren stellen diese zumeist in dramatischer Überhöhung, unter repressiven Lebensumständen leidend oder als schönen Aufputz an der Seite eines „g’standenen“ Helden dar. Diese Klischees bedient der im Jahr 2011 entstandene Hongkong-Film „The Woman Knight of the Mirror Lake“ allesamt nicht. Bei dieser bemerkenswerten Frau, die im Zentrum des Films steht, wäre dies vermutlich auch gar nicht möglich gewesen. Regisseur Herman Yau porträtiert die chinesische Feministin, Schriftstellerin und Lehrerin Jiànhú Nuxiá alias Qiu Jin, die in China wie eine Jeanne d’Arc verehrt wird, aber im Westen so gut wie unbekannt ist. Yau zeigt sie in diesem Biopic als unerschrockene, unermüdliche Kämpferin für die Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Frau am Anfang des 20. Jahrhunderts. China war zu dieser Zeit nicht nur von den Opiumkriegen zerrüttet – immer wieder widersetzten sich auch revolutionäre Student_innengruppen dem althergebrachten chinesischen Regime. Frauen hatten in dieser Zeit kaum die Möglichkeit, sich jenseits ihrer familiären Verpflichtungen in das gesellschaftliche Leben einzubringen. Die Geschichte von Qiu Jin weist sich hier als besonders ungewöhnlich aus.
Vielschichtiges Erinnern. Qiu Jin wird am 8. November 1875 als jüngstes Kind und einzige Tochter in eine wohlhabende und angesehene Familie geboren. Schon als Kleinkind wird sie von der Tortur des Füße-Abbindens verschont und lernt stattdessen Lesen, Schreiben, Reiten und wird im Schwertkampf ausgebildet. Vor allem ihre Mutter soll das Mädchen in ihren für diese Zeit ungewöhnlichen Interessen maßgeblich unterstützt haben. Die glücklichen Kindheitstage werden in poetischen Bildern in Szene gesetzt und zeichnen auf einfühlsame Weise den Ursprung für die kluge und unbeugsame Haltung Qiu Jins nach. Überhaupt erweist sich der Vielarbeiter und vom Exploitation-Kino kommende Regisseur Yau als differenzierter und sensibler Erzähler: Einerseits übersetzt er den Kampf seiner Heldin in fulminante und mit komischen Side-Kicks versehene Martial-Arts-Sequenzen, andererseits lässt er in kunstvoll ineinanderfließenden Rückblenden Qiu Jins Leben vor ihren – und damit auch vor unseren – Augen Revue passieren. Die großartige Verkörperung von Qiu Jin lebt vor allem vom mitreißenden Schauspiel der jungen chinesischen Darstellerin Huang Yi, die nicht nur in den Kampfszenen mit enormem Körpereinsatz brilliert. Auch den Werdegang, die arrangierte Verheiratung mit einem unliebsamen Mann sowie die „Flucht“ nach Japan vermag die Hauptdarstellerin gekonnt umzusetzen.
Revolutionärin im Hosenanzug. Das Wechselspiel zwischen traditioneller chinesischer und westlicher Kleidung und die damit verbundene Verwandlung der poetischen Qiu Jin in eine feministische Kämpferin zeigt sich eindrucksvoll in einer zentralen Szene des Films: Qiu Jin begleitet ihre Mäzenin Wu Zhiying (Pat Ha) zu einer Peking Oper in männlicher (chinesischer) Bekleidung. Als sie grünen Tee bestellt, wird sie vom erstaunten Kellner als Frau im Männeroutfit identifiziert. Knapp und ironisch entgegnet sie ihm: „Aber es ist normal, Männer in Frauenkleidern auf der Bühne zu sehen.“ Kurz danach verlässt sie das Land, ihren Mann und ihre zwei Kinder und geht nach Japan. Dort absolviert sie eine Ausbildung als Lehrerin und tritt den revolutionären chinesischen Austauschstudent_innen bei. Wiederholt kehrt sie in den folgenden Jahren nach China zurück, gründet eine Frauenzeitschrift und wird Leiterin einer Schule. Nach einem geglückten Anschlag auf einen hohen Regierungsvertreter wird sie als Verräterin enttarnt, nach einem kurzen Prozess zum Tode verurteilt und öffentlich hingerichtet. „Die Dinge, die wir heute tun, und ihre Auswirkungen werden nicht unmittelbar, sondern vermutlich erst viele Jahre später erkannt werden.“ Diese Feststellung in der letzten Rückblende kann auch als wärmste Empfehlung für diesen Film gesehen werden: Hoffentlich ist er bald auch in Europa im Kino zu sehen.
„The Woman Knight of the Mirror Lake“ (HK 2011)
Die Blu-ray/DVD-Combo gibt es bei z.B. bei Amazon. Erstmals ist auch ein Buch zum Thema erschienen: Ya-chen Chen: Women in Chinese Martial Arts Films of the New Millennium: Narrative Analyses and Gender Politics. Lexington Books 2012